München. Gleitzeit statt große Pause, Meetings mit Erwachsenen statt Unterricht für Fünftklässler: In diesem Schuljahr ist für Michaela Völkl (34) alles ganz anders. Sie tauscht ihre Stelle als Biologie- und Chemielehrerin am Münchner Michaeli-Gymnasium für ein ganzes Jahr gegen einen Job bei dem Triebwerkhersteller MTU. „Ich bin gespannt, welche Erfahrungen ich bis nächsten Sommer machen werde“, sagt Völkl, die inzwischen seit ein paar Wochen im Betrieb ist.„Ich will wissen, wie ein Unternehmen tickt.“
So einen Perspektivenwechsel machen die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) und das bayerische Kultusministerium jedes Jahr für bis zu zehn Gymnasiallehrer möglich. „Lehrer in der Wirtschaft“ heißt das bundesweit einmalige Projekt, das Schulen und Firmen zusammenbringt. Seit 2001 haben bereits 117 Lehrkräfte aus 110 Gymnasien einen Einblick in rund 40 bayerische Betriebe bekommen. Dafür werden die Lehrkräfte beurlaubt, die Unternehmen übernehmen in dieser Zeit die Besoldungsleistungen.
Mehr Verständnis für die Prozesse in der Wirtschaft
Das Ministerium schätzt den Wissenstransfer in beide Richtungen. Auch aus Sicht der Wirtschaft ist der Austausch ein Gewinn für beide Seiten: Die Unternehmen lernen ganz nebenbei die Arbeit an den Schulen etwas besser kennen – und wer als Lehrer teilnimmt, kann gleich in mehreren Schülergenerationen das Verständnis für Prozesse in der Wirtschaft stärken. Und praxisnäher als zuvor zur Berufsorientierung beitragen.
Völkl, seit acht Jahren im Schuldienst, bestätigt: „Meine Schüler bitten mich oft um Rat, wenn es darum geht, was sie später als Beruf wählen sollen – aber als Lehrer weiß man gar nicht so genau, was in den Firmen gefordert ist.“ Schon nach ein paar Wochen bei MTU hat sie erkannt: „Nicht nur Wissen zählt, auch Selbstständigkeit und Teamarbeit sind im Betrieb wichtig.“ MTU ist seit Beginn des Projekts dabei und hat bereits ein gutes Dutzend Lehrer eingesetzt, primär im Personalbereich.
„Die Lehrkräfte sind flexibel und hoch motiviert“, so Fritz Matulla, Leiter Personal- und Organisationsentwicklung von MTU. „Das macht sie für uns zu wertvollen Mitarbeitern auf Zeit.“ Völkl etwa beschäftigt sich mit dem Gesundheitsmanagement, für sie als Biologin besonders interessant.
Sie bewirbt im Intranet Rückenschule und Gesundheitstage, organisiert Kurse zu Entspannung oder Ernährung und ist für die begleitende Kommunikation verantwortlich. Auch hier geht’s – wie im Klassenzimmer – darum, andere zum Mitmachen zu motivieren. Ungewohnt waren für die Lehrerin anfangs die vielen Abstimmungsprozesse im Unternehmen: „Zu allen Fragen werden Experten gehört, dann wird entschieden.“ An der Schule gebe es zwar auch Arbeitsgruppen – aber in der Gestaltung des Unterrichts sei jeder mehr oder weniger sein eigener Chef.
Ebenfalls neu: Triebwerktechnik – das sagte der Naturwissenschaftlerin vor der Bewerbung für das Projekt nicht viel. Doch das änderte sich schnell: Technikwissen über Turbinenschaufeln wurde ihr in einer Einführung vermittelt, die alle neuen MTU-Mitarbeiter durchlaufen. Auch in den Werkhallen ist Völkl mittlerweile ein wenig herumgekommen und hat sich mit ihren neuen Kollegen die Montage der riesigen Triebwerke aus der Nähe angeschaut.
Ihr Netzwerk hat dazu geführt, dass sie das alles erleben kann: Bei einem Treffen erzählte eine ehemalige Teilnehmerin von dem Lehrer-Projekt. „Sie hat mir Mut gemacht, mich zu bewerben“, so Völkl. Was zu klären war: „Ich wollte wissen, ob die Schulleitung diesen Schritt mitträgt, und wie ich mein neu erworbenes Wissen in den Schulalltag einbringen kann.“ Das wurde dann gemeinsam vereinbart.
Und Völkl hat schon viele Ideen für Projekte, die sie an ihrer Schule anstoßen will, natürlich geht es da auch ums Gesundheitsmanagement: „Etwa, wie man Stress aus dem Schulalltag herausnehmen kann.“
Persönlich
Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Ich habe früher Jugendgruppen geleitet und wollte auch im Job gerne mit jungen Menschen zu tun haben. Erst wollte ich Deutsch und Geschichte studieren, habe mich dann aber schnell für Naturwissenschaften umentschieden.
Was reizt Sie am meisten?
Die Arbeit als Lehrerin ist sehr vielseitig, zum Fachlichen kommt die Pädagogik.
Worauf kommt es an?
Um Wissen zu vermitteln, muss man sich gut in andere hineinversetzen können.