Stuttgart. Hier will man bleiben. Auf der gemütlichen Couch aus Industriepaletten sitzt es sich richtig gut, und fürs Auge wird auch was geboten: die Lehne in Blaugrau, die Polster in Gelblich-Weiß. Die Palette der möglichen Farben liegt zur Auswahl auf dem Tisch: 190 verschiedene Farbtöne! „Ich habe eine in Signalrot“, sagt Lehrerin Silke Pach. „Die sieht toll aus!“

Mit den Schülern der elften Klasse hat sie die Juniorfirma „Couchfactory“ am Leibniz-Gymnasium Rottweil im Schwarzwald aufgezogen. Das Projekt läuft über ein Schuljahr. Dabei machen die Jugendlichen alles selbst: von der ersten Idee bis zum Vertrieb des Produkts. Sie sind Manager, Entwickler, Produzenten, Verkäufer und Buchhalter.

Alles wie im richtigen Leben. Schließlich sollen die Juniorfirmen keine Luftschlösser sein, sondern wie echte Unternehmen funktionieren. Bei der Couchfactory läuft es: „Wir sind ein starkes Team mit starken Partnern“, proklamiert Junior-Geschäftsführer Philipp Hafner (17).

Für ihre Palettencouch haben sich die zwölf Schüler des Leistungskurses Wirtschaft namhafte Firmen mit ins Boot geholt: Die Firma Kaupp aus Schramberg hilft beim Lackieren, und der Stuhlanbieter Interstuhl von der Schwäbischen Alb liefert die wetterfesten Polster. Lehrerin Pach ist stolz auf ihre Schüler: „Sie haben mit den Partnerfirmen sehr zielorientiert verhandelt. Und sich dann überzeugend präsentiert.“

122 solcher Firmen wurden im gerade zu Ende gegangenen Schuljahr in Baden-Württemberg gegründet, so viele wie in keinem anderen Bundesland. „Baden-Württemberg liegt seit Jahren an der Spitze“, sagt Projektmanagerin Stefanie Schuhl vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). Der Grund: „Das Schulsystem ist dort gut organisiert“, lobt sie. Und bei Schülern wie Lehrern hat das Projekt dort viele Anhänger.

Christine Nonnenmann, Lehrerin am Otto-Hahn-Gymnasium in Ostfildern bei Stuttgart, macht schon seit 2005 bei dem Projekt mit. Die Juniorfirma „w3DoPrint“ ist die zwölfte, die sie betreut. „Der Nutzen für die Schüler ist unbezahlbar.“

Konkret: „Die Schüler lernen, für das von den Kapitalgebern zur Verfügung gestellte Geld Verantwortung zu übernehmen“, so die Lehrerin. „Außerdem verinnerlichen sie Verhaltensregeln – etwa zum angemessenen Umgang mit Kunden.“ Was die Schüler motiviere, sei, die eigenen Talente zu entdecken. „Ich sage ihnen immer: Jeder von euch besitzt ein Talent. Das könnt ihr jetzt innerhalb dieser Firma testen.“

Dabei gibt es auch Überraschungen: Bei dem technischen Projekt, der Herstellung von Handyschalen am 3-D-Drucker, waren die Mädchen deutlich stärker vertreten als ihre männlichen Mitschüler. Die Vorstandsvorsitzende und ihre Stellvertreterin sind weiblich, ebenso die technische Leitung. „Manche entwickeln Führungsqualitäten“, sagt Nonnenmann.

34 der 122 Juniorfirmen haben sich für den Landeswettbewerb beworben, der im Mai in Stuttgart stattfand. Dafür mussten sie nicht nur eine Geschäftsidee clever umsetzen können, sondern diese eben auch überzeugend präsentieren.

Die Jury mit Vertretern aus Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft erwartet einen Geschäftsbericht, eine korrekte Buchführung und natürlich auch eine Homepage, auf der die Schülerfirma sich selbst und ihre Produkte vorstellt. Ein Online-Shop ist für die Jugendlichen meist selbstverständlich. Und nicht nur die Darstellungsformate, auch die Ideen selbst sind vielfältig.

So fertigt die Schülerfirma „Time-up“ aus dem Schwarzwald Wanduhren aus alten Langspielplatten. Sie verwendet dafür Uhrwerke des Herstellers Junghans. Ebenfalls aus dem Schwarzwald stammt diese Idee: Vogelhäuschen mit dem Innenleben einer Minibar!

Fahrbare Hocker aus Büchern zusammengebaut

Nachhaltigkeit ist bei den Schülern Trumpf. Das gilt auch für „Booxeat“, eine Firma, die fahrbare Hocker aus alten Büchern zusammenbaut. Und für „Green-Flame“ aus Baden-Baden: Die Schüler des Richard-Wagner-Gymnasiums stellen Feuerkörbe aus Waschmaschinentrommeln her.

Am Ende des Landeswettbewerbs gab es übrigens zwei erste Plätze: für die Couchfactory und für w3DoPrint. Der zweite Platz ging an Green-Flame und der dritte an Time-up. Zum Ende des Schuljahrs werden die Firmen aufgelöst. Schade, möchte man sagen, bei all der Arbeit, die in den Schülerprojekten steckt!

Aber einiges wirkt ja nach. Bei Couchfactory bestellte die Stadtverwaltung Rottweil gleich 23 Palettensofas. Die zieren jetzt die Innenstadt.

Juniorfirmen gibt es seit über 20 Jahren

In einer Juniorfirma haben Schüler die Möglichkeit, Wirtschaft praktisch zu erleben. Das Projekt gibt es seit über 20 Jahren, es wird vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) angeboten und betreut.

Seitdem sind über 100.000 Schüler in Deutschland zu Existenzgründern geworden. Vom Digitalisierungsservice für Fotos bis zur Herstellung von Schmuck oder Möbeln ist alles möglich. IW Junior unterstützt die Projekte mit Beratung und Infomaterial. In Baden-Württemberg, wo der Arbeitgeberverband Südwestmetall Partner des Projekts ist, werden regelmäßig mehr Schülerfirmen gegründet als in anderen Bundesländern.

Die Bundessieger kamen dieses Jahr allerdings nicht aus dem Südwesten. Als „Bestes Junior Unternehmen 2017“ wurde die Schülerfirma Pacato der Gelehrtenschule des Johanneums in Hamburg ausgezeichnet. Die Firma recycelt Gewehrpatronenhülsen und produziert daraus hochwertige Füller.

Interview

Stefan Küpper. Foto: Verband
Stefan Küpper. Foto: Verband

Schüler lernen Teamarbeit

Stuttgart. Der Arbeitgeberverband Südwestmetall unterstützt das Projekt Junior an den Schulen in Baden-Württemberg. Warum Schülerfirmen aus Sicht der Wirtschaft wichtig sind, erklärt Stefan Küpper, Geschäftsführer Politik, Bildung und Arbeitsmarkt.

Warum unterstützt der Arbeitgeberverband Südwestmetall die Schülerfirmen?

Wir wollen Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge bei Jugendlichen fördern. Auch diejenigen, die später als Fachkräfte in einem unserer Mitgliedsbetriebe arbeiten, brauchen unternehmerisches Denken. Etwa als Führungskraft – oder weil sie als Fachkraft Innovationen voranbringen.

Es geht also nicht darum, Gründungen zu fördern?

Zumindest nicht primär. Wir brauchen mehr Unternehmergeist in der Gesellschaft. Wer bei einer Juniorfirma mitmacht, erhält einen Einblick in die Sorgen und Nöte eines Unternehmens in einer Wettbewerbssituation und versteht besser, wie Prozesse in einem Betrieb ablaufen und welche Aufgaben die verschiedenen Abteilungen haben. Wenn sich dann der eine oder andere später selbstständig macht, ist das natürlich wünschenswert.

Was erwarten Unternehmen von Absolventen?

Grundsätzlich freuen wir uns über jeden Auszubildenden oder Hochschulabsolventen, der seine fachliche Qualifikation sicher beherrscht. Wichtig sind jedoch auch die persönlichen und sozialen Fähigkeiten. Unsere Industrie braucht motivierte, kluge und kreative Köpfe mit Durchhaltevermögen.

Was können Schüler heute besser als früher?

Die Schüler heute lernen besser als früher, in Projektzusammenhängen zu arbeiten und im Team eine Lösung zu entwickeln. Auch beim Thema Internationalität sind wir heute weiter als in der Vergangenheit. Außerdem bringt die junge Generation gute Voraussetzungen mit, sich im digitalen Umfeld zu bewegen.