Stuttgart/Kirchardt. Alle reden von der Transformation. Doch was heißt das überhaupt? Einfach gesagt: Es bleibt kein Stein auf dem anderen. Franz Loogen, Geschäftsführer der Landesagentur für neue Mobilitätslösungen und Automotive, erklärt: „Sowohl das Produkt Automobil als auch die gesamten Prozesse von Entwicklung, Produktion oder Vertrieb verändern sich.“ Von einem neuen Zeitalter für die Autobranche ist sogar die Rede.
Andreas Genesius, Entwicklungschef beim Automobilzulieferer Kaco, würde dem wohl zustimmen. Er erklärt gerade, dass der Ring da auf seiner Handfläche nicht einfach nur ein Ring ist, sondern ein Geberrad: Es hat eine spezielle Beschichtung, die Signale an einen Sensor abgibt, der einen Motor steuert. Es ist eines der neuen Produkte, mit denen sich Kaco auf den Wandel in der Autobranche einstellt.
„Wir sind Teil des Wettrennens“, sagt Kaco-Entwicklungschef Genesius
Kaco mit Sitz in Kirchardt bei Heilbronn produziert seit über 100 Jahren Dichtungen für Motoren. Doch jetzt muss das Unternehmen alles ändern: „Kurbel- und Nockenwellen werden im Elektromotor nicht mehr gebraucht. Deshalb müssen wir neue Produkte entwickeln“, sagt Genesius und nennt Dichtungen für sehr hohe Drehzahlen, wie sie für Elektromotoren typisch sind, oder Wellenerdungsringe zum Schutz der Lager bei elektrischen Antrieben.
„Wir sind Teil des Wettrennens“, so beschreibt Genesius die Situation. Er verantwortet für die sechs Kaco-Werke weltweit mit rund 2.000 Mitarbeitern die Produktentwicklung. In der Branche bestehe Einigkeit darüber, dass der Verbrennungsmotor 2028 seinen Höhepunkt erreiche, danach werden die Stückzahlen bei den Neuzulassungen abnehmen, Hybride, Plug-in-Hybride und elektrische Antriebe werden dagegen stark zunehmen.
Das Problem: „Die technologische Varianz wächst gerade enorm, und keiner weiß, was sich in Zukunft durchsetzen wird.“
Neue Entwicklungen entstehen immer öfter in China
Hintergrund: Neue Entwicklungen entstehen nicht mehr allein in deutscher Ingenieurskunst, sondern immer öfter in Asien oder den USA. China ist der größte Markt für batteriebetriebene E-Autos - und gibt damit den Takt vor, gleichzeitig pusht man dort auch die Brennstoffzellen-Technik. Große Zulieferer wie Mahle und Elring Klinger setzen ebenfalls darauf.
Elring-Klinger-Vorstandsvorsitzender Stefan Wolf, der auch Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Südwestmetall ist, hält die Brennstoffzellen-Technik, bei der mithilfe von Wasserstoff Energie für den E-Antrieb erzeugt wird, sogar für die „derzeit beste Technologie“. Der verschärfte Wettbewerb, die hohe Taktzahl der Entwicklungen und der Kostendruck: Für die rund 1.000 Zulieferer in Baden-Württemberg ist die aktuelle Lage alles andere als komfortabel. Genesius: „Unser Ziel ist deshalb, möglichst universell einsetzbare Produkte zu entwickeln.“
Die Branche muss sich auf unterschiedliche Szenarien einstellen
In einem konservativen Szenario gehen die Forscher der Studie BW-mobil davon aus, dass im Jahr 2030 rund 15 Prozent aller neuen Pkws in Europa reine Elektroantriebe haben werden, in einem progressiven Szenario sind es sogar gut die Hälfte aller Neuwagen. Zum Vergleich: In Deutschland war 2018 nur 1 von 100 neu zugelassenen Autos ein reines E-Mobil, etwas höher liegt der Anteil bei hybriden Antrieben. Doch welches Szenario eintritt, hängt vor allem von politischen Rahmenbedingungen und internationalen Märkten ab.
Die Branche muss vorbereitet sein und gibt Gas. Getrieben von immer schnelleren Innovationszyklen und den Klimazielen der EU investiert die deutsche Auto-Industrie in den nächsten drei Jahren 40 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung alternativer Antriebe.
Ab Ende 2020 fertigt Audi den voll elektrisch angetriebenen e-tron GT in Neckarsulm.
Allein Audi nimmt 14 Milliarden Euro in die Hand für „Elektromobilität, Digitalisierung und autonomes Fahren“. Ab Ende 2020 wird der elektrisch angetriebene Audi e-tron GT zusammen mit dem Sportwagen Audi R8 in den Böllinger Höfen nahe dem Werk Neckarsulm gefertigt.
ZF Friedrichshafen steckt 12 Milliarden Euro in autonomes Fahren und elektrische Antriebe
Auch der weltweit drittgrößte Autozulieferer ZF Friedrichshafen stärkt seine Division E-Mobility und hat angekündigt, 12 Milliarden Euro in autonomes Fahren und elektrische Antriebe zu investieren.
Zulieferer sehen unterdessen die Möglichkeit, vermehrt auch asiatische Autobauer zu beliefern. Kaco etwa ist ohnehin durch seine chinesische Konzernmutter, die Zhongding Group, mit diesem Markt verbunden. Doch gerade die enge Verflechtung von Zulieferern, Automobilkonzernen und Dienstleistern ist eine der Stärken des Auto-Standorts Baden-Württemberg.
Ein weiteres Problem: „Die Wertigkeit des Portfolios für Elektroantriebe ist niedriger als für komplexe Verbrennungsmotoren“, erklärt Genesius. Bedeutet: Es wird weniger damit verdient. Um das wettzumachen, versuchten Zulieferer wie Kaco, stärker auf ganze Systeme zu setzen.
Nur in einem Punkt ist sich Genesius ganz sicher: „Wir dürfen nicht stehen bleiben.“
Außerdem im Themen-Special:
Die Auto-Industrie ist seit Jahrzehnten im Südwesten der Garant für Wohlstand, Sicherheit und Arbeit. Rund 470.000 Beschäftigte in Baden-Württemberg sind direkt oder indirekt vom Automobil abhängig. Doch die Branche steht enorm unter Druck. Alle Kräfte in Wirtschaft und Politik müssen jetzt zusammenwirken, damit der Transformationsprozess gelingt und die Industrie ihre weltweite Spitzenposition behält.
Weitere Artikel des Themen-Specials:
- Einführung: Wie die Auto-Industrie um den Spitzenplatz kämpft
- Politik: IW-Experte Thomas Puls über die aktuellen Herausforderungen