Was MAiRA alles kann, sieht man ihr nicht sofort an. Rein äußerlich unterscheidet sich der Industrieroboter kaum von seinen vielen Kollegen, die in den Werkhallen der Republik schweißen, bohren oder montieren: ein weißer Gelenk-Arm, der auf einer festen Basis montiert ist und sich in verschiedene Richtungen bewegt – das war’s. Doch der Roboter MAiRA des deutschen Start-ups Neura Robotics hat es in sich: Er kann sehen und hören und dank künstlicher Intelligenz (KI) auf mündliche Anweisungen reagieren.
„Man muss nicht coden können, um MAiRA zu programmieren“, sagt Sebastian Witt, Projektmanager bei Neura Robotics. Ein Sprachbefehl oder ein einfaches Ziehen eines Symbols auf dem Desktop des Bedien-Tablets reicht. Soll der Roboter eine neue Bewegung lernen, kann man sie ihm auch einfach zeigen. Dazu schaltet man ihn in einen bestimmten Modus und führt seinen Greifarm mit der Hand. „Ich sage: Hier ist der Startpunkt, merk dir das!“, erklärt Witt. „Dann schiebe ich ihn weiter zum Endpunkt und sage: Wenn du hier bist, öffne den Greifarm!“
KI-Roboter müssen nicht ständig neu programmiert werden
MAiRA ist bereits in einigen Unternehmen im Einsatz. Er gehört zu einer neuen Generation von Industrie-Helfern, die KI nutzen, um eigenständig komplexe Aufgaben zu erledigen. Dazu vermessen die sogenannten kognitiven Roboter ihre Umgebung permanent mit Sensoren und Kameras. Man kann mit ihnen kommunizieren wie mit einem Kollegen. Und wie ein kluger Azubi schaffen sie sich selbst neue Aufgaben drauf, ohne dafür aufwendig angelernt – beziehungsweise programmiert – zu werden.
Auf Sprachbefehle reagiert auch Figure 02, ein Industrieroboter des US-Unternehmens Figure AI. Anders als MAiRA kann er nicht nur zuhören wie ein Mensch, er sieht ihm auch recht ähnlich. BMW hat den sogenannten Humanoiden gerade in seinem US-Werk in Spartanburg getestet. Dort musste Figure 02 zum Beispiel beidhändig Blechteile in eine Vorrichtung legen und konnte die Bewegung dank seiner feinfühligen und beweglichen Hände völlig autonom und sicher ausführen. Noch ist der Humanoide in der Testphase. Aber: Smarte Helfer wie er könnten Menschen irgendwann bei ergonomisch ungünstigen, ermüdenden Arbeiten entlasten, so die Hoffnung des Unternehmens.
„KI-Robotik wird notwendig sein, um die Produktion in Deutschland zu halten.“
Werner Kraus, Fraunhofer IPA
Kein Wunder, dass die Industrie in der Verschmelzung von Robotik und KI große Chancen sieht. Die Management-Beratung Horvath schätzt, dass humanoide Roboter langfristig mehr als 50 Prozent der manuellen Tätigkeiten im Produktionsumfeld übernehmen könnten. „Die menschenähnlichen Roboter können Personallücken bei immer wiederkehrenden, körperlich schweren Arbeiten schließen und dabei helfen, hoch qualifiziertes Personal am Fließband zu entlasten“, heißt es in einer Studie.
Dank KI könnten Industrieroboter zudem irgendwann Aufgaben übernehmen, die bislang nur schwer zu automatisieren waren: den sicheren Materialtransport etwa. Die Bilderkennungs-KI macht es ihnen möglich, Hindernisse selbstständig zu erkennen und ihnen auszuweichen.

KI-Robotik in der Industrie: Noch mangelt es an Daten – und an der Zuverlässigkeit
Für Werner Kraus, Leiter des Forschungsbereichs Automatisierung und Robotik am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart, führt an smarten Robotern schon aus wirtschaftlichen Gründen kein Weg vorbei. „KI-Robotik wird notwendig sein, um die Produktion in Deutschland zu halten“, glaubt der Forscher. Die Automatisierung helfe Unternehmen dabei, weiterhin zu wettbewerbsfähigen Preisen produzieren zu können. Die KI mache es zudem möglich, dass Mitarbeiter ihre blechernen „Kollegen“ künftig auch ohne Schulung oder Studium programmieren können.
Allerdings haben die neuen Möglichkeiten auch eine Schattenseite. „In unseren Feldstudien erleben wir oft, dass Beschäftigte Roboter als Konkurrenz wahrnehmen und sogar sabotieren“, berichtet Kraus. „Wir hatten schon den Fall, dass Gabelstaplerfahrer einen Roboter gejagt haben.“ Zwar zeigt eine Fraunhofer-Umfrage, dass nur wenige Mitarbeiter die Humanoiden als „Jobkiller“ fürchten. Um Ängste aber gar nicht erst entstehen zu lassen, rät Kraus dazu, Beschäftigte aktiv einzubinden: „In Betrieben, in denen Mitarbeiter Roboter selbst mitentwickeln und in Betrieb nehmen, ist die Belegschaft meist superstolz auf ‚ihre‘ Roboter.“
Bleibt die Frage, wann die KI-Roboter tatsächlich in den Werkhallen ankommen. Drei Viertel der Befragten in der Fraunhofer-Studie schätzen: in drei bis zehn Jahren. 20 Prozent denken, dass es länger dauert – oder die Marktreife überhaupt nicht absehbar ist. „Die größte Herausforderung sind aktuell die Trainingsdaten“, erklärt Kraus. „Sprach- und Bilderkennungs-Tools wie Chat GPT konnten nur deshalb so gut werden, weil sie mit den Unmengen an frei verfügbaren Texten und Fotos aus dem Internet trainiert werden konnten.“ In der Werkhalle müsse solches Trainingsmaterial oft erst mühsam beschafft werden.
Ein Risiko sind auch sogenannte Halluzinationen: dass eine KI Lösungen „erfindet“ wie Chat GPT manche falsche Antworten? Wäre in der Fertigung undenkbar. „Das wichtigste Thema in der Industrie ist Zuverlässigkeit“, sagt Kraus. Schon deshalb wird es wohl auch in ferner Zukunft noch Menschen in der Werkhalle brauchen.
„Die meisten interessiert nur der Oberkörper“
Sie haben Arme, Hände, einen Kopf und eine künstliche Intelligenz: menschenähnliche Roboter, sogenannte Humanoide. Sind diese smarten Helfer „Game Changer oder Irrweg?“, fragt eine neue Studie des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart. Dafür befragten die Forscher über 100 Industrie-Unternehmen.
aktiv sprach mit Werner Kraus, Forschungsbereichsleiter Automatisierung und Robotik am Fraunhofer IPA, über die Ergebnisse.

Herr Kraus, was hat Sie am meisten überrascht?
Dass die Unternehmen überwiegend am Oberkörper der Roboter interessiert sind. Vor allem an ihren feinfühligen Händen. Es wäre für viele okay, wenn man sie auf Räder stellt. Beine brauchen Roboter für 40 Prozent der Befragten nicht.
Ist es den Firmen wichtig, dass man mit Robotern sprechen kann?
Ja, KI ist für sie sehr wichtig. Die Mitarbeiter sollen nicht mehr umständlich Achswinkel des Roboters programmieren müssen, sondern ihm einfach sagen können, was er zu tun hat: „Leg das Bauteil in die Maschine“ oder „Räum hier auf“. Und das funktioniert heute schon. Ich bin sicher: Roboter werden bald so einfach bedienbar sein wie ein Smartphone.
Welche Vorteile bringt KI in der Robotik noch?
Sie reduziert den Einrichtaufwand enorm. Man muss wissen: Weltweit werden pro Jahr gut eine halbe Million Industrieroboter neu installiert. Alle müssen immer wieder programmiert werden, wenn sie neue Bewegungen ausführen sollen. KI-Roboter brauchen diese Programmierung nicht. Sie können sich selbstständig an neue Aufgaben anpassen.
Woher kommen die vielen Daten, die man fürs Training der smarten „Kollegen“ braucht?
In Teilen gibt es die schon, zum Beispiel in der Bilderkennung. Jeder nutzt auf seinem Handy eine KI, wenn er Fotos freistellt. Diese Daten zur Bildsegmentierung kann auch ein Roboter nutzen, etwa um Bauteile zu erkennen. In anderen Bereichen fehlen allerdings noch Daten.
Wo könnten KI-Roboter denn künftig eingesetzt werden?
Dank der Fortschritte in der Bilderkennung aktuell vor allem in der Logistik. Hier kommt die generative Eigenschaft der KI voll zum Tragen: Früher musste man jeden Gegenstand händisch in eine Einlernstation stellen, um ein CAD-Modell zu erzeugen, mit dem der Roboter arbeiten kann. Heute lernt die KI das ganz ohne Modell. Auch beim Schweißen können KI-Roboter schon selbstständig die richtigen Parameter einstellen.
Was meinen Sie: Verschwindet die menschliche Handarbeit irgendwann?
Nein, denn gerade die Fähigkeiten der menschlichen Hand sind unerreicht. Auch die menschliche Flexibilität: Wer oft zwischen verschiedenen Arbeitsschritten wechselt, dessen Job ist vermutlich noch lange sicher. Roboter können nicht so schnell umschalten – oder sie sind sehr teuer und damit unwirtschaftlich.
Noch mal zu den Humanoiden: Kommen die irgendwann?
Roboter mit menschlichen Proportionen faszinieren, machen aber technisch nur selten Sinn. Ein Staubsaugerroboter etwa muss klein sein, um unters Sofa zu kommen, ein Unterwasser-Roboter stromlinienförmig. Oft würde ein menschlicher Körper nur stören.

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Klavier in einer Band.
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