Hamburg/Bonn. Der Windstrom vom Meer erlebt einen fulminanten Aufschwung. 156 Offshore-Windanlagen mit 818 Megawatt Leistung gingen im letzten Jahr in der deutschen Nordsee ans Netz. Das ist ein Zuwachs um gut ein Viertel gegenüber 2015. Schon produzieren die Mini-Kraftwerke auf hoher See genug Strom für rund drei Millionen Haushalte hierzulande.
Und nun verspricht die mit Subventionen aufgebaute Offshore-Energie, auch noch deutlich günstiger zu werden. Zwei unserer Nachbarländer zeigen bereits, wie man den Markt für Ökostrom auf Wettbewerb trimmt. Wer vor den Küsten der Niederlande oder Dänemarks einen Windpark errichten will, muss sich zunächst bei einer Ausschreibung durchsetzen. Den Zuschlag bekommt der Investor, der den Strom – inklusive dem Bau der Anlagen – am günstigsten anbietet.
Das Fördersystem unserer beiden Nachbarn für Offshore-Strom führt zu schwankenden Subventionen, sie sinken derzeit fast im Monatstakt: 7,27 Cent je Kilowattstunde Strom bekamen die Investoren im Juni vergangenen Jahres, 6,4 Cent waren es im August, 5,45 Cent sowie 4,99 Cent Ende 2016. „Auch wenn die einzelnen Projekte nicht direkt vergleichbar sind, sehen wir massiv sinkende Auktionsergebnisse für Meeres-Windanlagen“, berichtet Jan Vollrath, Vizechef des Offshore-Vertriebs bei Siemens Wind Power in Hamburg. Das setze Hersteller und Zulieferer unter einen „erheblichen Preisdruck“.
Windparks hierzulande erstmals ausgeschrieben
Ein Effekt, von dem bald auch deutsche Verbraucher profitieren, die dieses Jahr 24 Milliarden Euro Umlage für den Ökostrom aufbringen müssen. Denn die Förderung des Grünstroms aus Windanlagen auf See wird auch hierzulande umgestellt – weg von den garantierten Einspeisevergütungen, hin zu Ausschreibungen.
Jetzt hat die Bundesnetzagentur erstmals nach diesem Verfahren die Genehmigung zum Bau von vier Offshore-Windparks in der Nordsee vergeben, die von 2021 bis 2025 in Betrieb genommen werden sollen. 1.490 Megawatt werden zugebaut, das entspricht der Nennleistung eines großen Kernkraftwerks.
Die Anlagen werden zu Fördersummen weit unterhalb der Erwartungen errichtet. Der durchschnittliche gewichtete Zuschlagswert beträgt lediglich 0,44 Cent je Kilowattstunde Strom, teilt die Bundesnetzagentur mit. Das höchste Angebot, das noch einen Zuschlag erhielt, liegt bei 6 Cent je Kilowattstunde. Das Niveau fällt so niedrig aus, weil etwa der Energieversorger EnBW einen Windpark mit 900 Megawatt ganz ohne Ökostrom-Förderung errichten will.
Die deutsche Offshore-Industrie stellt diese Entwicklung vor Herausforderungen. Die Branche mit hierzulande 20.000 Arbeitsplätzen habe aber an Leistungsfähigkeit stark zugelegt, berichtet der Energie-Experte Paul Wendring von der Unternehmensberatung Prognos in Berlin. Dank technischen Fortschritts trägt sie auf Dauer zu den günstigeren Strompreisen bei.
Allein beim Marktführer Siemens (2016 über 90 Prozent Marktanteil) tüftelt mehr als eine Hundertschaft Ingenieure und Techniker an neuen, besseren Anlagen. Auch bei den Wettbewerbern Senvion in Hamburg, dem US-Unternehmen GE und der dänischen Vestas wird fieberhaft geforscht und entwickelt. Die Stellschrauben sind:
- Die Generatoren. Sie werden wie die Flügel der Anlagen immer größer und leistungsfähiger. Seit 2005 erhöhte sich der Rotor-Durchmesser von 80 auf 164 Meter. „Und die Leistung nahm von drei Megawatt auf heute bereits sechs bis acht Megawatt zu“, schildert Prognos-Mann Wendring. „Für die frühen 2020er-Jahre werden zehn Megawatt Leistung und mehr angepeilt.“ Mit solchen Anlagen will der Energiekonzern Vattenfall in einem Windpark in der Ostsee Strom für nur 4,99 Cent Fördersumme erzeugen. Der Standort ermöglicht es dem Unternehmen, die Offshore-Energie direkt nach Dänemark, Deutschland und vielleicht auch Schweden zu verkaufen. Dank dieses Wettbewerbsvorteils kommt es mit weniger öffentlicher Förderung aus und kann einen guten Preis machen.
- Die Fundamente. Auch hier lassen sich die Kosten drücken. Bis zu 40 Prozent Einsparung wollen Siemens-Ingenieure mit neuartigen Konstruktionen aus Stahlfachwerk erreichen, die sich in über 40 Meter Meerestiefe einsetzen lassen. Deren Streben lassen sich nun per Stecksystem einfach zusammenbauen und leicht verschweißen. „Die Stützen werden auch nicht mehr in den Grund gerammt, sondern saugen sich mit Zylindern per Unterdruck auf dem Meeresboden fest“, erklärt Siemens-Manager Vollrath. Zudem spare die moderne Konstruktion viel Stahl.
- Die Installation. „Dabei muss alles wie am Schnürchen laufen“, erklärt Vollrath. „Denn jeder Arbeitstag kostet uns eine halbe Million Euro.“ Das Teure sind die Spezialschiffe, die die Technik aufs Meer bringen und mit ihrem Kran auf die bereits aufgebauten Fundamente hieven. Statt früher zwei Anlagen transportieren sie heute sechs Kraftwerke auf einmal. Dabei werden die Gondel – sie beherbergt in 100 Meter Höhe den Generator – und die Türme samt Aufzügen fix und fertig montiert geladen. Hinzu kommen noch jeweils drei Rotorblätter. Aus diesen fünf Komponenten kann eine Anlage binnen 24 Stunden fertig aufgebaut werden und sofort ans Netz gehen.
- Die Verfügbarkeit. Siemens überwacht seine Anlagen rund um die Uhr online. Sensoren messen die Vibration der Hauptkomponenten. „So können wir Schäden antizipieren, bevor sie eintreten, und frühzeitig den Techniker rausschicken“, erklärt Fachmann Vollrath. Das hilft, Stillstände zu vermeiden – und steigert die Verfügbarkeit auf weit über 95 Prozent. Zudem können Siemens-Generatoren für eine Weile ihre Nennleistung überschreiten, um für andere Anlagen einzuspringen, die sich gerade in Wartung befinden.
Das Ziel von Siemens bei all diesen Punkten: „Wir wollen Energie auf See in Zukunft preiswerter erzeugen als mit Kohle- und Kernkraftwerken“, erklärt Vollrath. Zwar bringen die mehr Volllaststunden als Windräder auf See. Dennoch weckt die jüngste Preisentwicklung verstärkt das internationale Interesse am Offshore-Strom.
„Heute bekommen wir Anfragen aus Ländern, die vor zwei Jahren noch nichts von Meereswindanlagen wissen wollten“, berichtet Vollrath. „2016 hatten wir ein erstes Projekt vor Taiwan, da erhoffen wir uns weitere Aufträge.“ Für den zukünftigen Siemens-Standort Cuxhaven ist das erfreulich.
Werk in Cuxhaven für den Export in alle Welt
200 Millionen Euro investiert Siemens dort in ein Werk zur Montage der Maschinenhäuser. Für den Konzern ist es der erste Neubau einer Fabrik in Deutschland seit über 20 Jahren. 1.000 Beschäftigte sollen darin einmal arbeiten.

Ab Sommer wird die Produktion der neueren, stärkeren Offshore-Gondeln vom Siemens-Werk im dänischen Brande nach Cuxhaven verlegt. Gegenüber dem bisherigen Standort im Binnenland bietet das neue Werk einen logistischen Vorteil: Es liegt an der Küste. Die fertigen, über 250 Tonnen schweren und haushohen Gondeln können auf einer Lafette stracks aus der Produktion an den Kai gefahren und auf die Montageschiffe verladen werden. Auch das spart Geld – ein Vorteil beim Export.