Solche Kollegen machen das Besondere der Metall- und Elektro-Industrie in Hessen aus: Sie sind schon lange im Unternehmen, fühlen sich dort pudelwohl und haben sich über die Jahre weiterentwickelt – oft sogar vom Azubi zum Chef.
Was sind eigentlich die Gründe dafür, dass Beschäftigte sich über viele Jahre nicht woanders bewerben, sondern ihrem Unternehmen treu bleiben? Hier ein paar Fakten. Im Schnitt sind Arbeitnehmer hierzulande elf Jahre lang im gleichen Betrieb beschäftigt. In der Metall- und Elektro-Industrie (M+E) sind es sogar 13 Jahre! Das zeigt eine Auswertung des Sozio-oekonomischen Panels, der größten Langzeitstudie in Deutschland.
Treue Mitarbeiter sind den Betrieben viel wert
Damit gehört die M+E-Industrie zu den vier Branchen mit der längsten durchschnittlichen Betriebszugehörigkeit! Nicht nur für Arbeitnehmer, auch für Arbeitgeber ist Mitarbeiterbindung ein wichtiges Thema, in das kräftig investiert wird – zum Beispiel mit Weiterbildungsangeboten und Anerkennungen. Sie zahlt sich mehrfach aus: Beschäftigte, die sich dem Unternehmen besonders verbunden fühlen, sind motivierter und produktiver. Und: Je mehr Mitarbeiter lange bleiben, desto niedriger sind die Kosten der Unternehmen für die Gewinnung und Einarbeitung neuer Be- schäftigter.
Was motiviert Kollegen dazu, lange zu bleiben? aktiv hat sich eine aktuelle Studie dazu angeschaut – und langjährige Beschäftigte in M+E-Betrieben gefragt.
André Frank (40), Projektleiter bei Kunzler Notstromtechnik in Maintal (rund 50 Beschäftigte)

„Über eine ganz normale Stellenanzeige kam ich 2009 als Energieanlagenelektroniker zu Kunzler, weil mein alter Arbeitgeber den Standort in Frankfurt schloss. Dort hatte ich gelernt und war danach weltweit auf Montage. Ich war gespannt, ob ich in einem Familienbetrieb klarkommen würde. Jetzt bin ich seit 16 Jahren dabei, weil die Atmosphäre stimmt und alle gut miteinander umgehen. Wer weiterommen will, wird unkompliziert gefördert. So habe ich meinen Techniker gemacht und mich zum Projektleiter weitergebildet.
Kommt man beim Chef mit Ideen oder Verbesserungsvorschlägen, werden die kurz besprochen und umgesetzt. Für eine besonders gute Leistung hat er mich sogar schon mal zu einem Heimspiel der Eintracht eingeladen. Wir schauen im Team nicht unbedingt auf die Uhr, sondern wir wollen das Ding rocken. Es ist tatsächlich so! Wenn die Notstromanlage beim Kunden fertig montiert ist und bei einem Stromausfall im Krankenhaus oder wo auch immer trotzdem alles weiterläuft, sind wir einfach stolz. Arbeit fühlt sich hier nicht wie Arbeit an. Was will ich mehr.“
Gabi Schaumburg (58), Abteilungsleiterin Einkauf bei Johannes Hübner in Gießen (knapp 120 Beschäftigte)

„Anerkennung, Respekt, Vertrauen und Weiterbildungsmöglichkeiten: All dies hat mir Johannes Hübner gegeben. Deshalb gab es für mich nie einen Grund, einen anderen Arbeitgeber zu suchen. 1995, mit 28 Jahren und als fertige Betriebswirtin, konnte ich bei Hübner richtig durchstarten. Anfangs arbeitete ich in der Anmeldung, wechselte dann in die Auftragsabwicklung und kam 2002, nach der Geburt meiner Kinder und Familienpause, in den Einkauf.
Inzwischen bin ich hier Abteilungsleiterin und führe ein Team von drei Kolleginnen. In all den Jahren habe ich viele Veränderungen mitgestaltet, etwa bei Einführung eines ERP-Systems und des ,papierlosen‘ Büros. Unsere Arbeit im Einkauf erhält hier viel Wertschätzung, denn wir sorgen dafür, dass die Produktion nicht ins Stocken gerät und Kapital nicht zu lange im Lager gebunden wird. Durch gute Planung und Verhandlungsgeschick können wir so Einfluss nehmen auf die Gewinne des Unternehmens. Sind die gut, kommt das allen hier zugute. Deshalb bin ich durchaus stolz auf die Entwicklung von Johannes Hübner, die ich hier in 30 Jahren miterleben durfte.“
Rainer Fußy (57), Verwaltungsleiter und Prokurist bei der KGM Kugelfabrik in Fulda (rund 220 Beschäftigte)

„Als ich mich in den 80ern bei KGM um einen Ausbildungsplatz zum Industriekaufmann bewarb, war es schwer, eine Lehrstelle zu finden. Deshalb war ich glücklich über die Zusage, und das bin ich bis heute. Ich liebe Zahlen, deshalb war die Finanzbuchhaltung genau mein Ding und ich bekam dort meine erste Stelle. Die Stelle wurde mir sogar freigehalten, als ich für 15 Monate zum Wehrdienst musste. Ich konnte mich kontinuierlich weiterbilden und unter anderem meinen Bilanzbuchhalter machen.
Heute bin ich Leiter der Verwaltung, Ausbilder für die kaufmännischen Berufe und Mitglied im IHK-Prüfungsausschuss. Letztlich war das ganze Umfeld bei KGM entscheidend dafür, dass ich über 40 Jahre geblieben bin: Vorgesetzte, die Vertrauen zu ihren Mitarbeitern haben, abwechslungsreiche Aufgabengebiete, ein gutes Betriebsklima, kurze Informationswege und die Wertschätzung, die man hier im Familienunternehmen erfährt. Und ich kann sogar, wie viele andere Kollegen, mit dem Rad in die Firma fahren, da der Standort in der Nähe eines Fernradweges liegt. Das unterstützt KGM durch ein Leasingmodell für Bikes.
Jochen Schirmer (48), Logistikleiter bei WERK28, Teil der JF Group in Heppenheim (265 Beschäftigte)

„Es ist ein bunter Blumenstrauß von Gründen, der mich hier hält, obwohl ich manchmal von zu Hause bis hierher fast eine Stunde zu fahren habe: Hier steht wirklich der Mensch im Vordergrund. Die Arbeit macht Spaß. Das Gehalt passt. Wir sind ein tolles, harmonisches Team. Ich kann jederzeit mit meinem Chef auf Augenhöhe reden. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist kein Schlagwort, sondern wird gelebt. Auch das ist wichtig für mich als Papa von zwei Kindern mit einer ebenfalls berufstätigen Ehefrau.
Ich bin seit 18 Jahren hier, kam als Student über die Uni in Kontakt mit der Firma und erarbeitete hier für meine Bachelor-Arbeit ein neues Fördertechnik-Konzept vom Auftragseingang bis zum Versand der hier produzierten Waren. Danach startete ich 2009 als Teamleiter im Wareneingang, wurde nach einer Weiterbildung Projektleiter und war von Anfang an eingebunden in die Planung und den Bau der neuen Fabrik. Heute bin ich Logistikleiter des Tochterunternehmens WERK28. Meine Leistung wird anerkannt, ich werde als Mensch gesehen und fühle mich hier wohl. Warum also sollte ich gehen?“
Thomas Kräuter (55), Vertriebsleiter bei Weiss Technik, Teil der Schunk Group in Heuchelheim (10.400 Beschäftigte)

„Schunk kannte ich als Lieferant durch meine Arbeit in anderen Unternehmen. Dabei fiel mir auf, wie gut drauf meine Ansprechpartner waren. Irgendwann hatte ich den Mut, mich aus einer festen Stelle heraus hier als Produktmanager zu bewerben. Mittlerweile arbeite ich als Globaler Vertriebsleiter für Umweltsimulationsanlagen. Die Entscheidung, zu Schunk zu gehen, habe ich nie bereut. Vor allem wegen des respektvollen Umgangs miteinander, der in unserem Technologiekonzern mit zehn unterschiedlichen Geschäftsbereichen gut funktioniert.
Das merkt man schon daran, wie oft und gerne hier gelacht wird – auch mit Vorgesetzten. Klar sind es aktuell schwierige Zeiten, auch wir haben in manchen Bereichen Kurzarbeit. Aber das wird offen kommuniziert. Und gerade wir Älteren haben schon viele Höhen und Tiefen erlebt und motivieren dann die jüngeren Kollegen, zuversichtlich zu bleiben und sich reinzuhängen. Wir sind es gewohnt, uns offen auszutauschen, deshalb lässt es sich leichter über Ängste und Sorgen reden. Einer von vielen Pluspunkten bei Schunk.“
Laut einer Umfrage sind Mitarbeitern Gehalt und Sinn besonders wichtig
Warum Beschäftigte ihrem Arbeitgeber treu bleiben, das haben schon viele Umfragen beleuchtet. Ganz aktuell zum Beispiel vom Software-Anbieter Factorial in seinem „HR-Report 2025“. Befragt wurden hier 500 Arbeitnehmer aller Altersklassen aus ganz Deutschland. Tatsächlich bejahten 29 Prozent von ihnen diesen Satz: „Ein gutes Gehalt ist mir am wichtigsten.“ Überrascht? Geld ist natürlich nicht für jeden alles. Für 22 Prozent ist der wichtigste Faktor im Job eine gute Work-Life-Balance und für immerhin 17 Prozent ist das kollegiale Umfeld ausschlaggebend.
Unabhängig davon suchen offenbar die meisten Beschäftigten auch einen tieferen Sinn in ihrer beruflichen Tätigkeit. Für 62 Prozent ist eine sinnhafte Tätigkeit wichtig oder sogar sehr wichtig. Bei den 45- bis 50-Jährigen sind es sogar 70 Prozent. Und wie sieht es aus mit dem Motivationskiller Stress? Die Umfrage ergab: Die drei größten Stressfaktoren sind eine zu hohe Arbeitsbelastung (39 Prozent), mangelnde Kommunikation (32 Prozent) und lange Arbeitszeiten oder Überstunden (30 Prozent). Was muss passieren, damit Arbeitnehmer tatsächlich kündigen? Grund Nummer eins ist schlechtes Gehalt. Gefolgt von schlechtem Arbeitsklima und fehlender Wertschätzung. Die wichtigsten Faktoren füt ein gutes Arbeitsklima sind laut der Umfrage Anerkennung und Zusammenhalt.

Maja Becker-Mohr ist für aktiv in den Unternehmen der hessischen Metall-, Elektro- und IT-Industrie sowie der papier- und kunststoffverarbeitenden Industrie unterwegs. Die Diplom-Meteorologin entdeckte ihr Herz für Wirtschaftsthemen als Redakteurin bei den VDI-Nachrichten in Düsseldorf, was sich bei ihr als Kommunikationschefin beim Arbeitgeberverband Hessenchemie noch vertiefte. In der Freizeit streift sie am liebsten durch Wald, Feld und Flur.
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