Sie speist Textroboter wie ChatGPT, retuschiert Menschen aus Handyfotos und ist dafür verantwortlich, welche Werbung wir zu sehen bekommen: Künstliche Intelligenz (KI) steckt inzwischen in vielen Alltagsanwendungen. Auch immer mehr Unternehmen setzen KI-Tools ein: zur Mitarbeiterqualifizierung und Fachkräftegewinnung, in der Intralogistik oder zur Prozessoptimierung.
Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von KI in Betrieben waren Thema des „Industrie Digital“-Kongresses in Hannover. Auf dem vom Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall und dem Niedersächsischen Wirtschaftsministerium ausgerichteten Event tauschten sich 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer darüber aus – um voneinander zu lernen.
Eine KI-Analyse brachte ans Licht, wo es in der Produktion hakt
Zum Beispiel von Ralf Brodnicki. Der Geschäftsführer der Kohrener Landmolkerei berichtete, wie seine kleine Firma aus Sachsen nach einer Insolvenz mit dem Rücken zur Wand stand – und ihr dann KI zur Hilfe kam. Anlass war der Personalmangel: „Verdiente Mitarbeiter hatten in der Krise das Unternehmen verlassen, und es war schwer, neue zu gewinnen“, sagte Brodnicki. „Unsere Idee war deshalb, das Erfahrungswissen der vorhandenen Mitarbeiter besser zu nutzen.“ Doch das war nicht einfach. Schließlich stammen die Beschäftigten der Molkerei aus elf unterschiedlichen Kulturkreisen und haben oft nur begrenzte Kenntnisse der deutschen Sprache.
Brodnicki holte sich deshalb Experten ins Haus, die jeden Produktionsschritt dokumentierten, Mitarbeiter interviewten und das gesammelte Wissen mithilfe von KI-Tools filterten. Dabei zeigte sich Interessantes: etwa, dass sich Fehler an bestimmten Wochentagen wiederholten.
„Die KI hat uns geholfen zu verstehen, welches Wissen in welcher Sprache an den Arbeitsplätzen vorhanden sein muss, damit keine Fehler passieren“, erklärte Kartin Grossmann von der Agentur Wissenstransfer.io, die das Projekt unterstützte. Durch die Auswertungen wurde Brodnicki und seinem Team klar: Viele Fehler entstehen durch mangelhafte Kommunikation.
Die Landmolkerei ließ deshalb Videos in verschiedenen Sprachen drehen, produzierte Audio-Dateien und mehrsprachige Informationstafeln. Über einen QR-Code am Arbeitsplatz finden die Mitarbeiter nun alle notwendigen Infos. „Der einmalige Aufwand spart uns künftig viel Geld“, sagte Brodnicki. Früher gab die Molkerei rund 50.000 Euro für rund sechswöchige Schulungen aus. Dank der digitalen Tools dauern die Schulungen nur noch anderthalb Wochen und kosten nur 15.000 Euro.
Gute Erfahrungen mit dem Einsatz von KI hat auch Björn Scharnhorst gemacht. Der Geschäftsführer der Nexis Process Management GmbH klärte darüber auf, welche Potenziale in einer intelligenten Intralogistik stecken. „Wenn Prozesse unübersichtlich werden, entstehen Störfaktoren. Die Logistik im Unternehmen wird aufgebläht. Es fehlt an Transparenz“, zählte der Experte die Probleme auf, die unklare Abläufe hervorrufen. Hier könne KI Klarheit schaffen: „Sie hilft uns, die Spreu vom Weizen zu trennen und die wirklich wichtigen Informationen klug zu nutzen“, sagte Scharnhorst. Künstliche Intelligenz könne auch dabei helfen, das Know-how langjähriger Mitarbeiter zu speichern und zu nutzen. Dass Beschäftigte bei dieser Transformation nicht mitmachen wollen, habe er bei seinen Betriebsbesuchen nie erlebt. „Es ist ein Trugschluss zu glauben, Mitarbeiter wollten keine Veränderung. Sie sind bereit, wenn wir von Beginn an offen kommunizieren.“
Wichtig für den Wandel: ein digitales Mindset
Das ist auch die Erfahrung von Jens Harde, Geschäftsführer Operations der Weidemann GmbH in Korbach: „Ich habe die Nörgler und Verweigerer noch nicht erlebt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Mitarbeiter von Beginn an offen über die Notwendigkeit und Ziele informiert werden.“ Die Weidemann GmbH, die Maschinen für die Landwirtschaft herstellt, kämpft derzeit wie viele andere Betriebe mit starken Umsatzrückgängen. Bei der Transformation setzt Harde auch auf öffentliche Förderprogramme und ist von der Resonanz seiner Beschäftigten begeistert: „Die Schulungsprogramme sind freiwillig und finden ein unglaublich großes Interesse. Digitalisierung ist ein entscheidender Schulungsblock. Dafür schaffen wir jetzt bei den Mitarbeitern ein digitales Mindset.“ Weidemann baut dabei auf Erfahrungen, die er in einem Luftfahrtzuliefer-Unternehmen gemacht hat. „Offene Kommunikation hilft immer. Die Botschaft muss sein, dass Digitalisierung hilft und am Ende wir alle profitieren.“
Der Bot analysiert, der Mensch entscheidet
Wie KI für mehr Produktivität sorgen kann, machte Jens Redmer von Google Deutschland am Beispiel seines beruflichen Alltags deutlich. „Ich habe einen Chatbot, den ich den Zusammenfasser genannt habe“, erklärte Redmer beim Kongress in Hannover. Sein digitales Helferlein habe er darauf trainiert, Inhalte zu analysieren, zusammenzufassen und immer im gleichen Format auszuspielen. „Dadurch kann ich das Wichtige von Unwichtigem trennen“, berichtete der Google-Manager.
Als Ersatz für eine Suchmaschine sei diese Art von KI allerdings nicht geeignet, warnte Redmer: „Chatbots sind nicht so gut in faktischem Wissen, dafür aber im Gegenüberstellen und Bewerten von Dingen – etwa, um die Produktivität zu erhöhen.“ Googles Chatbot Gemini sei inzwischen sogar in der Lage, Videos zu analysieren.
„Smarte Lösungen kosten Geld“
Ein Kommentar von Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands NiedersachsenMetall.
KI ist die derzeit größte Wette auf die industrielle Zukunft. KI hat weitreichende ökonomische Konsequenzen – für die gesamte Volkswirtschaft, für Produktion, Produktivität, technologischen Fortschritt und für den Arbeitsmarkt. KI wird nicht sämtliche heutige Arbeitsplätze ersetzen, aber künftige Arbeitsplätze werden wohl kaum noch ohne künstliche Intelligenz auskommen.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie, wonach Deutschland im europäischen Vergleich mit insgesamt 12 Prozent KI-nutzenden Unternehmen auf Platz sieben und damit etwas über dem EU-Durchschnitt von 8 Prozent KI-Nutzung liegt, zeigt: Wir haben in Niedersachsen – wie in Deutschland allgemein – bei der Anwendung von KI noch Luft nach oben. In einem Standort-Gutachten, das das IW kürzlich in unserem Auftrag vorgelegt hat, zeigt sich, dass die Unternehmen in der niedersächsischen Industrie über alle Größenklassen hinweg veränderungsbereiter und aufgeschlossener gegenüber Digitalisierungsstrategien sind als Betriebe in vielen anderen Bundesländern. Ein digitales „Mindset“ allein reicht aber nicht. Firmen müssen auch in der Lage sein, in smarte Lösungen zu investieren.
Finanziell ist die Lage vieler Unternehmen aufgrund der hohen Energie-, Bürokratie- und Lohnkosten aber extrem angespannt. Die Zahl auch niedersächsischer Unternehmen, die im Ausland anstatt bei uns investieren, wächst ständig. Um im KI-Rennen ganz vorn mitmischen zu können, benötigt unsere Industrie vor allem ganz dringend wieder einen wettbewerbsfähigen Standort.
Zahlen zur KI-Nutzung in Unternehmen
- 74 Prozent der Firmen in Deutschland wollen demnächst in KI investieren.
- 20 Prozent der Betriebe setzen KI bereits ein.
- 37 Prozent planen oder diskutieren ihren Einsatz.
Quelle: Bitkom-Umfrage, Oktober 2024
Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.
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