Berlin. Auch ein Hollywood-Boss kann mal irren. Ob er Angst vor dem jungen Streaming-Dienst Netflix habe, wurde Jeff Bewkes, Chef des US-Medienimperiums Time Warner, einst gefragt. „Muss man nicht“, lächelte Bewkes. „Das ist doch ein bisschen so, als würde die albanische Armee plötzlich die Welt erobern wollen.“ Zehn Jahre ist das jetzt her.
Und heute? Jeff Bewkes ist in Rente, Time Warner längst vom Telekommunikationsriesen AT&T geschluckt. Und Netflix? Tja, Weltherrschaft: im TV-Streaming.

Filme und Serien, jederzeit abrufbar übers Internet, konsumierbar auf mobilen Geräten oder im Wohnzimmer-Kino – das Streaming hat eine komplette Branche auf links gedreht. Und der König der Streaming-Portale ist Netflix. Noch. Denn jetzt droht dem Platzhirsch neue Konkurrenz. Apple, Disney und andere mächtige Player drängen auf den rasant wachsenden Markt.
Entscheidungsschlacht zwischen den Videoportalen
Gerät der Pionier Netflix jetzt in Bedrängnis? Branchenkenner jedenfalls glauben: 2020 wird das Jahr der „Stream Wars“. Einer Entscheidungsschlacht zwischen den Videoportalen. „Der Wettbewerb ist neu entfacht“, urteilt die Berliner Medienforschungsfirma Goldmedia. Deren Chef Klaus Goldhammer erwartet gar „ein gigantisches Wettrüsten mit Programm-Investitionen“ in Milliardenhöhe. Der Sieger steht für ihn übrigens auch schon fest: „Die Zuschauer! Denn so viele spannende Filme und Serien gab es noch nie.“ Für das gute alte Fernsehen dagegen öffnet Goldhammer schon mal die Tür zum Prognosekeller: „Das Internet beginnt das Fernsehen zu fressen!“
Starker Tobak. Um aber zu verstehen, mit welcher Wucht die Streaming-Stars den alten Fernseh- und Kinomarkt aufmischen, lohnt ein Blick auf ein paar nüchterne Zahlen. Vor kaum 13 Jahren noch tütete man bei Netflix Filme auf DVD in Briefumschläge ein und verschickte die per Post. Dann switchte das Unternehmen um auf Streaming.
Die junge Generation lässt das alte TV links liegen
Und heute? 160 Millionen zahlende Kunden rund um den Globus. Laut Analysten sollen es in wenigen Jahren sogar 400 Millionen sein. Fast 16 Milliarden Dollar Umsatz. Über 7.000 Mitarbeiter.Netflix, das ist bislang eine märchenhafte Erfolgsgeschichte. In deren Folge nicht nur die Videotheken ihr Leben aushauchten. Sondern auch das alte, lineare Fernsehen zunehmend um seine bislang so lukrativen Werbeeinnahmen bangen muss. Auch in Deutschland. „Die TV-Sender haben lange zurückhaltend agiert und das Bedrohungspotenzial der Digitalisierung für ihr einträgliches Geschäftsmodell kleingeredet“, bilanziert eine Studie der Beraterfirma Roland Berger.
Mehr Zeit mit Netflix als mit anderen Sendern
Das wird man sich nicht mehr lange leisten können. Denn: Laut gleicher Studie verbringen die Deutschen nur noch rund die Hälfte ihrer gesamten Sehzeit mit klassischem Fernsehen à la ARD oder RTL. Dagegen entfällt mit durchschnittlich bereits über 10 Prozent Sehanteil schon mehr Zeit auf Netflix als auf irgendeinen TV-Sender. Noch klarer sieht es bei der Zielgruppe von 16 bis 29 Jahren aus: Fast 60 Prozent der Bildschirmzeit verbringen die Jungen mit Streaming-Diensten.
Zumindest scheint es, als hätten die hiesigen Sender mittlerweile die Zeichen der Zeit erkannt. So hübschen die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Mediatheken auf. Die RTL Group buttert 350 Millionen Euro in ihr Streaming-Portal TV Now. Und ProSieben-Sat.1 lässt immerhin 170 Millionen für seine Plattform Joyn springen.
Das Hollywood-Imperium schlägt jetzt zurück
Bloß: Welche Chance haben solche Angebote? Auch angesichts der neuen Spieler, die jetzt ihr Stück vom Kuchen haben wollen. Als Reaktion auf die durch Netflix ausgelösten tektonischen Verschiebungen launchte der Disney-Konzern Ende letzten Jahres mit Disney+ sein eigenes Streaming-Portal. Zuerst in den USA, Kanada und den Niederlanden. Im März soll es auch in Deutschland an den Start gehen. Auch Apple, einer der wertvollsten Konzerne der Erde, mischt jetzt auf dem Markt mit. Wer ein neues Gerät mit dem Apfellogo kauft, bekommt ein Jahr freien Zugang zu den Inhalten von AppleTV+. Ansonsten werden gerade einmal 5 Euro monatlich fällig – man darf das wohl einen Kampfpreis nennen. Und weitere Konkurrenz steht schon in den Startlöchern. Für April hat NBC Universal ein eigenes Portal angekündigt.
Altes Geschäftsmodell ist am Ende
Gerade in Gestalt der Hollywood- Riesen schlägt das Imperium jetzt zurück. Lange Jahre sahen die saturierten Studios tatenlos zu, wie Netflix ihre schöne Verwertungskette zerfetzte. Die sah in etwa so aus: Zuerst kommen frische Filme in die Kinos, dann auf DVD, später Pay TV, dann frei empfangbares Fernsehen. Von den Einnahmen: neue Filme produzieren. „Das ist vorbei“, glaubt Medienforscher Glaus Goldhammer. Seit Netflix.
Wichtigste Munition im Kampf der Portale sind dabei: Inhalte, neudeutsch Content. Und dafür geben die Portale schwindelerregende Summen aus. Nach Branchenschätzungen soll allein Netflix im vergangenen Jahr 15 Milliarden Dollar in neue Filme und Serien investiert haben. Amazon Prime Video und Apple jeweils immerhin 6 Milliarden. Erfolgsrezept, gerade bei Netflix: „Local for global.“ Lokale Stoffe wie der deutsche Serienhit „Dark“, die anschließend weltweit vermarktet werden können.
Goldene Zeiten. Für Zuschauer, die aus einem immer größer werdenden Angebot hochqualitativer Unterhaltungsstoffe wählen können. Und auch für Kreative, für Schauspieler, Produzenten, Autoren. Inzwischen jagen sich die Videoplattformen sogar gegenseitig die Macher von Erfolgsserien ab.
Der Platzhirsch ist kampferprobt
Wie geht das weiter? Welcher Anbieter setzt sich am Ende durch? Denn klar ist auch eins: Mehr als sich die Augen viereckig glotzen kann auch der treueste Serien-Fan nicht. „Das Maximum an Zeit, das Nutzer mit Video-Streaming verbringen wollen, ist erreicht“, sagt auch Mark Mulligan, Chef der Londoner Medienanalyse-Firma Midia. Bedeutet: Gewinnt ein Konkurrent Anteile am Streaming-Markt, verliert ein anderer.
Wie auch immer die Stream Wars ausgehen mögen: Dass Netflix Herausforderungen anzunehmen weiß, hat der Pionier schon vor zehn Jahren bewiesen, als seine Pläne von Ex-Warner-Boss Jeff Bewkes noch verspottet wurden. Als Reaktion darauf stattete Netflix seine Mitarbeiter mit einem ganz besonderen Accessoire aus: mit albanischen Armeemützen.
Das können die Dienste
Netflix In Deutschland klarer Zuschauer-Favorit. Hochwertige Eigenproduktionen. Kostet 7,99 Euro im Monat.
Amazon Teil des Prime-Zugangs. Kostet 69 Euro im Jahr. Etwas weniger Eigenproduktionen als Netflix.
Disney+ Startet ab März für 6,99 Euro monatlich. Bis November soll’s 45 neue Serien geben.
Apple TV+ Für 4,99 Euro monatlich zu buchen. Bislang lediglich Zugriff auf einige wenige Eigenproduktionen.
So viel Strom braucht’s fürs Streamen
Emissionen Zehn Minuten Streamen in HD-Qualität verbraucht so viel Energie wie ein 2.000-Watt-Backofen in fünf Minuten. Das haben Forscher der Denkfabrik „The Shift Project“ errechnet.
Serverfarmen der Anbieter sind die Hauptverursacher. Die riesigen Anlagen müssen zum Beispiel ständig gekühlt werden.
Tech-Konzerne haben das Problem erkannt. Youtube arbeitet beispielsweise schon komplett mit Grünstrom.