Aachen/Dresden. Über die Zukunft des Autos wird heftig gestritten. Viele sehen im Elektroantrieb die einzige Alternative zu Benziner und Diesel. „Doch auch mit dem Verbrennungsmotor ist klimaschonende Mobilität möglich“, sagt Professor Walter Leitner, Experte für technische Chemie an der Hochschule RWTH Aachen. „Mit neuen synthetischen Kraftstoffen können Motoren beim Klimaschutz ähnlich gut abschneiden wie Batterien. Das ist wichtig, denn wir werden beide Antriebsformen in Zukunft brauchen.“

Möglich wird das durch einen neuartigen Sprit, der aus Wasser, Kohlendioxid und Ökostrom hergestellt werden kann. Eine erste große Demonstrationsanlage soll ihn in drei Jahren produzieren. „Weil für die Herstellung des Treibstoffs klimaschädliches Kohlendioxid mit Strom aus erneuerbaren Quellen kombiniert wird, sorgt er für eine saubere Klimabilanz bei der Verbrennung im Motor“, sagt der Chemieprofessor.

Zusätzliche Pluspunkte: Tankstellen kann man weiter nutzen, den Kraftstoff je nach Qualität herkömmlichem Sprit beimischen. Und vor allem: Die Technologie zur Herstellung gibt es schon.

So erzeugt Audi im niedersächsischen Werlte mit Wind- und Sonnenstrom aus Wasser und Kohlendioxid 1.000 Tonnen Methangas pro Jahr. 1.500 gasgetriebene Audi A3 fahren seit Herbst 2013 mit Sprit aus dieser Pilotanlage.

Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie haben jüngst in einer Anlage, die so groß wie ein Schiffscontainer ist, 200 Liter synthetischen Kraftstoff hergestellt. Und die Dresdner Firma Sunfire erzeugte drei Tonnen Erdölersatz.

Nun haben die Chefs dieses Start-ups mehr vor. Bis 2020 wollen sie zusammen mit dem Unternehmen Nordic Blue Crude im Industriepark Herøya in Norwegen die erste „Massenproduktion für den umweltschonenden Erdölersatz errichten und mit Strom aus Wasserkraft betreiben“, berichtet Sunfire-Mitgründer Nils Aldag.

Die Großvolumen-Anlage wird pro Jahr 8.000 Tonnen synthetisches Erdöl produzieren. „Damit könnte man etwa 13.000 Pkws versorgen, es sollen aber auch Schiffs- und Fluglinien sowie Raffinerien beliefert werden“, sagt Aldag. Der Bau weiterer Anlagen sei angedacht.

Doch wie macht man den Kunst-Sprit? Die Herstellung verläuft stets nach dem gleichen Schema, erklärt Professor Leitner. „Zuerst gewinnt man mithilfe von Ökostrom per Elektrolyse Wasserstoff aus Wasser. Im zweiten Schritt erzeugt man aus Wasserstoff und Kohlendioxid den Kraftstoff.“ Katalysatoren beschleunigen diese Reaktion und steuern sie so, dass ein Treibstoff entsteht, der genau an die Verbrennung angepasst ist.

Leitner und sein Team von der RWTH Aachen forschen nun zusammen mit 17 weiteren Unis und Forschungsinstituten sowie 27 Unternehmen bis 2026 an der Verbesserung solcher Prozesse. Berlin fördert das Projekt „Power-to-X“ mit jährlich 10 Millionen Euro.

Ziele der Forscher sind eine effizientere Elektrolyse, bessere Katalysatoren und kleinere, flexiblere Anlagen. Herauskommen sollen neue Produktionsverfahren für die Chemie-Industrie sowie optimierte Kraftstoffe, die für saubere Luft in den Städten sorgen würden.

Weniger Stickoxide und Feinstaub bei Kunst-Diesel

Wenn man den Sprit für den Diesel-Motor maßschneidert, lässt sich der Stickoxid- und Feinstaub-Ausstoß deutlich senken.

Allerdings wird der neue Wunderkraftstoff teuer. Der Liter wird, zumindest auf mittlere Sicht, je nach Prognose zwischen 2 und 4,50 Euro kosten – ohne Steuern. Und die Produktion wird große Investitionen erfordern. 5 bis 10 Milliarden Euro würde der Bau eines Industriekomplexes kosten, in dem sich eine Million Tonnen pro Jahr herstellen ließen. Benötigt wird aber viel mehr. Aktuell schlucken Autos, Busse und Laster hierzulande 50 Millionen Tonnen Treibstoff im Jahr.

„Das ist eine Herausforderung für die Gesellschaft, aber wir brauchen den klimaschonenden Sprit“, sagt Professor Leitner. „Denn auch Lkws, Schiffe und Flieger werden in Zukunft nicht ohne flüssigen Kraftstoff auskommen.“

Shell will Ökostrom für Treibstoff nutzen

Foto: dpa
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  • Der Shell-Konzern will in der Rheinland Raffinerie bei Köln (Foto) erstmals Öko-Energie in die Spritproduktion einbinden. Eine Zehn-Megawatt-Anlage soll dazu per Elektrolyse Wasserstoff erzeugen.
  • Es würde die größte Anlage dieser Art in Deutschland. Sie soll einen Teil der dort pro Jahr benötigten 180.000 Tonnen Wasserstoff liefern.
  • Ein ähnliches Projekt planen der Energiekonzern BP und das Unternehmen Uniper für die Raffinerie im niedersächsischen Lingen.