Köln. Deutschland blickt zurück auf eine lange Phase wirtschaftlicher Stärke und Expansion. Nun schwächelt die Konjunktur. Wie die Lage derzeit aussieht und was das für die Zukunft bedeutet, erklärt Konjunkturexperte ProfessorMichael Grömling vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.
Überall ist von Rezession die Rede. Ist die nächste Wirtschaftskrise da?
Wir befinden uns in einer Schwächephase, das ist unstrittig. Der wichtigste Indikator für Wirtschaftsleistung, das Bruttoinlandsprodukt, ist im ersten Quartal 2019 moderat gesunken. Allerdings müssen wir tiefer blicken als nur auf den gesamtwirtschaftlichen Zustand.
Inwiefern?
Teile unserer Volkswirtschaft, wie der Dienstleistungsbereich oder die Baubranche, laufen noch gut. Die Industrie allerdings erlebt seit inzwischen eineinhalb Jahren eine Rückwärtsbewegung, da sind wir eindeutig im Abschwung.
Woher kommt das?
Für die Industrie sind die Märkte in aller Welt relevant. Deutschland ist eines der exportstärksten Länder der Welt. Viele Firmen aus Bayern spielen dabei eine herausragende Rolle. Doch gerade auf den Weltmärkten herrscht große Verunsicherung.
Da ballt sich politisch gerade sehr viel zusammen.
Ja, und das verunsichert. Da sind natürlich der Handelsstreit zwischen China und den USA, der Brexit, die unsichere Situation in Italien. Aber auch die fehlende Stabilität in großen Schwellenländern wie Russland und Brasilien kommt hinzu. Dadurch investieren Unternehmen weltweit weniger. Das trifft die deutsche und bayerische Industrie besonders heftig. Denn sie ist stark auf Investitionsgüter spezialisiert, also Maschinen, Fahrzeuge und Anlagen.
Was bedeutet das für die Unternehmen?
Wenn wichtige Absatzmärkte schwächeln und auf absehbare Zeit kein kräftiger Aufschwung gesehen wird, dann gehen auch hier im Inland die Investitionen zurück. Dabei müssten die Unternehmen gerade jetzt den strukturellen Wandel angehen, den die Digitalisierung erfordert.
Wirkt sich der Abschwung auf die Beschäftigten aus?
Die momentan hohe Beschäftigung verdeckt, dass die Anspannungen am Arbeitsmarkt zunehmen. Der Beschäftigungsaufbau der letzten 15 Jahre ist vorbei. Die Arbeitslosenquote geht nicht weiter zurück. In vielen Betrieben werden schon Arbeitszeitkonten abgebaut, die Zeitarbeit wird zurückgefahren, und die Kurzarbeitsanzeigen steigen. Einige Betriebe planen bereits, Stellen abzubauen. Unabhängig davon führt ein Abschwung auch zu Einkommensverlusten, und es wird weniger konsumiert. Der Staat nimmt weniger Steuern ein. Bei einer ausgeprägten Rezession kommt es zu Unternehmensinsolvenzen.
Was hilft den Unternehmen?
Sie brauchen ein hohes Maß an Flexibilität. Dazu gehören etwa eine leichtere Handhabung der Kurzarbeit, ein hoher Flexibilitätsgrad beim Einsatz der Arbeit und auch das Zurücknehmen der hohen Einschränkungen im Befristungsrecht. Zudem muss die Politik standortfreundliche Signale senden und klare Rahmenbedingungen setzen: in der Steuer-, Klima- und Energiepolitik. Nur dann wird auch investiert.
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