Rheda-Wiedenbrück. Hier trägt der Tod Pink. In der parkhausgroßen Halle drängen sich Dutzende Schweine in stallähnlichen Boxen. Auf ihren Rücken prangt ein rosafarbener Strich: schlachtreif. Von der Hallendecke kommt grünes Licht, dazu Musik, Phil Collins, in der Panflöten-Version. Das soll die Tiere entspannen, bevor ihr Henker kommt. Hier, in Europas größtem Schlachthof, der Fleischfabrik Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, Westfalen. Bevor man Hackfleisch aus ihnen macht. Oder Bratwürste, Koteletts, Nackensteaks.

Die Viecher müssen also gleich dran glauben. Weil Deutschland Hunger hat. Auf Fleisch!

Veggie-Wurst und Tofu-Trend, vegane Supermärkte in den Innenstädten – das ändert alles nichts an unserer Fleischeslust. Laut der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung verzichtet zwar jeder zehnte Haushalt bewusst auf Fleisch. Hübsche Zahl. Die man besser so liest: 90 Prozent der Deutschen läuft bei Gegrilltem und Co. nach wie vor das Wasser im Munde zusammen.

Nach der Betäubung kommt der Stecher mit dem Rundmesser

Und wir langen ordentlich zu. Laut Statistik futtert jeder Deutsche pro Jahr über 60 Kilo Fleisch. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr hierzulande 8,2 Millionen Tonnen produziert. Rekord! Besonders begehrt sind Produkte vom Schwein. Fast 60 Millionen Borstenviecher ließen 2015 dafür ihr Leben.

Die Zeiten quasi-romantischer Hausschlachtung sind längst vorbei – produziert wird am Fließband, von einer Industrie mit insgesamt über 80.000 Mitarbeitern in Deutschland. Nirgendwo lässt sich deren fein austariertes Räderwerk besser beobachten als bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. 6.500 Beschäftigte allein an diesem Standort, das Gelände ist so groß wie 50 Fußballfelder.

„Wir schlachten hier täglich bis zu 25.000 Schweine“, sagt Jörg Altemeier. Der Tierarzt und Chemiker ist im Werk zuständig für die Einhaltung der strengen Tierschutz-Bestimmungen.

Während er das sagt, bugsiert eine bewegliche Stahlwand eine Gruppe von neun Schweinen auf einen Aufzug zu. Die Tiere quieken aufgeregt, es hilft ihnen nichts. Für sie geht die Fahrt hinunter in eine Grube. Darin: Kohlendioxid, schwerer als Luft. „Über 90-prozentige Konzentration, weit mehr, als der Gesetzgeber verlangt“, sagt Altemeier nüchtern. Nach knapp zwei Minuten sind die Schweine betäubt, sie purzeln sackschwer auf ein Fließband. Ein Arbeiter schlingt ihnen eine Metallkette um den Hinterlauf, sie hievt die gut 100 Kilo schweren Tiere in die Höhe zur nächsten Station.

Der wenig pietätvolle Name: Stechkarussell. Der „Stecher“, wie alle Mitarbeiter hier im Riesenwerk ganz in Weiß gekleidet, rammt dem bewusstlosen Tier ein Rundmesser in die herznahen Gefäße. Durch den angeschlossenen Schlauch schießt das Blut. Das Tier ist tot.

Spätestens jetzt ist aus dem Geschöpf eine Ware geworden. Von der sie hier nichts verschwenden. „Wir zerlegen die Tiere in bis zu 270 Teile“, sagt Altemeier beim Gang durch die Produktion.

Was hierzulande eher Ekel als Appetit hervorruft, gilt in anderen Teilen der Welt als Delikatesse. „Köpfe und Füße, Knorpelteile, Asiaten lieben das“, verrät er. Der Rest wird anderweitig verarbeitet. Augen dienen als Kollagen-Lieferant für die Kosmetik-Industrie, Darmschleimhäute liefern Grundstoffe für Arzneien.

Nächster Schritt: Inzwischen hat ein Brühbad die Borsten der Tiere gelöst. Ein Arbeiter öffnet mit einem Schnitt den Bauch, sieben Sekunden später landen die Gedärme in einer Metallwanne. Sofort geht die Reise weiter, Kreissägen teilen die Schweine laservermessen in gleich große Teile.

Alles hier ist sekundengenau durchgetaktet. In der Zerlegehalle lassen 400 meist osteuropäische Fleischhandwerker für 8,75 Euro die Stunde die Messer kreisen. In zwei Schichten, vom Morgengrauen bis Sonnenuntergang. Dann erst ruhen die Klingen – und es wird sauber gemacht.

Jeden Tag 850 Tonnen Frischfleisch

Nur Stunden nach der Schlachtung finden sich die Einzelteile der Schweine im Kühlhaus wieder, zu Palettentürmen gestapelt, fertig für Supermarkt und Metzgertheke. 850 Tonnen Frischfleisch. Jeden Tag. Ist das ethisch? Dieses Schlachten im Akkord? Tönnies-Tierarzt Altemeier sagt es so: „Wer Fleisch essen will, muss akzeptieren, dass dafür Tiere sterben.“

In Deutschlands Gärten und Parks qualmen jetzt wieder die Grills. Die Akzeptanz – sie ist da.