Das neue Jahr ist noch jung, aber es steht bereits viel auf der Agenda – allem voran die vorgezogene Bundestagswahl. Eine Neuausrichtung der Wirtschafts- und Energiepolitik ist aus Sicht der Unternehmen unumgänglich, wie eine Befragung von Branchenverbänden durch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) aufzeigt.
Denn die Stimmung ist schlecht, vor allem in der Industrie. Hohe Kosten für Energie, Arbeit und Material sowie die überbordende Bürokratie belasten die Betriebe. In der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie wirkt sich das alles besonders stark aus, denn die Menschen halten in der Krise ihr Geld lieber zusammen. „Und wenn weniger verkauft wird, wird eben auch weniger verpackt“, sagt Jürgen Peschel, Präsident und Verhandlungsführer des Hauptverbands Papier- und Kunststoffverarbeitung (HPV).
Produktion ist fast ein Fünftel niedriger als vor zehn Jahren
Wie es aber genau in der Branche aussieht, das haben die IW-Wissenschaftler Hagen Lesch und Christoph Schröder im Auftrag des HPV in einer Branchenstudie untersucht und sich dafür unter anderem Umsatz, Auftragseingang, Produktion und Beschäftigung in der Papierverarbeitung näher angeschaut. Das Fazit der Ökonomen: Die Branche befindet sich – gemessen an diversen Indikatoren – „in einer ausgeprägten und offenbar verfestigten Rezession“.

So ist im Beobachtungszeitraum seit 2015 kein Produktionsanstieg festzustellen – im Gegenteil. Nach dem sehr scharfen coronabedingten Produktionseinbruch im Mai 2020 kletterte die Produktion bis Juli 2021 zwar wieder annähernd auf alte Höchststande. Seither geht es jedoch deutlich bergab: Seit November 2022 liegen die Monatszahlen, die regelmäßig vom Statistischen Bundesamt geliefert werden, unter dem Corona-Lockdown-Wert. Und auch 2024 ging es langsam, aber stetig bergab.
Ein weiteres Problem ist, dass die Papier verarbeitende Industrie traditionell stark von den Preisen der Papiererzeuger abhängig ist. Vor allem 2021 und 2022 ging die Schere da laut IW-Studie sehr weit auf: Das von den Papiererzeugern gelieferte Rohmaterial wurde viel schneller teurer als die Produkte der Papierverarbeiter. Die Papierhersteller versuchen zum Beispiel, „den Energiepreisdruck auf die Preise aufzuschlagen, um die Kosten auf die Papierverarbeiter zu überwälzen“, heißt es. Deren eigene Überwälzungsspielräume seien aber nicht so groß.

Dies lasse sich exemplarisch am Preisindex für Wellpappenrohpapier und dem Preisindex für Schachteln und Kartons aus Wellpapier oder Wellpappe veranschaulichen: „Die Preisentwicklung des Wellpappenrohpapiers schwankt stärker als der Preis für die Schachteln und Kartons“, erklärt IW-Ökonom Schröder. Diese Belastung könne von den Papierverarbeitern aber eben nicht eins zu eins an die eigenen Kunden weitergegeben werden.
Löhne sind trotzdem immer weiter gestiegen
Interessant ist auch der IW-Blick auf die Entgelte. Laut Studie sind die Bruttolöhne je Stunde in der Papierverarbeitung zwischen 2015 und Herbst 2024 um 30,5 Prozent gestiegen. Obwohl wie beschrieben insgesamt weniger produziert wird, sind die Löhne höher: „Das führt langfristig zu einem Produktivitätsverlust und nagt an der preislichen Wettbewerbsfähigkeit“, warnt IW-Ökonom Lesch. Und tatsächlich habe sich die Entwicklung der Tariflöhne in der Papier und Kunststoff verarbeitenden Industrie deutlich von der Produktivitätsentwicklung entkoppelt: „Das zeigt sich bei der Betrachtung je Stunde ebenso wie bei der Betrachtung je Beschäftigten.“

Das heißt freilich nicht, dass der einzelne Beschäftigte weniger fleißig arbeitet! Als Erklärung für die gesunkene Produktivität je Stunde dient erstens, dass die optimalen Losgrößen in der Produktion geringer werden – einfach, weil die Kunden individuellere Ansprüche stellen. Dadurch fallen aber zum Beispiel häufigere Umrüstungen von Maschinen an. Und zweitens ist die Produktion (bisher) stärker eingebrochen als die Beschäftigung – damit sinkt automatisch die Produktivität.
Betriebe wollen auch in der Krise ihre Mitarbeiter halten
Laut Studie liegt insgesamt eine Art „Horten“ von Arbeitskräften vor – angesichts des Fachkräftemangels und der fehlenden Azubis ist das ja auch nicht erstaunlich. Trotz der Branchenrezession ist die Beschäftigung in der Papierverarbeitung jedenfalls erstaunlich stabil. Im Jahr 2024 (Januar bis Oktober) lag die Beschäftigung nur rund 7 Prozent niedriger als im Jahresdurchschnitt 2018. Wobei es da keinen auffälligen Einbruch gab, wohl aber ein langsames, aber stetiges Sinken der Mitarbeiterzahl. Eigentlich sind also, salopp gesagt, etwas zu viele Leute an Bord.
Die IW-Ökonomen warnen denn auch: „Je mehr ‚gehortet‘ wird und je mehr damit arbeitsintensiver produziert wird, desto mehr gewinnen die Arbeitskosten für die Wettbewerbsfähigkeit an Relevanz.“ Zudem gehe die Sache zulasten der Erträge und schränke den finanziellen Spielraum für Investitionen ein.
In dieser schwierigen Situation einer verfestigten Branchenkrise stehen nun die nächsten Tarifverhandlungen an. HPV-Verhandlungsführer Peschel erinnert daher ausdrücklich beide Sozialpartner an ihre Verantwortung. Er erklärt: „Die Rahmenbedingungen für sichere Arbeitsplätze dürfen sich nicht verschlechtern. Tarifabschlüsse mit Augenmaß sind dafür eine wichtige Voraussetzung.“
Wenn Löhne und Gehälter nun zu stark stiegen, würden die Produkte zu teuer und es bestehe die Gefahr, dass die Unternehmen deshalb weniger Aufträge erhielten. Das hätte dann direkte Auswirkungen auf die Arbeitsplätze. „Unser gemeinsames Interesse muss deshalb sein, das Erreichte nicht aufs Spiel zu setzen, sondern den Flächentarif zu stärken“, so der HPV-Verhandlungsführer.
Stimmen aus den Unternehmen
„2024 war schwierig, 2025 wird vermutlich nicht leichter. Notwendige Reformen zur Standortverbesserung erfordern Einsicht von allen“
Ralf Waltmann, Geschäftsführer VPF-Veredelungsgesellschaft, Sprockhövel
„Zu den konjunkturellen Herausforderungen kommt: Wir stehen wegen der EU-Verordnung PPWR vor großem Transformationsbedarf. Dafür braucht es den Schulterschluss der Sozialpartner“
Wolfgang Thissen, Executive Vice President and CFO, Walki Group, Steinfurt
„Es geht zu wie auf einer Berg- und Talbahn. Höhen und Tiefen wechseln sich sehr schnell ab“
Peter Penke-Wevelhoff, Geschäftsführer Heyne & Penke Verpackungen, Dassel
„Die Produktivität sinkt massiv. Das verschlechtert Investitionsmöglichkeiten und gefährdet letztlich Arbeitsplätze“
Roland Walter, Geschäftsführer Walter Verpackungen, Offenbach
„Wir können nur verteilen, was auch erwirtschaftet wird. Was wir in der Wirtschaft erleben, stimmt uns sorgenvoll. Wenn wir bei den Tarifverhandlungen nicht Maß und Mitte halten, werden jüngere Generationen hierfür einen hohen Preis zahlen“
Jakob Rinninger, CEO, STI Group, Lauterbach
Der Zeitplan
- Der im April 2023 ausgehandelte Tarifvertrag läuft am 31. Januar 2025 aus.
- Die erste Verhandlungsrunde für einen neuen Vertrag findet am 28. Januar in Berlin statt.
- Der nächste Termin ist schon für den 18. Februar angesetzt.
- Jürgen Peschel, Präsident und Verhandlungsführer des HPV, erinnert Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor Beginn der Gespräche an ihre Verantwortung als Tarifpartner. Er hofft auf einen schnellen Abschluss.

Tanja Wessendorf berichtet für aktiv aus der Industrie und schreibt über Verbraucherthemen. Sie studierte in Berlin Politikwissenschaft und volontierte in Hamburg bei der Tageszeitung „Harburger Anzeigen und Nachrichten“. Seit 2008 arbeitet sie als Redakteurin, viele Jahre in der Ratgeber-Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“, aber auch beim TV-Sender Phoenix. Privat liebt sie alles, was schnell ist: Kickboxen, Eishockey und laufen mit ihrem Hund.
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