Stuttgart. Gegen Infrastrukturprojekte wie Windanlagen, Stromtrassen oder Mobilfunkmasten gibt es hierzulande jede Menge Protest. Viele Bürger wollen so etwas nicht in der näheren Umgebung. „Not in my backyard“ (zu Deutsch: „nicht in meinem Garten“) nennen Fachleute diese Haltung. Aus der Abkürzung des Satzes ist der „Nimby“ geworden. Wie verbreitet ist dieser Protestbürger? aktiv fragte Professor Frank Brettschneider, der an der Universität Hohenheim bei Stuttgart dazu forscht.

Proteste gegen neue Baugebiete oder Mobilfunk – ist das nicht egoistisch?

In jedem von uns steckt ein kleiner Nimby. Und es ist auch völlig legitim, seine Eigeninteressen zu vertreten und zu sagen: „Ich möchte in der Nähe meines Hauses keine Windanlage stehen haben. Das verschandelt den Ausblick und mindert den Grundstückswert.“ Es ist Aufgabe der Politik, die verschiedenen Einzelinteressen abzuwägen und einen Ausgleich herbeizuführen, der dem Gemeinwohl dient. Leider macht sich jedoch auch manch ein Politiker zum Nimby. Motto: Stromtrassen ja, aber bitte nicht in meinem Bundesland.

Ist das Nimby-Phänomen hierzulande besonders ausgeprägt?

Da ist schon etwas dran. Gegen Bahntrassen, Baugebiete und Flughäfen wird protestiert. Bei uns häufiger als bei unseren Nachbarn. Gegen den Nordzulauf für die zukünftige Brennerschienenstrecke regten sich in der Region Rosenheim heftige Widerstände, während die Trasse in Österreich unterstützt wird. Und gegen den Fehmarnbelt-Tunnel zwischen Deutschland und Dänemark zählte man bei uns über 12.500 Einwendungen, in Dänemark weniger als 50.

Warum gibt es hier mehr Proteste?

Der Nimbyismus ist auch ein Wohlstandsphänomen. Wem es gut geht, der will das Erreichte bewahren. In wirtschaftlich nicht so starken Gegenden regen sich weniger Widerstände gegen Infrastrukturprojekte. In den neuen Bundesländern stießen nach der Wende etwa neue Autobahnen auf weniger Protest. Die Menschen dort erhofften sich davon die Ansiedlung von Unternehmen und Jobs.

Wie geht man mit den Protesten um?

Es braucht echte Bürgerbeteiligung, mit Gutachten, Dialog und Prüfung von Alternativen. Der Einzelne muss erleben, dass er gehört wird. Am Ende sollte ein Interessenausgleich stehen, das steigert die Akzeptanz. So kann man viele Menschen mitnehmen.

Also alles reine Formsache?

Überhaupt nicht. Wir brauchen bei solchen Projekten auch häufiger ein Narrativ, ein großes Ziel, das kommuniziert wird und auf das jeder Einzelne und die Gesellschaft stolz sein können. Etwa das Ziel, als erste Industrienation die Energiewende zu schaffen.