Wuppertal. Großer Streik fürs Klima: Am Freitag demonstrieren Jugendliche von „Fridays for Future“ besonders massiv für mehr Klimaschutz (Gewerkschafter von Verdi marschieren mit). Sie fordern, den Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid (CO2) rasch zu verringern. Zugleich beraten in Berlin Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Fachminister im „Klimakabinett“.

Noch in diesem Jahr sollen Beschlüsse her, damit Deutschland wenigstens sein Ziel für 2030 einhält und dann 55 Prozent weniger Treibhausgas ausstößt als 1990. Vor allem im Verkehr und bei den Gebäuden müssen die Emissionen dafür sinken.

Prozessoptimierung allein reicht nicht aus

Die eigentliche Herausforderung kommt aber erst in den Jahren bis zur Jahrhundertmitte. Dann muss der CO2-Ausstoß hierzulande um 80 bis 95 Prozent verringert werden – nach einem neuen Vorschlag der Kanzlerin vielleicht sogar auf netto null. Während die Politik noch über den besten Weg zu mehr Klimaschutz diskutiert, packen Unternehmen wie Thyssenkrupp, BASF und Covestro die Jahrhundert-Herausforderung an. Sie setzen dabei auf völlig neue Verfahren!

„Wir brauchen jetzt Sprunginnovationen“, erklärt dazu Professor Manfred Fischedick, Vizepräsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie. „Durch optimierte Prozesse und mehr Energieeffizienz kann die Industrie nur noch maximal ein Viertel der Treibhausgase sparen. Um richtig voranzukommen, braucht sie also völlig neuartige Ansätze. Da gehen jetzt einige Konzerne vorweg.“

Das ist auch nötig. Kürzlich hat eine Studie der Landesbank Baden-Württemberg moniert, dass die Industrie doppelt so viel ins Energiesparen investieren müsste. Ambitionierte Betriebe verringern ihren CO2-Ausstoß demnach jährlich um 1,7 Prozent – nötig seien aber 2,6 Prozent Minus.

Die Industrie insgesamt hat 2018 rund 196 Millionen Tonnen Klimagas ausgestoßen, weniger als im Jahr 2000, aber etwas mehr als 2010. Bis 2050 soll es nun dramatisch runtergehen – eine Herausforderung für die energieintensiven Branchen.

Stahlproduktion soll komplett umgestellt werden

Allein die Eisen- und Stahlhersteller hierzulande pusten pro Jahr fast 38 Millionen Tonnen Klimagas in die Luft. Und können das auf herkömmlichem Weg kaum verringern, denn der größte Teil entsteht im Hochofen selbst. Thyssenkrupp in Duisburg will deshalb die Stahlherstellung komplett umstellen. Es soll Schluss sein mit Koks und Kohle, die dem Eisenerz den Sauerstoff entziehen und dabei unweigerlich Klimagas freisetzen – Schluss also mit einem jahrhundertealten Verfahren.

Wasserstoff soll die Stahlherstellung sauber machen. Zunächst wollen ihn die Techniker in die Hochöfen einblasen und so den Klimagasausstoß um ein Fünftel verringern. Später soll der Wasserstoff in einer Spezialanlage Eisenerz in sogenannten Eisenschwamm umwandeln, aus dem dann im Lichtbogenofen mit Ökostrom Stahl gewonnen wird. So kann die Erzeugung bis 2050 klimaneutral werden. 10 Milliarden Euro will der Konzern dafür investieren.

Nicht minder ambitioniert sind die Pläne des Ludwigshafener Chemiekonzerns BASF. Seine Techniker wollen in fünf Jahren das Konzept für einen neuartigen Steamcracker entwickeln. Diese Riesenanlagen erzeugen bei 850 Grad Celsius aus Rohbenzin die Grundchemikalien für die Chemieproduktion – und werden derzeit mit Erdgas beheizt. In Zukunft soll das mit Ökostrom passieren, das könnte den CO2-Ausstoß um bis zu 90 Prozent verringern.

Technologiesprünge sind nötig

Noch sind aber viele Fragen offen. So müssen Materialprüfungen erst noch zeigen, welche Metallwerkstoffe die enormen Stromstärken dauerhaft aushalten. BASF-Chef Martin Brudermüller fordert: „Wir brauchen Technologiesprünge, um die Emissionen weiter zu verringern.“

Klimagas kann man auch als Rohstoff nutzen. Das macht etwa der Leverkusener Chemiekonzern Covestro. Dessen Forscher haben mit der Technischen Hochschule Aachen ein Verfahren entwickelt, um bis zu 20 Prozent Kohlendioxid in ein Kunststoff-Vorprodukt („Polyol“) einzubauen. Daraus lassen sich Schaumstoff oder Textilfasern fertigen. Eine Demo-Anlage kann 5.000 Tonnen im Jahr produzieren, der Bau einer Großanlage ist für die 2020er Jahre angedacht.

Die Beispiele zeigen: Der Umbau der Industrie für die CO2-arme Produktion braucht Zeit. Die neuen Techniken erfordern zudem jede Menge grünen Strom und Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen. Und sie werden die Konzerne sehr viel Geld kosten: Eine Studie für den Dachverband BDI beziffert die Investitionen bis 2050 auf 120 bis 230 Milliarden Euro, je nach Klimaziel.

Immerhin: „Wer die Zeichen der Zeit erkennt und frühzeitig handelt, hat einen klaren Vorteil“, sagt Klimaexperte Fischedick. „Er startet bei der sauberen Technik als Vorreiter in den Weltmarkt.“