Mainz/Remscheid. Auf einem Fließband gleiten sie vorbei, eine nach der anderen: Reinigerflaschen. Sie sehen aus wie andere Kunststoffflaschen auch. Und doch sind sie etwas Besonderes: Die weißen Behälter sind zu 100 Prozent aus recyceltem Kunststoff. Wie inzwischen alle transparenten PET-Flaschen der Marke „Frosch“ des Mainzer Herstellers Werner & Mertz.

„Beim Einsatz von Recycling-Material gehen wir der Branche voran“, sagt Timothy Glaz, Leiter Corporate Affairs bei dem Familienunternehmen. „Wir zeigen, dass und wie echte Kreislauffähigkeit funktioniert.“

Nach dem Erfolg mit dem Altplastik aus PET gingen die Mainzer daran, auch den Massenkunststoff Polyethylen (Fachjargon-Kürzel: HDPE) aus dem Gelben Sack zu nutzen. Für Verpackungen daraus baut Werner & Mertz auf das Recycling-Granulat vom Dualen System Deutschland.

Auch beim Chemiekonzern BASF und seiner Partnerfirma Recenso treibt man das Recycling voran – wenn auch mit einem völlig anderen Ansatz. Die beiden Beispiele machen deutlich: In das Geschäft kommt gerade richtig Bewegung.

Schlüsselrolle für die innovative deutsche Chemie-Industrie

Denn die EU macht Plastikherstellern und -verarbeitern mächtig Druck, hat gerade erst eine Reihe von Einweg-Artikeln verboten. Und das seit Jahresanfang geltende neue deutsche Verpackungsgesetz fordert deutlich höhere Recyclingquoten für Kunststoff, nämlich 58,5 statt bisher 36 Prozent. Und bei vielen Verbrauchern wächst das Unbehagen an den riesigen Müllteppichen in den Weltmeeren – auch wenn nur ein winziger Bruchteil davon aus Europa stammt.

Das Vertrauen in den großen Nutzen von Kunststoffen könnte dadurch Schaden nehmen. Deshalb haben kürzlich zwei Dutzend internationale Großkonzerne die „Alliance to End Plastic Waste“ gegründet. Die Chemiekonzerne BASF, Dow Chemical (USA) und LyondellBasell (Niederlande) machen ebenso mit wie die Konsumgüterhersteller Henkel und Procter & Gamble (USA).

In einem ersten Schritt wollen sie 1,5 Milliarden Dollar bereitstellen, um asiatische Schwellenländer beim Kampf gegen wilden Müll zu unterstützen. Als Blaupause dürfte das deutsche Sammelsystem dienen – in dem 2017 immerhin 46 Prozent des Plastikmülls wiederverwertet wurden.

70 Milliarden Euro geschätztes Marktvolumen

Viele wittern neues Geschäft, der Entsorger Remondis etwa und der Discounter Lidl. Das Marktvolumen fürs Plastikrecycling schätzen Experten der Unternehmensberatung McKinsey auf weltweit bis zu 70 Milliarden Euro im Jahr: „Die deutsche Chemie-Industrie kann mit ihrer Innovationskraft hier eine Schlüsselrolle spielen.“

Bisher steht meist das werkstoffliche Recycling im Vordergrund. Die Überzeugungstäter bei Werner & Mertz treiben es in der „Recyclat-Initiative“ voran, gemeinsam mit dem Dualen System Deutschland („Grüner Punkt“) und dem Verpackungshersteller Alpla. Mit PET-Pfandflaschen, die an den Automaten der Supermärkte gesammelt werden, fingen sie vor elf Jahren an. „Oft machte man daraus Folien oder Fasern für Sporttrikots. Das war nur Downcycling“, kritisiert Experte Glaz von Werner & Mertz. „Wir dagegen machen aus hochwertigen Stoffen wieder hochwertige Verpackungen.“ Auch wenn das den Produktionsprozess etwas verteuert.

Inzwischen hat das Mainzer Unternehmen schon 250 Millionen Flaschen aus 100 Prozent recyceltem PET verkauft. Daneben hat man auch die Verschlüsse nachhaltiger gemacht: So sind etwa die Klappscharnierverschlüsse komplett aus recyceltem Polypropylen, das auch aus dem Gelben Sack kommt.

„Wir schaffen einen Kreislauf für Kohlenwasserstoffe“

Plastik als wertvoller Rohstoff – darauf setzen auch der Chemiekonzern BASF in Ludwigshafen und die Ingenieurfirma Recenso in Remscheid. Sie wollen Kunststoff aber nicht werkstofflich, sondern chemisch recyceln.

Dazu erklärt Recenso-Chef Christian Haupts: „Wir schaffen einen Kreislauf für Kohlenwasserstoffe. Das ist vor allem Kunststoff. Das gelingt jetzt erstmals! Damit haben wir einen Schlüssel für viele Probleme.“

Das „ChemCycling“ getaufte Verfahren geschieht in zwei Schritten. Zunächst wird in einer Pilotanlage im münsterländischen Enningerloh aus Plastikabfall ein Öl gewonnen. „Diese Direktverölung machen wir mithilfe von Katalysatoren, bei deutlich unter 400 Grad Celsius und vollkontinuierlich.“

Mozzarella-Beutel aus Recycling-Öl

Die Recenso-Ingenieure haben dafür eine modular erweiterbare Anlage entwickelt, optimal für die dezentrale Müllverwertung. „Ab 5.000 Tonnen Jahreskapazität arbeitet sie wirtschaftlich“, versichert Haupts.

Und dann kommt die BASF ins Spiel: Sie setzt das innovative Öl statt Rohbenzin als Rohstoff in ihren riesigen Steamcrackern ein.

Dort wird es bei 850 Grad in Grundchemikalien wie Ethylen und Propylen aufgespalten. Aus denen kann die BASF wieder viele Substanzen herstellen, natürlich auch Kunststoffe. So schließt sich der Kreislauf.

Um dabei rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, hat Recenso das spezielle Öl sogar bei der europäischen Chemikalienagentur registrieren lassen. Und eine erste Charge des Öls hat BASF Ende 2018 schon verarbeitet. Bei der Testproduktion entstanden Mozzarella-Beutel und Schubladen für Kühlschränke.

Für Plastik könnte eine neue Ära beginnen

BASF-Projektleiter Stefan Gräter ist zuversichtlich: „Chemisches Recycling bietet neue Möglichkeiten für Kunststoffabfälle, die derzeit nicht wiederverwendet werden. Für diese können wir nun ein funktionierendes Kreislaufmodell etablieren und so dazu beitragen, die Menge des Kunststoffmülls zu reduzieren.“

Ein paar Tausend Tonnen Öl aus dem Münsterland sollen noch 2019 den Anfang machen. Damit könnte eine ganz neue Ära für Plastik beginnen.

    Beim PVC-Recycling will Europa kräftig zulegen

    Goldfarbenes Öl: Die aus Plastikmüll gewonnene Flüssigkeit dient dem Chemieunternehmen BASF in Ludwigshafen bald als Rohstoff für die Produktion.

    Er ist aus dem Alltag kaum wegzudenken. Der Kunststoff PVC steckt in Fenstern, Rohren, Bodenbelägen oder Kabeln. Und wird laut der Hersteller-Initiative „VinylPlus“ mehr und mehr recycelt: Von europaweit etwa 40.000 Tonnen im Jahr 2005 nahm die Menge bis 2017 auf 640.000 Tonnen zu. Bis 2020 sollen 800.000 Tonnen wieder in die Produktion gehen.

    „Immer effektivere Verfahren und eine breitere Akzeptanz für Produkte mit Rezyklaten sorgen für eine Zunahme des Recyclings“, sagt Thomas Hülsmann, Geschäftsführer des deutschen Branchen-Netzwerks AGPU. 2017 kamen hierzulande 13,5 Prozent des in der Industrie verarbeiteten PVCs aus der Wiederverwertung. Etwa 70 Entsorgungsbetriebe recycelten 155.000 Tonnen des beim Renovieren oder dem Abriss von Altbauten anfallenden PVCs.

    Neues Verfahren für Styropor aus der Hausdämmung

    • Bei Styropor aus der Fassadendämmung ist Recycling noch ein Problem. Rund 60 europäische Firmen gehen das mit der Initiative „PolyStyreneLoop“ an.
    • Für 9 Millionen Euro soll 2019 in Terneuzen (Niederlande) eine Pilotanlage entstehen. Jahreskapazität: 3.000 Tonnen.
    • Der Styroporabfall wird darin mit einem umweltschonenden Lösemittel aufgelöst, durch Filtern gereinigt und dann wieder als sauberes Styropor ausgefällt.
    • Pluspunkte: Es können Bauabfälle mit Verputzresten genutzt werden. Das Verfahren entfernt zudem das heute verbotene Flammschutzmittel HBCDD, das oft in altem Dämmstoff steckt.
    • Bei dem Projekt machen Chemiekonzerne wie BASF und Lanxess sowie Dämmstoffhersteller wie Philippine oder Wibro mit.
    Hans Joachim Wolter
    aktiv-Redakteur

    Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

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