Unter der aktuellen Krise am Arbeitsmarkt leidet vor allem die Industrie. Hier gehen die weitaus meisten Jobs verloren. Gleichzeitig klagt man in Technologiefirmen, Bau-Industrie oder Handwerk über Fachkräftemangel. Wie geht das zusammen – und was ist die Lösung? Darüber sprach aktiv mit Professor Enzo Weber, Leiter des Forschungsbereichs „Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen“ am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.

Herr Weber, was ist besonders an der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt?

Wir haben eine Wirtschaftskrise mit Stellenabbau und zugleich Fachkräftemangel. Das ist neu. In früheren Krisen musste man sich über Fachkräfteknappheit keine Gedanken machen.

Wie wirkt sich das auf die Industrie aus?

Die Produktion liegt etwa 15 Prozent unter dem Niveau, auf dem sie vor Corona mal war. Jeden Monat gehen in der Industrie deutschlandweit mehr als 10.000 Jobs verloren. Da gab es einen Bruch: Man hält die Fachkräfte nicht mehr so, wie wir das über Jahre gewohnt waren. In anderen Branchen dagegen wird Personal aufgestockt. Und wenn man genau hinschaut, treiben in der Industrie nicht die großen Konzerne den Stellenabbau voran.

Aber man hört und liest doch in den Medien, wie Konzerne Entlassungen ankündigen.

Da geht es um prominente Firmen. Aber das ist nicht der Punkt. In Wirklichkeit bauen große Betriebe seit Jahren kontinuierlich Personal auf. Bei den kleineren bis 100 Beschäftigte schrumpft dagegen die Zahl der Jobs, in den letzten zwei Jahren um 4 Prozent. Im langjährigen Vergleich liegt das Entlassungsniveau trotz der jüngsten Zunahmen sogar noch immer recht niedrig. Das Thema ist: Auf der Erneuerungsseite tut sich nichts. Es werden so wenig neue Stellen wie nie ausgeschrieben. Die Neugründungen in der Industrie sind auf dem niedrigsten Stand, den man je gemessen hat. Dabei haben wir Transformation – das Land müsste vibrieren! Der Kern des Problems ist also nicht, dass bei den Großen viel wegbricht, sondern dass bei den Kleinen zu wenig nachkommt.

Was bedeutet das?

Wir müssen in dieser Situation eine andere Wirtschaftspolitik machen. Wir brauchen einen Schub der Erneuerung, Innovationen, Gründungen, neue Geschäftsmodelle. Denn De-Industrialisierung muss nicht sein. Im Gegenteil: Wenn wir technische Lösungen für die Klimawende oder für neue Mobilität entwickeln, wirkt sich das positiv auf den Arbeitsmarkt aus. Dann brauchen wir viele Fachkräfte in technischen Jobs.

Aber wir haben doch Fachkräftemangel. Woher sollen die Leute kommen?

Auch das müssen wir angehen. Fachkräfte sind ein entscheidender Faktor, um in der Transformation erfolgreich zu sein. Demografiebedingt schrumpft bis 2040 die Zahl der Erwerbstätigen um sieben Millionen. Es geht jetzt darum, alle Kompetenzen zu aktivieren: Mehr junge Menschen in Ausbildung bringen. Arbeitskräfte weiterentwickeln für die neuen Aufgaben. Erwerbskarrieren von Frauen fördern. Ältere länger in Jobs halten. Integrationspolitik für echte Perspektiven ausländischer Fachkräfte und Zuwanderung direkt in Ausbildung und Hochschule.

Alix Sauer
Leiterin aktiv-Redaktion Bayern

Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.

Alle Beiträge der Autorin