Berlin/ Köln. In Deutschlands größtem Industriezweig Metall und Elektro (M+E) beginnen in Kürze Tarifverhandlungen. Anlass genug für einen Rückblick in Sachen Kaufkraft – wie viel ist eigentlich von den Lohnsteigerungen der letzten 25 Jahre bei den Beschäftigten angekommen?
AKTIV hat die Zahlen mal unter die Lupe genommen. Ergebnis: Die Reallöhne haben sich aus Sicht der Mitarbeiter prima entwickelt. Viele Betriebe bringt der zuletzt besonders rasante Zuwachs allerdings inzwischen in die Bredouille.
Im langjährigen Schnitt gab’s Jahr für Jahr 1.000 Euro obendrauf
Seit 1991 haben sich die Tariflöhne im Schnitt etwa verdoppelt – und da sind tarifliche Einmalzahlungen und betriebliche Erfolgsprämien noch außen vor. „Die M+E-Beschäftigten konnten sich über einen jährlichen Einkommenszuwachs von durchschnittlich über 1.000 Euro freuen“, heißt es im Tarifarchiv des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall (Download unter: gesamtmetall.de).
In nur einem Vierteljahrhundert stieg das Tarifentgelt um 91 Prozent. Die Verbraucherpreise legten nur um 52 Prozent zu. Die Schere zwischen Verdienst und Inflation ist also kräftig auseinandergegangen, das heißt: Die heute rund 3,8 Millionen Beschäftigten können sich viel mehr leisten als früher.
Für die meisten Mitarbeiter fällt ihre persönliche Bilanz sogar noch besser aus – einfach, weil sie im Lauf der Jahre Karriere gemacht haben, mehr Verantwortung tragen. Und natürlich deshalb mehr verdienen.
Was verteilt werden kann, muss aber erst mal erwirtschaftet werden. Und da wird die tarifliche Belastung für einige Betriebe zunehmend zum Problem.
Klar wird das sogar schon, wenn man sich die aktuelle Entwicklung ansieht. Die Gewerkschaften definieren den „verteilungsneutralen Spielraum“ wie folgt: jeweiliger Zuwachs der gesamtwirtschaftlichen Produktivität plus jeweilige Inflationsrate. Nun addiert sich die Teuerung seit 2012 auf 4,8 Prozent, der Produktivitätszuwachs auf 2,2 Prozent – macht zusammen 7 Prozent. Die Metaller-Entgelte legten aber um gut 14 Prozent zu! Gesamtmetall-Kommentar: „Nimmt man die IG Metall beim Wort und legt ihre eigenen Maßstäbe an, müssten die Löhne also sinken statt steigen.“
Dazu sollte man wissen, dass der Produktivitätsgewinn in den M+E-Betrieben laut Gesamtmetall mit 1,2 Prozent noch geringer war als im Schnitt der Wirtschaft. Dass das Wachstum der M+E-Produktion 2015 nur 0,6 Prozent betrug – und damit viel niedriger war als der Wohlstandszuwachs insgesamt (das Bruttoinlandsprodukt stieg im Vorjahr um 1,7 Prozent). Und dass die Lohnstückkosten, eine wichtige Standort-Kennzahl, in Deutschland in den letzten Jahren wieder stärker gestiegen sind als anderswo. Ergebnis: „Die etablierte ausländische Konkurrenz kann im Schnitt mit Lohnstückkosten produzieren, die 11 Prozent unter dem deutschen Niveau liegen“, erklärt Christoph Schröder vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW), der Daten aus 25 Staaten für das Jahr 2014 verglichen hat.
Teurer als Deutschland sind zum Beispiel die Standorte Italien und Frankreich, deutlich günstiger: Japan und die USA. Die Wettbewerbssituation der hiesigen Unternehmen hat sich also – auch wegen der zuletzt kräftigen Tariflohnsteigerungen – verschlechtert.
Die Mitarbeiter wiederum brauchen sich um ihre Kaufkraft kaum Sorgen zu machen, die Teuerung ist schon länger extrem gering. Und fürs gesamte Jahr 2016 erwarten Kreditinstitute und Forschungseinrichtungen eine Inflationsrate von lediglich 0,8 Prozent (so der Mittelwert ihrer Prognosen), die Bundesbank rechnet sogar nur mit 0,5 Prozent.