Wie ist das Lebensgefühl von Menschen mit Migrationshintergrund? Sind sie gut integriert oder fühlen sie sich benachteiligt, an den Rand gedrängt. Wie beurteilen sie die Entwicklung des gesellschaftlichen Kilams in unserem land. Wovon träumen sie, wovor haben sie Angst, was beschäftigt sie? In aktiv nehmen drei von ihnen kein Blatt vor den Mund. Und halten dem land, in dem sie seit langem leben, damit den Spiegel vor.
Daniel Biefeld: „Die Gesellschaft hat sich extrem gewandelt“
Ausländerfeindlichkeit? Ja, auch mir ist das begegnet. Aber ganz ehrlich: Für mich war das nie ein echtes Thema. Nichts, vor dem ich jemals Angst gehabt hätte. Vielleicht liegt es daran, dass meine soziale Integration hier in Deutschland so vergleichsweise reibungslos lief. Durch Bildung, Offenheit und Teilhabe an der Gesellschaft habe ich das hinbekommen.
Und eins will ich ganz klar sagen: Ich finde, dass sich die deutsche Gesellschaft gerade in den letzten Jahren extrem gewandelt hat. Und zwar zum Positiven! Sie ist offener geworden. Ich mache das immer gern an meinem Sohn fest: In seiner Grundschulklasse sind zig Kinder mit Migrationshintergrund, aus ganz verschiedenen Nationen.
Die neue Offenheit unserer Gesellschaft spiegelt sich übrigens nicht unbedingt in der Politik, in der Zustimmung zu bestimmten Parteien. Ich kenne genügend Deutschrussen, die rechts wählen – auch wenn das widersinnig klingt.
Natürlich war’s für mich nicht immer leicht hier. Mit elf Jahren bin ich aus Sibirien nach Bayern gekommen, als Spätaussiedler. Plötzlich fand ich mich in der fünften Klasse einer Hauptschule auf dem Dorf wieder.
Mami, Papi, Hallo, Tschüss, das waren alle Wörter, die ich auf Deutsch kannte. Aber ich wollte was erreichen. Studieren. 2009 habe ich dann meinen Abschluss als Wirtschaftsingenieur gemacht, eineinhalb Jahre später beim Autozulieferer ZF hier in Passau angefangen.
Meine Freunde habe ich mir immer nach gemeinsamen Interessen ausgesucht, nach Werten, die wir teilen. Herkunft hat da nie eine Rolle gespielt. Ich war erfolgreicher Basketballspieler, später sogar Trainer. Mit meinen deutschen Freunden habe ich die Begeisterung für die Hip-Hop-Szene geteilt.
Insgesamt habe ich mich nie ausgegrenzt oder benachteiligt gefühlt. Vielleicht hat mir dabei auch geholfen, dass mein Name so deutsch klingt.
Ich finde, dass Zuwanderung das Leben hier unterm Strich bereichert. Und eines kann ich sicher sagen, auch deshalb: Ich bin stolz, in diesem Land zu leben.
Alfred Aidoo: „Der Ton ist rauer geworden“
Wenn du die Deutschen verstehen willst – schau auf ihre Fußball-Fans! Gewinnt ihr Team, begegnest du fröhlichen Menschen. Verliert es, siehst du die schlecht gelaunte Kehrseite. Es wechselt halt immer. Im Fußball wie in der ganzen Gesellschaft. Gerade überwiegen die mürrischen Gesichter. Und das macht mir Sorge.
Vor fast 25 Jahren bin ich aus Ghana im Dienste der Kirche nach Deutschland gekommen. Anfangs war ich einsam, vermisste meine Familie, das Essen. Das hat sich längst geändert.
Deutschland ist jetzt meine Heimat, ich denke und fühle deutsch, nicht nur, weil ich mittlerweile deutscher Staatsbürger bin. Ich schätze die Pünktlichkeit und Ordnung hier, alles ist so verlässlich. Ich mag Bratwurst mit Sauerkraut, unter Deutschen fühle ich mich oft wohler als unter Afrikanern. Wenn ich nach Ghana fliege, dann nervt mich das Chaos dort ziemlich schnell. So deutsch bin ich geworden.
Mein Leben in Deutschland spielt auf zwei Bühnen. Unter der Woche bin ich Metallarbeiter. Seit 20 Jahren stehe ich in einem Betrieb im Sauerland an einer Schleifmaschine. Mit den Kollegen verstehe ich mich bestens, Probleme wegen meiner Hautfarbe hat es nie gegeben.
Am Wochenende bin ich Pastor, leite eine evangelische Kirchengemeinde in Neuss. Im Prinzip bewege ich mich in Blasen. Hier die vertrauten Kollegen, dort die Kirchgänger, die ja meist offen und sozial eingestellt sind. Fremdenfeindlichkeit begegnet man da eigentlich nicht.
Außerhalb der Blasen sieht das anders aus. Es gibt Ecken in der Stadt, an denen ich spüre, dass ich nicht willkommen bin. Aber ich verstecke mich nicht.
Ich finde, der Ton in Deutschland ist in den letzten Jahren rauer geworden. Manche Äußerungen rechter Politiker in den Parlamenten erschrecken mich. Ich sorge mich um meine drei Kinder. Alle sind hier geboren, alle sind Deutsche. Wenn das hier so weitergeht und sie vielleicht eines Tages hier nicht mehr leben können – wo sollen sie hin?
Um der neuen Ruppigkeit entgegenzuwirken, stelle ich mich ihr. Ich suche das Gespräch. Setze mich ein. Als Teil einer Gesellschaft, die nur funktionieren kann, wenn alle ihren Beitrag leisten.
Nuredin R.: „Ihr wollt mich hier nicht“
Ich weiß genau, dass ihr mich hier eigentlich nicht wollt. Das spüre ich. Und manchmal sagt man mir das ins Gesicht: „Verpiss dich, verschwinde hier, geh nach Hause.“ Aber wisst ihr, was euer Pech ist? Mein Zuhause ist hier!
Meine Eltern stammen aus Tunesien. Seit vielen Jahren leben sie hier, aber die deutsche Sprache ist immer noch nicht so ihr Ding.
Ich bin hier geboren, ich hab einen deutschen Pass, aber ich fühle mich als Tunesier. Wenn ich könnte, würde ich hier sofort abhauen, nach Tunesien. Aber da gibt es keine Arbeit, auch deshalb kamen in den letzten Jahren ja so viele von uns hierhin.
Die müssen jetzt sehen, wie sie in Deutschland überleben. Ich kenne auch viele, die Sachen machen, die nicht erlaubt sind. Und? Die müssen halt klarkommen.
Ich selbst versuche, mich da rauszuhalten. Weil ich keinen Ärger will. Meine Eltern haben einen kleinen Laden, da arbeite ich mit. Ich kassiere, fülle Sachen in die Regale, ich fahr zum Großmarkt.
Reich wird man damit sicher nicht. Es nervt mich, dass ich immer so wenig Geld habe. Und so leben wie mein Vater will ich auch nicht. Der steht den ganzen Tag in seinem Laden.
Einen Schulabschluss hab ich nicht, eine Ausbildung auch noch nicht. Ich hab mich mal beworben, als Automechaniker. Da kam aber keine Antwort. Deutsche wollen nur Deutsche, sag ich mir. Ich hab keine Chance, was soll machen?
Wenn ich freihabe, dann treffe ich mich mit Freunden. Wir hängen dann meist am Bahnhof ab. Deutsche sind da nicht dabei. Wenn Leute an uns vorbeigehen, gucken die immer auf den Boden.
Manchmal gibt es Ärger mit der Polizei oder dem Ordnungsamt. Die sagen, wir sollen uns benehmen. Aber machen können die eh nichts. Gehen wir halt, am nächsten Tag sind wir wieder da.
Für Politik interessiere ich mich nicht, die ändern ja sowieso nichts. Vielleicht geh ich irgendwann nach Amerika. Als Rapper oder so. Das stell ich mir cool vor.