Köln. Leuchtend liegt er da, führt von der gläsernen Eingangstür in die Mitte des schlauchartigen Ladenlokals: ein roter Teppich. Ausgerollt hat ihn Frank Lambertin, Inhaber eines alteingesessenen Foto-Fachgeschäfts in der Kölner Innenstadt. Und der Chef glaubt daran, dass die Kunden wegen der Anfang Juli in Kraft getretenen Mehrwertsteuersenkung wieder vermehrt über den roten Teppich schlendern, um dann Kameras und Ausrüstung zu shoppen. „Ich denke schon“, sagt er, „dass der Konsum wieder etwas anziehen wird und auch wir davon profitieren können.“ Pause, dann: „Also, hoffentlich. Aber was weiß man schon sicher, in diesen Zeiten?“

 

Fotohändler Frank Lambertin: Er hofft nach dem herben Corona-Einschnitt auf bessere Geschäfte.

Steuereinnahmen sinken um etwa 20 Milliarden Euro

Eines weiß man schon: Besonders sind sie, diese Corona-Zeiten. So besonders, dass die Bundesregierung unlängst ein umfassendes Konjunkturpaket zur Stabilisierung der angeknockten Wirtschaft auf den Weg brachte. Herzstück: Die schnelle und befristete Senkung des Mehrwertsteuer-Regelsatzes von 19 auf 16 Prozent. Und des ermäßigten Satzes, der etwa für viele Lebensmittel gilt, von 7 auf 5 Prozent. Bis Ende des Jahres.

Ziel der Maßnahme: Die wegen Corona heftig eingebrochene Konsum-Konjunktur wieder so richtig anzukurbeln. „Es geht jetzt darum, mit Wumms aus der Krise zu kommen“, so Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Klar ist: In jedem Fall wird’s teuer für Vater Staat. Experten haben berechnet, dass wegen der Mehrwertsteuersenkung am Ende des Jahres etwa 20 Milliarden Euro in der Staatskasse fehlen werden.

Was bringt er denn wirklich, der „Wumms“? Reißt uns das raus? Oder ist das doch eher der berühmte teure Tropfen auf den heißen Stein?

Ökonomen sind sich an dieser Stelle nicht ganz einig. Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, hält das Ganze für eine gute Idee: „Die Mehrwertsteuersenkung kann im zweiten Halbjahr den Konsum wiederbeleben und so einen wichtigen Impuls geben.“ Professor Lars Feld, Leiter des Freiburger Walter-Eucken-Instituts und Vorsitzender der fünf Wirtschaftsweisen, gibt da aber gleich zu bedenken: „Die temporäre Mehrwertsteuersenkung kann ihre Wirkung für die Konsumenten ja nur entfalten, wenn sie auch in den Preisen an die Verbraucher weitergegeben wird.“

Mehrwertsteuer-Senkung: mehr Fragen als Antworten

Und das ist keinesfalls sicher. Zwar haben zahlreiche Lebensmittelketten, Discounter und Drogerieketten ihre Preise teilweise schon vor dem Stichtag 1. Juli gesenkt. „Bei uns erfolgt der Rabatt ganz unbürokratisch direkt an der Kasse“, heißt es dazu auf Nachfrage etwa aus der Firmenzentrale des Großdrogeristen dm.

Aber: Eine gesetzliche Verpflichtung zur Preissenkung, also zur Weitergabe des Steuervorteils, gibt es nicht (in unserer Sozialen Marktwirtschaft soll der Staat ja generell keine Preise vorgeben). Die Handelsberatung BBE hat eine Umfrage unter kleineren und mittleren Nonfood-Einzelhändlern gemacht. Ergebnis: Rund ein Fünftel der befragten Händler gab an, die Steuersenkung nicht oder nur teilweise an die Kunden weitergeben zu wollen.

Experte: Handel sollte Preise gar nicht senken

Verbraucher mag das ärgern. Aus Sicht des Handels aber hält der renommierte Wiener Pricing-Experte Roman Kmenta eine solche Zurückhaltung sogar für angebracht. „Ich kann jedem Händler nur raten, die 3 Prozent in die eigene Tasche zu stecken“, sagt er im Gespräch mit aktiv. Zu groß sei oft der Druck durch den Online-Handel, zu klein seien die Gewinnmargen, zu heftig die Verluste durch den Lockdown. Und: „Preispsychologisch locken 3 Prozent heute niemanden mehr hinter dem Ofen hervor“, so der Experte, die Verbraucher seien dafür zu abgestumpft. „Im Handel sind Rabatt-Aktionen von 20, 30 Prozent normal. Für eine echte Nachfragebelebung hätte man die Mehrwertsteuer dann wohl ganz streichen müssen.“

Das hat der Staat zwar nicht getan. Aber vielleicht was ins Rollen gebracht. Denn: Vom Baumarkt über Elektronik-Ketten bis zu Autobauern überbieten sich immer mehr Unternehmen bereits mit satten Rabatten. Motto: „Wir schenken Ihnen die Mehrwertsteuer!“

Bringt der Wumms also doch, was er soll? Für eine Bilanz ist es viel zu früh. So rechnet man beim Einzelhandelsverband HDE damit, dass der Steuernachlass besonders im wichtigen Herbst- und Weihnachtsgeschäft seine Wirkung entfalten werde. „Dann werden mehr großvolumige Einkäufe gemacht, etwa der neue Fernseher“, sagt HDE-Chef Stefan Genth.

In Großbritannien war die Steuersenkung ein Erfolg

Mut macht zudem eine Erkenntnis aus Großbritannien. Zur Bekämpfung der Folgen der Finanzkrise 2008/09 senkten die Briten seinerzeit vorübergehend die Mehrwertsteuer. Einer Studie zufolge stieg der reale Inlandskonsum damals um immerhin 1 Prozent.

Mal abwarten also, was die Maßnahme am Ende bringt. So sieht es auch Foto-Fachhändler Lambertin. Vor allem ist er froh, dass überhaupt wieder Foto-Artikel über die Ladentheke gehen dürfen. Sein Großvater habe den Laden nach dem Krieg gegründet, erzählt er, nie sei das Geschäft danach geschlossen gewesen: „Kein Hochwasser hat das geschafft, kein Karneval. Nur Corona.“