Morgens im Bad, Radio läuft. Nachrichten zur vollen Stunde: „Massive Luftangriffe in der Ukraine“. „Wegen Brückenabriss: A 1 am Wochenende gesperrt“. Nach dem Zähneputzen Blick auf den News-Feed im Handy: „Klimawandel facht neue Wirbelstürme an“, „Trumps Zölle bedrohen deutsche Autobauer“. Beim Frühstück blättern in der Tageszeitung: „Kommune muss Schwimmbad schließen“, „Pflegebeiträge steigen“. Und der Lieblingsverein hat auch mal wieder verloren.

Wer regelmäßig mit vielen schlechten Nachrichten in den Tag startet, kann eigentlich keine gute Laune haben. Oder doch? Zu dieser Frage läuft gerade ein riesiges Experiment – mit uns allen als Versuchskaninchen. Denn selbst wenn man kein News-Junkie ist: So viele Updates über die Weltlage hat wohl keine Generation zuvor erhalten. Das Problem dabei: Meist geht es um Krisen, Krisen, Krisen. Was macht das mit uns?

Die Krisenstimmung lähmt die Lust auf Innovationen

Studien zeigen: Nicht nur das eigene Wohlbefinden leidet unter zu viel „bad news“. Die miese Stimmung beeinflusst auch die Wirtschaft. In einer Umfrage der Beratung Next Work Innovation sagten kürzlich 49 Prozent der Befragten, dass die allgemeine Krisenstimmung in ihrem Arbeitsalltag angekommen ist – sogar dann, wenn das eigene Unternehmen gar nicht konkret betroffen ist. Führungskräfte nehmen die Untergangsstimmung sogar noch stärker wahr. Die Folgen: Die partnerschaftliche Arbeitskultur in den Betrieben bröckelt. Und die Produktivität sinkt.

Anruf bei Vera Starker, einer der Autorinnen der Studie. Die Wirtschaftspsychologin und Bestsellerautorin („Mut zur Zuversicht“) sieht verschiedene Gründe dafür, warum die Stimmung die Leistung beeinflusst. „Wer sich bedroht fühlt, dem fällt es schwerer, sich zu fokussieren“, sagt Starker. Innovativ sein, Veränderungen angehen – all das mache Menschen stärker zu schaffen, wenn sie sich vor lauter Krisen wie gelähmt fühlen.

Ein weiterer Produktivitäts-Senker: die fortschreitende Polarisierung. „Die Konflikte, die wir überall in den Nachrichten sehen, schwappen immer mehr in die Unternehmen“, sagt Starker. Das gefährde das konstruktive Miteinander. Massiv schlagen für Starker auch die psychischen Folgen der Multi-Krise ins Kontor: „Die Krankenstände sind hoch wie nie. Das hat auch mit der seelischen Belastung zu tun, die viele gerade spüren.“

Gesamtwirtschaftlich gibt es einen zusätzlichen Effekt: Das Konsumklima – also die Bereitschaft der Bevölkerung, neue Smartphones, Konzertkarten oder Autos zu kaufen – kühlt sich seit Monaten ab. Der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zufolge ging der Konsumklima-Index im November um 18 Prozentpunkte zurück. Für Dezember prognostiziert die GfK eine weitere Verschlechterung. „In Zeiten der Unsicherheit halten die Leute ihr Geld zusammen“, kommentiert Starker.

Aber ist die Welt wirklich so düster, wie sie uns die News-Portale malen? Und was können wir tun, um uns davon nicht runterziehen zu lassen?

„Krisen existieren, seit es Menschen gibt“, sagt Starker. Und zu unserem Menschsein gehöre auch eine gewisse Wahrnehmungsverzerrung: „Unser Gehirn ist darauf ausgerichtet, vor allem Negatives zu bemerken“, erklärt die Psychologin. Aus evolutionspsychologischer Perspektive ein Überlebensvorteil: Wer sich in der Vorzeit unvermittelt einem Säbelzahntiger gegenübersah, in diesem Moment aber eine Blume am Wegesrand interessanter fand, gehörte nicht länger zum Klub der Sieger. Derselbe Trick der Evolution kann uns allerdings auch schaden: nämlich dann, wenn wir gar keine Blumen mehr sehen. „Dann landen wir in einer Negativspirale und nehmen das Positive und Gelingende überhaupt nicht mehr wahr“, sagt Starker. Der Ausstieg aus dieser Spirale ist auch deshalb so schwierig, weil unser Gehirn eintreffende Vorhersagen belohnt: „Vertrackterweise schüttet es Dopamin aus – einen Botenstoff, der Glück empfinden lässt –, wenn wir etwas Schlechtes erwarten und es dann wirklich eintritt“, sagt Starker.

Trotzdem ist es nicht unmöglich, in all den Krisen den Mut nicht zu verlieren. Psychologen empfehlen dazu oft diese drei Schritte:

Krisenbewältigung – Schritt 1: Abstand nehmen!

Wenn sich die schlechten Nachrichten im Kopf einnisten und die Laune vermiesen, hilft als Erste-Hilfe-Maßnahme vor allem eins: „Abstand gewinnen zu den Dingen, die uns bedrücken“, sagt Professor Jürgen Margraf. Der Spezialist für klinische Psychologie von der Ruhr-Uni Bochum beschäftigt sich mit der Therapie von Angststörungen. Sein Rat: Wenn einen alles zu erdrücken droht, sollte man versuchen, auf Distanz zu gehen zur gewohnten Sicht auf die Welt.

Manchmal reicht dafür schon ein Ausflug in die Natur. Wie viel solch ein Perspektivwechsel bewirken kann, wird zum Beispiel Gunnar Niehusen täglich neu bewusst. „Hier oben erscheinen einem viele Probleme, die man im Tal hat, fast schon belanglos“, sagt er im Telefonat. „Hier oben“, damit meint Niehusen die Gablonzer Hütter, gelegen auf 1.550 Metern im österreichischen Dachsteingebirge. Zusammen mit seiner Frau Jeannette betreibt er sie seit fünf Jahren als Hüttenwirt. Und beobachtet jeden Tag, was das Bergerlebnis mit seinen Gästen macht.

„Unsere Besucher lassen bewusst den Komfort des Tals hinter sich und kommen auf den Berg, um auch räumlich Abstand zu ihrem Alltag zu gewinnen“, sagt Niehusen. Beim Wandern, Klettern oder beim Skitourengehen müsse man zudem ganz im Hier und Jetzt sein: „Dabei kommt es auf jeden Schritt oder Griff an.“ Zeit für negative Schlagzeilen bleibt da nicht.

„In der Negativspirale nehmen wir das Positive und Gelingende gar nicht mehr wahr“

Vera Starker, Psychologin

Sich auf wenige, wirklich wesentliche Dinge zu konzentrieren, das komme im Alltag der meisten von uns viel zu kurz, hat auch der Psychologe Margraf beobachtet. Sein Rat: „Singletasking statt Multitasking – das sollte viel öfter unser Motto sein.“ Wenn wir uns nicht doppelt und dreifach mit Dingen belasten, scheint vieles besser machbar. Wir schütteln dabei das Gefühl der Machtlosigkeit ab, das uns bei vielen Krisen-Nachrichten so zu schaffen macht. „Dinge bereiten uns vor allem dann Sorge, wenn wir keine Kontrolle über ihren weiteren Verlauf haben“, sagt Margraf.

Das Gefühl von Ohnmacht haben Gunnar und Jeannette Niehusen vor fünf Jahren im Tal zurückgelassen. „Wenn hier auf der Hütte irgendetwas nicht läuft, sind wir selbst dafür verantwortlich. Ich muss selbst eine Lösung finden“, sagt Niehusen. Das bringe zwar manchmal schlaflose Nächte mit sich. „Aber am Ende sind wir umso glücklicher, es geschafft zu haben.“

Krisenbewältigung – Schritt 2: Die innere Taschenlampe ausrichten!

Abstand nehmen funktioniert allerdings nur auf Zeit. Irgendwann müssen wir ja runter vom Berg. Und was passiert, wenn wir zurück im Alltag sind? „Dann kommt es darauf an, unsere Aufmerksamkeit so auszurichten, dass sie uns hilft – und nicht schadet“, sagt die Wirtschaftspsychologin Starker. „Jeder von uns hat eine innere Taschenlampe. Wenn Sie mit Ihrer die ganze Zeit in die Geisterbahn leuchten, reagiert auch der Körper wie in der Geisterbahn und setzt Stresshormone frei.“

Wichtig sei deshalb, bewusst zu entscheiden, wohin man die innere Aufmerksamkeit lenkt. Es gehe nicht darum, gar keine Nachrichten mehr zu schauen. Sondern zu bemerken, welche und wie viele News einem guttun. „Wenn ich mich unwohl mit meinem Nachrichtenkonsum fühle, sollte ich mich fragen: Kann ich das, was ich sehe, beeinflussen? Kann ich irgendetwas tun? Und wenn die Antwort ‚Nein‘ lautet: Weggucken!“ Sie selbst habe etwa nach dem Wahlsieg von Donald Trump sämtliche Nachrichten über die USA ignoriert. „Ich weiß, mich regt das auf, und ich kann in der Sache selbst nichts tun.“

Stattdessen richte sie den Blick gezielt auf Bereiche, in denen sie selbst etwas bewirken kann, im Ort, bei Freunden oder Verwandten. Dabei sollte die „Taschenlampe“ unbedingt nach vorn leuchten, sagt Starker: „Zuversicht sieht die Welt von der Zukunft her. Sie fixiert sich nicht auf das Problem, das durch Anstarren immer größer wird, sondern interessiert sich für Lösungen.“ Selbstwirksamkeit nennen Psychologen das – und empfehlen es als dritten Schritt.

Krisenbewältigung – Schritt 3: Ins Handeln kommen!

Selbst etwas tun, die Gesellschaft im Kleinen mitgestalten – diese Gründe nannten mehr als 80 Prozent der Befragten in der Freiwilligen-Umfrage des Bundesfamilienministeriums als Motiv dafür, warum sie sich ehrenamtlich engagieren. Mehr als 16 Millionen Erwachsene hatten laut einer Allensbach-Studie 2023 in Deutschland ein Ehrenamt inne. Menschen wie Kay Lachmann.

Seit mehr als 20 Jahren ist der Maschinenbautechniker aus dem norddeutschen Buchholz in der freiwilligen Feuerwehr aktiv. „Feuerwehr faszinierte mich schon als Kind“, sagt er. Doch da war von Anfang an mehr als die Begeisterung für Feuerwehrautos, Blaulicht und Maschinen. „Es ist ein gutes Gefühl, der Gesellschaft etwas zurückzugeben“, sagt Lachmann. „Ich bin überzeugt, dass die Welt ein bisschen besser wäre, wenn sich mehr Menschen ehrenamtlich engagieren würden, egal in welchem Bereich. Auch wenn jede einzelne Person vielleicht nur einen kleinen Beitrag leistet, summiert sich das zu etwas Großem.“

Ein weiteres Plus: Durch das Engagement kommt man in Kontakt mit anderen. „Für mich steht bei der Feuerwehr vor allem die Gemeinschaft im Vordergrund“, sagt Lachmann. „Es ist das Miteinander, das uns auszeichnet.“

Beschäftigte wollen mehr Wir-Gefühl

„Ein Ergebnis unserer Umfrage war, dass Beschäftigte sich auch in ihren Unternehmen mehr Wir-Gefühl wünschen“, sagt Vera Starker. Der Trend zur Individualisierung, durch Corona auf die Spitze getrieben, sei vorbei. „Viele denken eher: Um die vielen Krisen zu meistern, müssen wir jetzt zusammenrücken.“

Gemeinsam handeln statt allein verzweifeln? Klingt nach einem Plan gegen die Krise.

Die Multi-Krise bereitet Sorgen:

Michael Aust
aktiv-Redakteur

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band. 

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Nadine Keuthen
aktiv-Redakteurin

Nadine Keuthen stürzt sich bei aktiv gerne auf Themen aus der Welt der Wissenschaft und Forschung. Die Begeisterung dafür haben ihr Masterstudium Technik- und Innovationskommunikation und ihre Zeit beim Kinderradio geweckt. Zuvor wurde sie an der Hochschule Macromedia als Journalistin ausgebildet und arbeitete im Lokalfunk und in der Sportberichterstattung. Sobald die Sonne scheint, ist Nadine mit dem Camper unterwegs und schnürt die Wanderschuhe. 

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