Berlin. Ein Montagabend im Stadtteil Neukölln, 20 Uhr. Volkan Solak steht in seinem kleinen Kiosk, seit frühmorgens schon verkauft er Bier und Bonbons, Kaffee und Kreuzworträtsel. Feierabend?
„Dit dauert noch“, berlinert der 30-Jährige. Mindestens drei, vier Stunden. „Mal kieken, wat noch draußen los ist.“ Schließlich dürfe er seine Kunden nicht enttäuschen: „Die wissen: Wenn alle Läden zu haben, bei mir ist noch Licht.“
Der Kiosk an der Ecke – oft die Rettungsinsel für den urbanen Verbraucher. Für den Klassiker aller Konsum-Notfälle zum Beispiel: spät geworden, Freunde da, Getränke alle.
Wo eilt man hin? Genau!
100 Stunden pro Woche im Laden – das schlaucht
Etwa 24.000 Kioske gibt es in Deutschland, die meisten davon in Ballungsgebieten. Geschätzter Jahresumsatz der Büdchen-Branche: 7,5 Milliarden Euro.
Mehr als bloß Kleingeld also. Was Olaf Roik, Leiter Wirtschaftspolitik beim Handelsverband Deutschland, nicht überrascht. „Kioskbetreiber sind heute hochprofessionelle Kaufleute, anders hat man am Markt keine Chance mehr. Und der Job ist alles andere als ein Zuckerschlecken.“
Da braucht man bloß Herrn Solak fragen, den Kiosk-Betreiber aus Berlin-Neukölln. Es ist jetzt kurz vor 23 Uhr, in den letzten Stunden hat sich kaum ein Kunde in seinen Laden verirrt.
„Typischer Montag“, seufzt Solak. Also nutzt er die Zeit, räumt Bier in die vier Kühlschränke, stapelt leere Kästen, bereitet Warenbestellungen für morgen vor.
Seit vier Jahren führt er jetzt seinen „Späti“, wie man die Kioske in der Hauptstadt nennt. Seither spielt sich sein Leben fast nur noch auf den 23 Quadratmetern Verkaufsfläche ab. „Ich bin sieben Tage die Woche hier.“ Nur sonntags schließt er schon zur „Tagesschau“. Aber auch nur, weil der Gesetzgeber das verlangt. Macht pro Woche: rund 100 Arbeitsstunden!
„Das schlaucht“, bekennt er, während er für einen Kunden drei Flaschen Pils in eine Plastiktüte packt. „Aber es geht nicht anders, sonst kommt nicht genug Kohle rein.“
Dann rechnet er vor: Ladenmiete 320 Euro, dazu Strom, Gas für den kleinen Bullerofen in der Ecke. Gut 2.000 Euro lässt er beim Großhändler. Eine Aushilfe auf Minijob-Basis hat er, damit jemand am Tresen steht, wenn er selbst Ware holt. Fixkosten zusammen: etwa 3.500 Euro im Monat. „Die muss ich erst reinholen, bevor ich selbst nur 1 Cent Gewinn erwirtschaftet habe.“
Nicht so leicht, wenn er an Tagen wie diesem kaum über 100 Euro umsetzt. Und zum Beispiel pro verkaufter Packung Kippen gerade mal 40 Cent Gewinn bleiben.
Kann man das durchhalten? Der Handelsverband schätzt, dass bundesweit 2.000 Kioske in den letzten zehn Jahren aufgegeben haben. Häufigster Grund: die immer längeren Öffnungszeiten der großen Supermärkte. Dadurch verlieren die Trinkhallen vielerorts ihren wichtigsten Wettbewerbsvorteil.
Der „Späti“ als hippe Party-Location
Viele Buden holen jetzt zum Gegenschlag aus – und erweitern ihr Sortiment: Ein attraktives Weinangebot, verzehrfertig geschnittenes Obst oder eine reiche Auswahl an Kühl- und Tiefkühlkost sollen die Kunden zurück an den guten alten Trinkhallen-Tresen locken. Branchenexperte Roik: „Tabak, Zeitungen und Süßkram, das reichte vielleicht vor 20 Jahren. Heute nicht mehr.“
Für mehr Waren braucht man Fläche. Die hat nicht jeder, auch Volkan Solak nicht. Also geht der Mann andere Wege – und setzt auf Partys. Einmal im Monat legt im Kiosk ein DJ auf. „Das spült schon mal 500 Euro in die Kasse.“ Vor Steuern, versteht sich.
Ob das reicht? „Weiß ich nicht“, sagt Solak. „Aber die Selbstständigkeit ist meine einzige Möglichkeit.“ Weil er keinen Ausbildungsplatz fand. Trotz guter Zeugnisse und über 100 Bewerbungen. Er ist der Meinung, sein Migrationshintergrund sei schuld.
Überprüfen kann man das nicht. Wohl aber gibt es Hinweise darauf, dass Menschen mit Migrationshintergrund ziemlich oft Kioske führen. In Hannover beispielsweise trifft dies laut einer Studie der dortigen Leibniz-Uni auf 84 Prozent der Kioske zu. Und im Ruhrgebiet, der Buden-Bastion überhaupt, werden laut Ruhr Tourismus GmbH drei Viertel der 15.000 Mini-Läden von Menschen mit ausländischen Wurzeln betrieben.
Und zumindest Volkan Solak hat Gefallen am Unternehmer-Dasein gefunden. „Ich liebe meinen Späti“, sagt er. Keinen reinquatschenden Chef zu haben, das sei ja auch was wert. Er schließt seinen Laden ab. Die Uhr zeigt Mitternacht.