Köln. Der Deutsche Gewerkschaftsbund moniert ein „Massenphänomen“. Und SPD-Chef Martin Schulz verstieg sich als Kanzlerkandidat im Wahlkampf gar zu der Behauptung, 40 Prozent der 25- bis 35-Jährigen hätten nur befristete Arbeitsverträge.
Sind Befristungen tatsächlich auf dem Vormarsch? „Ach was“, sagt Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte im Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW): „Tatsächlich liegt ihr Anteil seit mehr als zehn Jahren konstant bei rund 10 Prozent.“
Betriebe brauchen Spielraum
Zwar legte die Befristungsquote bei den Neueinstellungen zuletzt leicht auf 45 Prozent (2016) zu. „Langfristig ist aber auch hier kein steigender Trend erkennbar“, betont Schäfer. Auf Dauer wechseln ohnehin die allermeisten befristet Beschäftigten in ein zeitlich unbegrenztes Arbeitsverhältnis, wie die Statistik zeigt (siehe Grafik).

Und manche Arbeitsplätze würden ohne Befristung gar nicht erst entstehen. Die Betriebe nutzen diese Möglichkeit, wenn sie nicht sicher sind, ob ein bestimmter Geschäftszweig auf Dauer trägt. „Wenn eine Aufgabe nicht mit flexibler Arbeit erfüllt werden kann, schlägt manches Unternehmen sie unter Umständen ganz aus“, so Schäfer.
Der Wunsch nach mehr Flexibilisierung komme zudem auch aus der Politik oder von den Mitarbeitern selbst: „Wenn die Betriebe Elternzeit, Teilzeitphasen oder Sabbaticals bieten sollen, brauchen sie Gestaltungsmöglichkeiten, um für einen entsprechenden Ausgleich zu sorgen.“
Daher liegt die Quote der Befristungen insgesamt weit unter deren Anteil bei den Neueinstellungen. Auch drei Viertel der unter 30-Jährigen arbeiten unbefristet. Bei ihnen ist der Anteil der Befristungen im Vergleich der zurückliegenden Jahre sogar etwas gesunken.
Also alles prima? Nein. So mancher in der Politik schreibt sich den Kampf gegen die „sachgrundlose Befristung“ weiter auf die Fahnen. Sie kann nur bei Neueinstellungen angewendet werden, die zeitliche Obergrenze liegt bei zwei Jahren. Vor allem kleinere Betriebe setzen dieses Instrument ein, weil es juristisch kompliziert ist, eine sachliche Begründung zu liefern. Diesen Aufwand würde so mancher Arbeitgeber scheuen, erklärt Schäfer. Ein ganz einfacher Sachgrund ist zum Beispiel die Vertretung während einer Elternzeit.
„Eine Verkettung mehrerer Befristungen darüber hinaus ist nicht möglich“, so der Arbeitsmarktexperte. Schon deshalb gebe es keinen Handlungsbedarf: „Die Politik sollte vom Arbeitsmarkt einfach mal die Finger lassen.“
Flexibilisierung als Chance: Das gilt auch für die Zeitarbeit. „Ihr Anteil an der Beschäftigung insgesamt beträgt rund 3 Prozent“, so Schäfer, „allerdings hat die Zeitarbeit zuletzt überproportional zugelegt.“ Das sei normal in Zeiten eines boomenden Arbeitsmarkts: „Es ist mitunter schwierig, auf anderem Weg schnell Mitarbeiter mit einer bestimmten Qualifikation zu finden.“
Ein weiteres Reizwort in der Beschäftigungsdebatte: der Nebenjob. Einen solchen haben 3,2 Millionen Menschen hierzulande. Sie profitieren davon, dass ein Minijob steuer- und sozialabgabenfrei ist.
Und, das betont Schäfer besonders: „Vollzeitbeschäftigte mit Nebenerwerb haben ein höheres Bruttoeinkommen und einen höheren Stundenlohn als die ohne Zweitjob.“ Auch hier besteht also kein Handlungsbedarf.