Tuttlingen. Autoreifen, Schläuche, Kinderschnuller – Kautschuk ist aus dem Alltag nicht wegzudenken. Doch die Rohstoffe für natürlichen und für synthetisch hergestellten Kautschuk sind knapp. Die Regenwälder nehmen ab, Erdöl geht irgendwann zur Neige.
Für dieses Problem haben Linda Shen, Laura Sistek, Michelle Sommer und Eva Vennemann nun eine Lösung gefunden. Ihnen gelang es, Kautschuk aus der Pflanze Dreikantige Wolfsmilch zu isolieren. Drei Jahre haben sie am chemischen Prozess gefeilt. Immer nur nachmittags nach der Schule. Denn als die vier Forscherinnen 2014 ihr Projekt vorstellten, waren sie gerade einmal 18 Jahre alt.
Russischer Löwenzahn war nicht groß genug
„In der Forscher-AG unserer Schule haben wir uns mit der Kunststoffherstellung aus Russischem Löwenzahn beschäftigt“, sagt Nachwuchsforscherin Michelle Sommer. „Die Pflanze war uns aber zu klein, weil sie nur wenig Wolfsmilch besitzt. Deshalb haben wir uns nach einem größeren Wolfsmilchgewächs umgesehen und sind auf die Dreikantige Wolfsmilch gekommen.“ Diese Pflanze, äußerlich wie ein Kaktus, besitzt den Stoff Isopren, aus dem sich Kautschuk herstellen lässt.
„Die Dreikantige Wolfsmilch hat große Flächen, die man aufritzen kann, sodass die Wolfsmilch hinaustropft“, erläutert Sommer. „Die Wolfsmilch haben wir dann aufgesammelt und mit Chemikalien versetzt, damit sie flüssig bleibt.“ Anschließend wurde die Flüssigkeit so lange zentrifugiert, bis sich eine Membran gebildet hatte. „Diese Membran war dann der Kautschuk.“
Ganz ohne Unterstützung ging es nicht. „Als wir gemerkt haben, dass wir Geräte wie eine Zentrifuge brauchen, sind wir ins Schülerforschungszentrum Tuttlingen gegangen“, sagt Sommer. Auch das Fraunhofer Institut in Stuttgart, das an einem ähnlichen Projekt arbeitete, habe sie unterstützt.
Die Entdeckung ist ein neuer und umweltschonender Weg, Kautschuk zu gewinnen. Denn der Rohstoff wird bisher entweder auf natürliche Weise aus tropischen Kautschuk-Bäumen gewonnen, deren Rodung den bereits stark dezimierten Regenwald weiter beansprucht, oder synthetisch aus Erdöl hergestellt.
Preise auch aus Angola, Malaysia und Thailand
Vorteil der Dreikantigen Wolfsmilch: Sie ist unkompliziert im Anbau und leicht zu kultivieren. Da sie eher in heißen und trockenen Gebieten gedeiht, würde ihr Anbau auch Regionen Chancen bieten, in denen normalerweise nicht viel wächst und deren Länder noch Entwicklungsstatus haben.
Weltweit erregten die Schülerinnen Aufmerksamkeit. So erhielten sie Preise von der Republik Angola, der Forschungsmesse iENA, der World Intellectual Property Organization und Forschungsorganisationen aus Taiwan und Malaysia. „Wir haben das überhaupt nicht erwartet“, freut sich Michelle Sommer. Bei „Jugend forscht“ holten sie den zweiten Platz.
Die vier Erfinderinnen, die seit Sommer 2015 ihr Abitur haben, möchten nun erst mal studieren. Geht es danach in die Kautschukforschung? „In die Forschung möchten einige von uns auf jeden Fall“, sagt Sommer. „Das Kautschukprojekt ruht aber vorerst.“