Sanft greift ein Roboterarm nach dem Handtuch. Dank Kameras und Sensoren, die KI-gesteuert sind, erkennt der Roboter die Ecken des Handtuchs präzise und legt das Frottier so auf ein Transportband, dass ein weiterer Roboter das Tuch aufnimmt. KI trifft auf Textil!
Der Roboterarm des Münchner Start-ups Sewts ist ein Beispiel für KI-Anwendungen in der Textilbranche. Die Technologie wird Produktionsprozesse tiefgreifend verändern. „In der Lagerhaltung und Logistik bis hin zu Vorhersagemodellen für Modetrends und bei der Qualitätskontrolle und Produktionssteuerung wird KI in Zukunft verstärkt eingesetzt werden. Sie kann helfen, Abläufe effizienter zu machen“, sagt Steffen Seeger, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sächsischen Textilforschungsinstitut (STFI) in Chemnitz und KI-Experte am Mittelstand-Digital Zentrum Smarte Kreisläufe. Seeger: „Letztendlich werden damit Unternehmen wettbewerbsfähiger und können schneller auf Marktveränderungen reagieren.“
Unternehmen sind jetzt dabei, Daten zu erfassen
Eine Voraussetzung dafür: Daten, mit denen die KI lernt. „Gerade bauen dafür viele Unternehmen aus der Branche die nötige Datenbasis und Infrastruktur auf“, weiß Seeger. Dazu gehört etwa der Vliesstoffhersteller pely-tex aus Wahlstedt, der zur Pelz Group gehört „Wir möchten mit KI den Herstellprozess unserer Vliesstoffe optimieren“, sagt Henning Röttger, zuständig für den Bereich Geschäftsentwicklung. Ein Problem ist die Vielzahl an Einflussfaktoren und deren Wechselwirkung, die zum Teil höherer Ordnung ist. So führen Temperatur oder Druckveränderungen zu unterschiedlichen Auswirkungen auf das Endprodukt.
„Wir möchten mit KI den Herstellprozess unserer Vliesstoffe optimieren“
Henning Röttger, Leiter Geschäftsentwicklung Pelz Group
pely-tex zeichnet deshalb Daten zu Prozessparametern auf. Röttger: „Wir sammeln etwa Daten in der Produktion zum Bindemittelschaum, der einen wesentlichen Einfluss auf die Vliesqualität hat, um die Auswirkungen an der Schaumstruktur auf die Produkteigenschaften besser zu verstehen und unseren Prozess besser steuern zu können.“ Damit soll in Zukunft eine KI gefüttert werden, die Muster in den Daten finden kann. So soll es möglich werden, vorauszusagen, wie sich verschiedene Parameter auswirken. Ziel ist eine gleichbleibende Vliesstoffqualität und ein besseres Prozessverständnis als Basis für weitere Entwicklungen. „Noch stehen wir am Anfang“, sagt Röttger. Er ist sicher: „Ohne KI ist eine textile Produktion in Zukunft nicht mehr vorstellbar.“
Um die Mitarbeiter mitzunehmen, ist ein Change-Management wichtig
Für Mitarbeiter stellt sich die Frage: Wie bin ich betroffen? Ist mein Job dadurch in Gefahr? „Tatsächlich können mehr Routineaufgaben in Zukunft automatisiert werden. Menschen bleiben aber wichtige Aufgaben wie Störungsbeseitigung oder Problemlösung“, prophezeit STFI-Forscher Seeger. Und von Betroffenheit will Professor Thomas Thiessen gar nicht sprechen. Der Kommunikationsexperte an der BSP Business and Law School in Berlin und Konsortialleiter des Mittelstand-Digital Zentrums Zukunftskultur sagt: „Sich als Betroffener zu sehen, führt zu einer negativen Einstellung.“ Er rät, mit Neugierde an Veränderungen heranzugehen. Dann könne man entscheiden, ob ein Risiko für das eigene Arbeitsumfeld besteht oder ob man von der Entwicklung profitieren kann: „Versuchen Sie, aus der reflexartigen Abwehr herauszukommen, in eine Position, in der sie Wissen entwickeln möchten.“
Dabei dürfen Mitarbeiter durchaus Ansprüche ans Management stellen – wie etwa Weiterbildungen. Damit der Betrieb KI-ready werden kann, fordert er ein systematisches Change-Management. Wichtig dabei: Kommunikation, Orientierung und definierte Rollen, um die Verantwortung für die Veränderung zu verteilen. Sein Tipp fürs Management: „Hören Sie konzentriert zu und nehmen Sie faktische und emotionale Hinweise aus der Belegschaft auf. Das liefert Ihnen wichtige Informationen darüber, ob, wo und wie Prozesse verbessert oder verändert werden können.“
Das Netzwerk
Das Netzwerk Mittelstand-Digital bietet in verschiedenen Zentren kleinen und mittleren Unternehmen Hilfe bei der Digitalisierung an.
Dort können sich Unternehmen austauschen, Experten finden sowie Seminare buchen.
Für weitere Informationen bietet das Netzwerk eine Übersicht der Digitalzentren nach Themen und Ort.

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.
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