Schnell ein paar Münzen aus dem Portemonnaie fischen? „Mit Spezialbrille und Handschuhen, die steife Fingergelenke simulieren, ist das gar nicht so einfach und verlangt viel Geduld“, stellt Philipp Dütemeyer fest, Personalchef bei Pfeiffer Vacuum+Fab Solutions in Aßlar. Zeitgleich versucht Silke Staudt, ausgerüstet mit einer Spezialbrille und steifen Manschetten an den Bein- und Armgelenken, ein paar Schritte zu gehen. „Das ist richtig anstrengend, und man muss sich echt konzentrieren, um nicht ins Stolpern zu geraten“, erklärt die Sachbearbeiterin für Arbeitssicherheit und Ideenmanagement bei Messko in Oberursel.
Alterungsprozess zum Ausprobieren
Richtig anspruchsvoll wird es dann für Staudt, als es ans Treppensteigen geht. „Ohne den Griff ans Geländer hätte ich mich das vor allem die Stufen hinab nicht getraut“, gibt sie zu – und ist froh, als sie die Spezialausrüstung wieder abgelegt hat. So erging es letztlich wohl allen Teilnehmern des Arbeitsschutz-Workshops Alterssimulation, zu dem der Arbeitgeberverband Hessenmetall vor Kurzem ins Haus der Wirtschaft nach Frankfurt eingeladen hatte.
Dreh- und Angelpunkt der Veranstaltung war der gerontologische Testanzug GERT. Er besteht aus einzelnen Komponenten wie der Spezialbrille und verschiedenen Manschetten, durch deren Zusammenwirken ein Effekt erzielt werden kann, der den Einschränkungen der sensomotorischen Fähigkeiten im Alter sehr nahekommt. GERT wird deshalb in der Aus- und Weiterbildung, bei der Gestaltung alternsgerechter Arbeitsplätze und in der Produktentwicklung eingesetzt.
„Mit dem Testanzug kann man den eigenen Alterungsprozess quasi im Schnellverfahren durchlaufen und ein Gefühl dafür bekommen, wie schwer Betroffenen schon einfache Bewegungen fallen können“, so Nora Johanna Schüth, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) in Düsseldorf. „Die Erfahrung soll für das Altern sensibilisieren, Verständnis wecken für ältere Beschäftigte und auch Impulse für einen gesünderen Lebensstil geben“, ergänzte ihre Kollegin Dr. Catharina Stahn.
Investition in gesundheitserhaltende Arbeitsbedingungen
Die Wissenschaftlerinnen erläuterten zudem, welche Faktoren berücksichtigt werden sollten, wenn ein Arbeitsplatz alternsgerecht eingerichtet wird, wie die generationsübergreifende Zusammenarbeit sowie das Verständnis für ältere Kollegen verbessert werden können und wie bereits junge Beschäftigte motiviert werden können, sich auf lange Sicht körperlich fit zu halten.
Denn schon heute sind etwa 23 Prozent der deutschen Bevölkerung 65 Jahre alt oder älter. Und im Jahr 2022 arbeiteten immerhin knapp 20 Prozent der 65- bis 69-Jährigen. Schüth abschließend: „Wer in gesundheitserhaltende Arbeitsbedingungen investiert, also die Arbeitsplätze ergonomisch und damit alternsgerecht gestaltet, investiert auf lange Sicht in die Wettbewerbsfähigkeit seines Betriebs.“
Maja Becker-Mohr ist für aktiv in den Unternehmen der hessischen Metall-, Elektro- und IT-Industrie sowie der papier- und kunststoffverarbeitenden Industrie unterwegs. Die Diplom-Meteorologin entdeckte ihr Herz für Wirtschaftsthemen als Redakteurin bei den VDI-Nachrichten in Düsseldorf, was sich bei ihr als Kommunikationschefin beim Arbeitgeberverband Hessenchemie noch vertiefte. In der Freizeit streift sie am liebsten durch Wald, Feld und Flur.
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