München. In den ersten beiden Tarifverhandlungen für die bayerische Metall- und Elektroindustrie (M+E) gab es noch keine Annäherung. Die Gewerkschaft, die einen Anstieg der Entgelte um 5 Prozent gefordert hatte, gibt sich kämpferisch und droht nach dem Ende der sogenannten Friedenspflicht mit Warnstreiks. Der Arbeitgeberverband vbm verweist auf die hohen Kostensteigerungen der letzten Jahre und warnt davor, jetzt den Standort Bayern weiter zu schwächen (siehe Beitrag unten: „Warnstreiks werden gefährlicher“).
„Wir stehen in der Tarifpolitik an einem Scheideweg“, sagt Angelique Renkhoff-Mücke, die Verhandlungsführerin des vbm. Die Fakten zur Tarifrunde 2016 im Überblick:
M+E-Beschäftigte verdienen gut
Der Wohlstand ist weiter gewachsen: Allein in den letzten vier Jahren stiegen die um die Teuerung bereinigten Reallöhne um fast 10 Prozent. Ein durchschnittlicher Tarifbeschäftigter kommt inzwischen auf ein Jahresbrutto von rund 56.000 Euro (Weihnachts- und Urlaubsgeld inklusive). Auch im langfristigen Vergleich wird deutlich: Wer in der Metall- und Elektroindustrie arbeitet, dem geht es laufend besser – selbst wenn man von Gehaltserhöhungen durch persönliches berufliches Vorankommen absieht. Im Schnitt stiegen die Tarifentgelte von 1991 bis 2015 um 91 Prozent, die Verbraucherpreise in Bayern nur um 52 Prozent.
Arbeit in Deutschland ist sehr teuer
Pro Stunde muss der Betrieb natürlich viel mehr fürs Personal ausgeben als „nur“ das Bruttoentgelt: Rechnet man die Sozialbeiträge der Arbeitgeber dazu, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Beteiligung an der Altersversorgung und alle weiteren Extras, dann kommt man für Deutschland auf durchschnittliche M+E-Arbeitskosten von 42,84 Euro pro Stunde. Das hat gerade das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) für das Jahr 2015 errechnet.
Zum Vergleich: In Italien betragen die M+E-Arbeitskosten pro Stunde 28,85 Euro, in Tschechien 10,46 Euro und in Polen 8,49 Euro.
Der Standort D ist also sehr teuer. Das wird auch deutlich, wenn man die Lohnkosten je Produkteinheit betrachtet, die Lohnstückkosten. Der Befund des IW lautet: Nach diesem wichtigen Maßstab steht die etablierte ausländische Konkurrenz deutlich besser da – ihre Lohnstückkosten liegen im Schnitt um 11 Prozent unter dem deutschen Niveau.
Betriebe kommen kaum noch voran
Während die Löhne kräftig zulegten, ist der Spielraum der Unternehmen für ihre Finanzierung fast unverändert. Die gesamtwirtschaftliche Produktivität, die in Tarifrunden von beiden Seiten als wichtiger Maßstab akzeptiert wird, stieg in den letzten fünf Jahren gerade mal um gut 2 Prozent.
Bei M+E ist die Produktivität sogar leicht gesunken. Und Umfragen zeigen eine geringe Dynamik im Inland. Die Investitionen finden eher im Ausland statt – wo jedes zweite bayerische M+E-Unternehmen inzwischen einen (in der Regel profitableren) Standort hat.
Für die Weltwirtschaft gibt es große Risiken
Bayerns Metall- und Elektroindustrie produziert zu 80 Prozent Investitionsgüter, und sie macht 60 Prozent ihres gesamten Umsatzes im Ausland. Die Ausrichtung auf die globalen Wachstumsmärkte begründet ihren Erfolg, heißt aber auch: Die konjunkturelle Lage weltweit spielt eine größere Rolle als die im Inland – zumal der aktuelle Anstieg des Bruttoinlandsprodukts hierzulande vor allem konsumgetrieben ist. Die Prognosen für das globale Wirtschaftswachstum wurden zuletzt mehrfach nach unten korrigiert. Alarmierend ist vor allem die negative Entwicklung in China und anderen Schwellenländern.
Flächentarifvertrag: Es geht um Mindestbedingungen
Wie der einzelne M+E-Betrieb in Bayern dasteht, hängt nicht nur von seinen Absatzmärkten ab, sondern auch von Branche und Produkt. Diese Heterogenität ist auf ein früher nicht gekanntes Maß gestiegen. Der Flächentarifvertrag muss wieder Mindestbedingungen für die Gesamtheit der Firmen abbilden, und es darf nicht überzogen werden: Er muss für alle tragbar sein.
Flexible Elemente machen Flächentarif attraktiver
Den Flächentarif mit seiner friedensstiftenden Wirkung zu stärken, ist ein Anliegen beider Tarifparteien. Dazu muss er attraktiver werden, das heißt, vor allem flexibler. Das hilft dem einzelnen Betrieb, Kostenbelastungen je nach Markt- und Geschäftslage abzufedern – und so die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.
Insgesamt warnt der Arbeitgeberverband davor, einen großen Erfolg zu verspielen. Das hohe Beschäftigungsniveau müsse erhalten und ausgebaut werden. Dazu müsse man die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen stärken – statt immer weiter auf überhöhte Entgeltsteigerungen zu setzen.
Warnstreiks werden gefährlicher
Experte: Neues Konzept bringt „empfindliche Störungen über den Tag hinaus“
Köln. Wenn jetzt wieder von Warnstreiks die Rede ist, drohen deutlich höhere Schäden als in vergangenen Tarifrunden. Die Gewerkschaft IG Metall plant, die Aktionen auf bis zu 24 Stunden auszuweiten. Das schädigt die Unternehmen, den Standort und damit letztlich die Mitarbeiter.
„Das wäre eine neue Eskalationsstufe mit neuen Gefahren“, sagt Hagen Lesch, Experte für Tarifthemen am Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW). „Eine so lange Unterbrechung des Produktionsflusses und der in der Industrie eng getakteten Logistikkette bringt empfindliche Störungen über den Tag hinaus.“
Mit dem neuen Warnstreik-Konzept gehe es der IG Metall vor allem um „organisationspolitische Interessen“, beobachtet Lesch. „Zur Legitimation der Tagesstreiks setzt die Gewerkschaft auf betriebliche Abstimmungen – und spekuliert dabei auf neue Mitglieder.“
Dies wird nicht zuletzt auch durch diese Tatsache verdeutlicht: Die IG Metall beabsichtigt, bei Tagesstreiks – anders als bei Warnstreiks der bisherigen Form – Streikunterstützung zu gewähren.
Allerdings, so merkt der Experte an: „Wenn die IG Metall die Konflikte stärker in die Betriebe verlagert, schwächt sie den Flächentarifvertrag, der Konflikte ja gerade aus den Betrieben heraushält.“
Das Thema reicht über den Tag hinaus. Neue Eskalationsstufen werfen Fragen zur Verhältnismäßigkeit auf – und zum Umgang mit einer neuen Streikkultur, die langfristig die bayerische Metall- und Elektroindustrie gefährdet.