Brüssel. Anfang November hat er wieder vernehmlich geschlagen, in vielen Städten: der „Puls Europas“. Unter diesem Motto gibt’s regelmäßig Demonstrationen und Veranstaltungen – nicht gegen, sondern für etwas: für Europa.

Voriges Jahr haben Frankfurter Privatleute die Aktion angeschoben, zeitweise demonstrierten Zehntausende (pulseofeurope.eu/de). „Wir sind überzeugt“, betonen die Macher, „dass die Mehrzahl der Menschen an die europäische Idee glaubt und sie nicht nationalistischen und protektionistischen Tendenzen opfern möchte.“

Das bestätigt klar die jüngste europaweite Umfrage „Eurobarometer“. 68 Prozent fühlen sich demnach als EU-Bürger – „der höchste je gemessene Wert“, in Deutschland sind es 82 Prozent. Genauso stark ist bei uns die Unterstützung für den Euro. In der Eurozone insgesamt liegt diese bei 73 Prozent – „der höchste Wert seit 2004“.

Kein Wunder: Die EU erlebt einen anhaltenden wirtschaftlichen Aufschwung, die Arbeitslosigkeit ist gesunken. „Mit 235 Millionen Menschen sind mehr Menschen in Beschäftigung als je zuvor“, stellt Jean-Claude Juncker fest, der Präsident der Europäischen Kommission.

Er hat kürzlich in einer wegweisenden Rede aufgezeigt, wie Europa vorankommen und auch „mehr Gewicht auf der Weltbühne“ erlangen soll. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron trug kurz darauf ein noch visionäreres Programm vor – nach eigenen Worten im Einvernehmen mit Kanzlerin Angela Merkel „über die wesentlichen Punkte“. Es gelte, so Macron, aus der Eurozone „eine Wirtschaftsmacht zu machen, die mit China und den USA konkurrieren kann“.

Ideen und Vorschläge gibt es also jede Menge. Zugleich aber auch schon viele ganz konkrete Vorhaben für „mehr Europa“. Wichtige Punkte im Überblick:

Mehr Schlagkraft

Die militärische Kooperation wird gerade deutlich vertieft. Mit der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit“ (englisch kurz „Pesco“) und einem milliardenschweren neuen Verteidigungsfonds sollen möglichst viele Staaten Rüstungsprojekte gemeinsam umsetzen, aber auch konkrete Missionen. Deutschland ist dabei. Bis 2025 will Juncker „eine funktionierende Europäische Verteidigungsunion“.

Er plädiert auch für neue Abstimmungsregeln in Fragen der Außenpolitik – wo bisher normalerweise Einstimmigkeit der Staaten nötig ist. „Wir brauchen Mehrheitsentscheidungen, um effizient arbeiten zu können.“ Macron möchte eine Europäische Zivilschutztruppe für Katastrophenfälle, „in der wir unsere Rettungs- und Einsatzmittel bündeln“.

Mehr Sicherheit

Soeben verabschiedet: die elektronische Registrierung aller Nicht-EU-Bürger, die eine EU-Außengrenze überqueren. Dieses „Entry-Exit-System“ speichert Fotos und Fingerabdrücke, 2020 soll es startklar sein. Macron möchte auf Dauer „eine europäische Grenzpolizei, die überall in Europa für strikte Grenzsicherung sorgt“. Und eine „echte Europäische Asylbehörde, die unsere Verfahren beschleunigt“. Die vor kurzem beschlossene Europäische Staatsanwaltschaft EPPO könnte auch für die Bekämpfung von grenzüberschreitendem Terrorismus zuständig werden.

Um den Schutz gegen Online-Angriffe zu verbessern, schlägt die EU-Kommission unter anderem eine Europäische Agentur für Cybersicherheit vor: „Was Cyberangriffe angeht, ist Europa nicht gut genug gerüstet“, warnt Juncker.

Mehr Stabilität

Die Währungsunion soll politisch gestärkt werden. Daher könnte es bald einen europäischen Finanzminister geben: einen aufgewerteten EU-Kommissar, der dann zugleich Vorsitzender der Finanzminister-Runde „Euro-Gruppe“ wäre. Im Dezember will Juncker das präziser erklären. Und auch, wie der mit gigantischen Geldmengen ausgestattete Krisenrettungstopf ESM „schrittweise zu einem Europäischen Währungsfonds ausgebaut“ werden könnte.

Diese stärkere Institution wäre, jedenfalls nach Vorstellungen aus Deutschland, auch für die Überwachung der Finanzdisziplin zuständig und könnte so mit dafür sorgen, dass die Wirtschaft in den EU-Ländern krisenfester, stabiler und leistungsfähiger wird.

Schon länger in Arbeit ist die Vervollständigung der sogenannten Bankenunion. Sie soll dafür sorgen, dass kriselnde Banken nicht mehr mit Steuergeld gerettet werden müssen. Für die Überwachung wie für die Abwicklung im Pleitefall gibt es schon Instrumente. Anderes steht noch aus, etwa eine europäische Einlagensicherung. Die kann es laut Juncker erst geben, „wenn jeder seine nationalen Hausaufgaben gemacht haben wird“.

Mehr Binnenmarkt

Der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen innerhalb der EU soll verbessert werden. Etwa durch die „Energieunion“: Strom soll problemloser über Grenzen fließen, Ökostrom möglichst in den normalen Markt integriert und seine Förderung zunehmend grenzüberschreitend ausgeschrieben werden.

Auch auf dem Weg zu einem „digitalen Binnenmarkt“ gibt es Fortschritte. Konkret erlebbar war das im Juni mit dem Wegfall der Roaming-Gebühren für die Handy-Nutzung im EU-Ausland. Weitere Beispiele: Ab 2018 soll jeder seine Online-Abos etwa für Filme oder Musik auch auf Reisen in der EU uneingeschränkt nutzen dürfen. Grenzüberschreitende Paketlieferungen sollen günstiger werden. Nicht personenbezogene Daten sollen ungehindert fließen dürfen; das hilft den Unternehmen, die bisher oft dieselben Daten in verschiedenen Staaten sichern müssen.

Mehr Binnenmarkt – dazu gehört nach Macrons Visionen sogar eine „neue Partnerschaft“ speziell mit Deutschland: „Warum nehmen wir uns nicht vor, bis 2024 unsere Märkte vollständig zu integrieren, indem wir unsere Unternehmen denselben Regeln unterwerfen, vom Gesellschaftsrecht bis zum Konkursrecht?“

Mehr Freihandel

Freiere Bahn für Ex- und Importe: Das Handelsabkommen Ceta zwischen der EU und Kanada ist seit kurzem vorläufig in Kraft. Die Verhandlungen mit Japan nähern sich gerade dem Ende, mit dem Abkommen Jefta könnten Zölle und andere Handelsschranken ab 2020 weitgehend fallen. Zudem modernisiert die EU ein veraltetes Abkommen mit Mexiko und arbeitet an einem neuen Vertrag mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay. Verhandlungen mit Australien sowie mit Neuseeland dürften bald beginnen.

Mehr Mitglieder

Erst mal werden es weniger: Nach dem Brexit, dem Austritt Großbritanniens im März 2019, wird die EU nur noch 27 Mitglieder haben. Aber dabei soll es nicht bleiben, wie Juncker betont: Serbien und andere Balkanstaaten müssten eine „glaubhafte Perspektive“ für den Beitritt haben. Auch die Eurozone soll größer werden: „Der Euro ist dazu bestimmt, die einheitliche Währung der Europäischen Union als Ganzes zu sein.“

Das alles ist freilich sehr langfristig gedacht. Vieles andere will man noch bis zur Europawahl im Mai 2019 auf den Weg bringen. Juncker: „Uns öffnet sich jetzt ein Fenster der Möglichkeiten.“