München. Eine erfahrene Unternehmerin steht bei den laufenden Tarifverhandlungen in Bayern an vorderster Front: Angelique Renkhoff-Mücke ist Gesellschafterin und Vorstandsvorsitzende von Warema in Marktheidenfeld. Das Unternehmen ist Marktführer in Sachen Sonnenschutztechnik.

Als Verhandlungsführerin des Arbeitgeberverbands vbm zieht Renkhoff-Mücke nach den ersten beiden Runden (am 16. November in Schweinfurt und am 6. Dezember in München) eine kritische Zwischenbilanz.

Die Tarifverhandlungen sind erneut ergebnislos vertagt, ab Neujahr sind Warnstreiks möglich. Was ist die Perspektive?

Wir bedauern sehr, dass die IG Metall Bayern das von uns vorgelegte Angebot abgelehnt hat. Sie handelt da sehr unvernünftig. Ich möchte noch einmal ausdrücklich an unseren Verhandlungspartner appellieren, die Zukunft unseres Standorts im Blick zu behalten.

Offensichtlich hat die Gewerkschaft den Eindruck, sie könne diesmal besonders viel holen.

Ich kann nur davor warnen, aus der aktuellen Konjunkturlage völlig falsche Schlüsse zu ziehen. Wir haben bei uns bereits mit die höchsten Arbeitskosten der Welt. Und die IG Metall weiß doch von ihren Betriebsräten aus erster Hand, vor welchen immensen Herausforderungen Bayerns Metall- und Elektroindustrie (M+E) steht! Was sie investieren muss, um etwa die Digitalisierung zu meistern! In dieser Situation auf derart teuren Forderungen zu bestehen, ist destruktiv.

Was genau meinen Sie mit destruktiv?

Das Gesamtpaket aus den vorgelegten Entgelt- und Arbeitszeitvorstellungen ist ein Sprengsatz für die Tarifbindung. Die IG Metall nimmt mit ihren Forderungen bewusst in Kauf, dass Unternehmen das bewährte System des Flächentarifs infrage stellen. Obwohl gerade die Gewerkschaft die Tarifbindung immer wieder einfordert.

Die aktuelle Konjunkturlage ist doch gut. Lassen sich Kostensteigerungen da nicht verkraften?

So erfreulich die jüngsten Monatswerte bei Auftragseingang und Produktion waren: Wenn wir wollen, dass unsere Metall- und Elektro-Unternehmen auch in Zukunft erfolgreich bleiben, dann müssen wir auf die grundlegenden Kennzahlen im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz schauen. Dass die Produktivität mit den Lohnsteigerungen der letzten Jahre nicht annähernd Schritt gehalten hat, dass im Ergebnis die Arbeitskosten je Produkteinheit seit 2012 um 17 Prozent stiegen – davor kann die IG Metall doch nicht die Augen verschließen!

Trotzdem verkaufen sich die teuren Produkte aus Bayern in der Welt gut.

Das Bild ist nicht ungetrübt. Schauen Sie auf Großbritannien, immerhin nach den USA und China der drittwichtigste Auslandsmarkt für die bayerische M+E-Industrie: Der Brexit verunsichert, die Exporte ins Vereinigte Königreich liegen ein Zehntel niedriger als im Vorjahr. Auch beim stark schwankenden Export nach China gibt es keinen klaren Wachstumstrend. Und die protektionistischen Tendenzen in den Vereinigten Staaten stellen für viele Unternehmen die bisherige Exportstrategie infrage, das gilt über die ganze Bandbreite unserer Industrie.

Wie könnte aus Ihrer Sicht denn eine Lösung aussehen, die den Flächentarif für die Betriebe attraktiv hält und gar neue Mitglieder anzieht?

Es geht jetzt darum, dass wir die Dinge nicht überdrehen. Eine moderate Lohnerhöhung ist vertretbar, immerhin bedeutet unser Angebot im Kalenderjahr 2018 insgesamt 2,35 Prozent mehr Entgelt. Aber zugleich brauchen wir mehr Flexibilität. Die Arbeitszeit ist ein zentraler Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit – gerade in Zeiten der Digitalisierung und schnell schwankender Auftragslagen. Insbesondere brauchen wir die Möglichkeit für eine bedarfsorientierte und bezahlte Ausweitung des Arbeitszeitvolumens.

Also länger arbeiten …

Wenn das einvernehmlich geregelt wird: Warum nicht? Drei von zehn Mitarbeitern in Bayern wären daran durchaus interessiert – wie die IG Metall aus ihrer eigenen Großumfrage wissen müsste. Doch sie können dies aufgrund tarifvertraglicher Beschränkungen nicht. Wir streben daher an, die „13-Prozent-Quote“ jetzt aufzuheben: Diese Grenze beschränkt bisher den Anteil der Beschäftigten, die einzelvertraglich Arbeitszeiten von bis zu 40 Stunden pro Woche vereinbaren dürfen.

Für die Gewerkschaft ist das aber ein rotes Tuch.

Die Quote war vielleicht vermittelbar, als M+E-Arbeitsplätze knapp waren – aber nicht mehr heute. Für den Arbeitnehmer ist das doch eine attraktive Option: Sofern er zu der Vertragsänderung von 35 auf 40 Wochenstunden bereit ist und der Betrieb dafür auch einen Bedarf hat, würde das tarifliche Monatsentgelt auf einen Schlag um über 14 Prozent steigen.

Warum ist Ihnen das jetzt so wichtig?

Die Kapazitätsauslastung der Betriebe ist hoch, aber es fehlt vielerorts an Personal. Der Fachkräftemangel trifft die M+E-Industrie in besonderem Maße und hat vor allem im ländlichen Raum kritische Ausmaße angenommen. Aus unserer Sicht sollten daher Betriebe in Sondersituationen auch kollektiv Arbeitszeit und entsprechend das Entgelt erhöhen dürfen – mit Zustimmung des Betriebsrats. Und wo sich ein Beschäftigter die Arbeit frei einteilen kann, sollten die Zeitzuschläge entfallen: Das starre Zuschlagssystem hemmt flexible, für beide Seiten vorteilhafte Lösungen.

Die Gewerkschaft hat in Sachen Flexibilisierung eine ganz andere Vorstellung.

Der geforderte tarifliche Anspruch, die individuelle Arbeitszeit für bis zu 24 Monate von 35 auf 28 Wochenstunden zu reduzieren – ohne Begründungspflicht, mit Rückkehrrecht auf Vollzeit und teilweisem Entgeltausgleich – ist ein tarifpolitischer Irrweg. Ich kann nur wiederholen: Das ist unvernünftig, realitätsfern und völlig überzogen. Die Arbeit muss dann erledigt werden, wenn sie anfällt – sonst wandert sie dorthin, wo Arbeitskräfte verfügbar sind!

Die IG Metall argumentiert: So ein Anspruch sei nötig, damit Job und Familie besser zusammenpassen.

Dazu gibt es bereits heute zahlreiche tarifliche und gesetzliche Regelungen. Doch die von der IG Metall geforderte „verkürzte Vollzeit“ mit Teillohnausgleich ist eine ganz andere Nummer. In der Kombination würde das kaum zu Nettoverlust auf dem Konto führen, flächendeckende Nutzung wäre wahrscheinlich. Bayerns M+E-Betriebe bräuchten nach einer ersten überschlägigen Rechnung über 33.000 zusätzliche, gut qualifizierte Arbeitskräfte – die gar nicht zu finden sind. Einen Tarifvertrag, der so etwas vorsähe, könnten wir nicht unterschreiben.

Auch nicht, wenn die Gewerkschaft jetzt richtig Druck macht?

Der Teillohnausgleich würde nicht nur in unverantwortlicher Weise die Arbeitskosten erhöhen. Er wäre zudem ungerecht und rechtswidrig, er würde zu unterschiedlichen Stundenentgelten für gleiche und gleichwertige Tätigkeiten führen.

All das klingt nach einem richtigen Härtetest für die Tarifpartnerschaft. Rauft man sich noch zusammen?

Ich bin immer optimistisch. Im Moment ist die Situation festgefahren – jetzt ist es an der IG Metall, sich zu bewegen. Sie hat ein ureigenes Interesse daran, dass die Tarifbindung nicht infolge realitätsferner Vereinbarungen gefährlich zurückgeht. Wir als Arbeitgeber wollen am Ende der Verhandlungen einen wettbewerbsfähigen Tarifvertrag, der die Zukunftsfähigkeit der vielen guten Arbeitsplätze in Bayerns Metall- und Elektroindustrie sichert.

Tarifbindung: Ein hohes Gut

  • Wenn Entgelt, Arbeitszeit und weitere Themen durch Mindestbedingungen im Flächentarif geregelt werden, hält das Konflikte aus Betrieben heraus und schafft Planungssicherheit.
  • Tarifbindung ist – wie Mitgliedschaft in der Gewerkschaft – freiwillig. Tarifverträge müssen also attraktiv sein.
  • Sechs von zehn bayerischen M+E-Betrieben sind an den Tarifvertrag gebunden oder orientieren sich daran. Darunter fast alle Betriebe ab 500 Mitarbeiter – deshalb ist die Tarifbindung bezogen auf die Mitarbeiter noch deutlich höher.

Dieses AKTIV-Themen-Special bietet einen umfassenden Überblick mit Zahlen, Fakten und Hintergründen zur Tarifrunde. Hier geht’s zur Einführung.

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