Es ist einer der kompliziertesten Prozesse in der Produktion bei Apra-norm: Die Tausenden verschiedenen Bauteile für die Gehäuse elektronischer Anlagen so sinnvoll auf Lackierwagen zu gruppieren, dass der Lackiervorgang schnell, effizient und störungsfrei abläuft. Bei rund 280.000 Teilen, die pro Jahr lackiert werden, ein zentraler Punkt.

Das Unternehmen mit mehreren Standorten in der Eifel hat einen Fachmann mit großer Erfahrung dafür. „Aber was, wenn der mal nicht da ist? Oder irgendwann ganz ausscheidet? „Dann fehlt Wissen, das andere sich nicht einfach in kurzer Zeit aneignen können“, sagt Nicole Ottersböck, Leiterin des Forschungsprojekts „KI_eeper – Know how to keep“ beim Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) in Düsseldorf.

Verlust von Erfahrungswissen verhindern

Kein Wunder also, dass Apra-norm den Versuch startete, für diesen Prozess eine technische Lösung zu finden. Das Unternehmen beteiligte sich deshalb am Projekt KI_eeper. Ziel war, zunächst eine Datenbank und eine optische Erfassung aufzubauen. Auf deren Basis soll künstliche Intelligenz die optimale Anordnung der Bauteile und die Wahl der richtigen Hilfsmittel – etwa unterschiedlich geformte Haken für die Aufhängung – ermitteln. Apra-norm hat allerdings rund 2.600 verschiedene Produkte im Programm. Entsprechend groß war die Herausforderung, die notwendige Datenbank aufzubauen. Unter anderem daran fehlt es häufig noch bei KI-Projekten in der Industrie.

„Das Potenzial von KI in der Produktion oder auch im Maschinenbau ist enorm, aber die Nutzung scheitert häufig noch an vielen Barrieren“, sagt Professor Holger Dander, Leiter des Fachbereichs Digitalisierung im Maschinenbau an der Hochschule Niederrhein. Er ist auch Geschäftsführer der Firma Sensrec, die an KI_eeper aktivbeteiligt ist. Oft fehle in der Industrie noch „breitflächig“ das Wissen, um entscheiden zu können, welche Verfahren im eigenen Unternehmen wirklich sinnvoll einsetzbar seien, meint Dander. Entsprechend lautet der Ansatz nicht selten: Versuch und Irrtum.

Hinzu kommt, dass die Einführung von KI Zeit braucht. Die zweijährige Projektphase bei Apra-norm habe für die konkrete Umsetzung nicht ausgereicht, aber „immerhin sind wir jetzt KI-ready, weil ein konsistenter und verwertbarer Datenbestand da ist“, berichtet der Experte.

Entscheidend für den Erfolg ist aber nicht nur der technische Aspekt, sondern ebenso sehr die Beteiligung aller Mitarbeiter. Denn KI wird von vielen als eine diffuse Bedrohung empfunden, sagt Nicole Ottersböck vom ifaa (siehe auch Interview). Ein großer Erfolg des Projekts ist deshalb nicht zuletzt die Tatsache, dass beteiligte Beschäftigte vom Nutzen der Technologie überzeugt und Ängste abgebaut werden konnten.

Den Nutzen von KI verdeutlichen

„Deutlich wurde, dass die KI-basierte Technologie als Assistenz dient – und nicht dazu da ist, Menschen zu ersetzen. Daher sind die Mitarbeitenden in der Produktion jetzt angetan davon“, sagt Ottersböck.

Vergleichbar lief es bei der Ennepetaler Schneid- und Mähtechnik GmbH (ESM): Hier ging es darum, die Beseitigung von Unebenheiten an Flachstahlbalken in einer von Hand bedienten Presse zu vereinfachen.

Was bislang noch weitgehend Gefühls- und Erfahrungssache war, soll mithilfe von Sensoren, die Abweichungen höchst genau erfassen, leichter und schneller werden.

Auch bei ESM wurde bislang keine vollendete KI-Lösung entwickelt. Doch die Sensorik ermöglicht eine optische Darstellung, die dem Mitarbeiter durch die Skala zwischen Rot und Grün Abweichungen vom gewünschten Maß anzeigt. Im Umgang mit den bis zu drei Meter langen, schweren Balken werden Beschäftigte deshalb schon jetzt entlastet.

„Es bleibt derselbe Job, nur die nötige Qualifikation entwickelt sich weiter“

Professor Holger Dander, Hochschule Niederrhein

Die Beispiele zeigen, wie hilfreich KI im betrieblichen Alltag sein kann. „Trotzdem stehen in der Industrie so manche künstlicher Intelligenz heute ähnlich skeptisch gegenüber wie vor zehn Jahren der Digitalisierung“, berichtet Professor Holger Dander über seine vielerorts gemachten Erfahrungen.

Den Nutzen von KI zeigen, Ängste nehmen – das sei deshalb gleichermaßen wichtig: „Ich vergleiche die Entwicklung heute gerne mit den früheren technischen Revolutionen, in denen etwa Kutscher durch Taxifahrer abgelöst wurden: Es ist letztlich derselbe Job, nur entwickelt sich die dafür notwendige Qualifikation weiter.“

Werner Grosch
Autor

Werner Grosch war lange Jahre leitender Redakteur einer Tageszeitung mit den Schwerpunkten Politik und Wirtschaft. Für aktiv schreibt er Reportagen aus Unternehmen der Metall- und Elektrobranche und porträtiert Mitarbeiter aus diesen Branchen mit ihren ungewöhnlichen Fähigkeiten oder Hobbys. Privat und beruflich ist er am liebsten mit dem Rad unterwegs.

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