Berlin/Wien. Gemütlich im Kaffeehaus sitzen statt zu Hause angespannt das Kleingeld zählen: Österreichs Rentner bekommen mehr Geld als unsere. Für die Linkspartei war das im letzten Bundestagswahlkampf eine Vorlage: „Brauchen Rente wie in Österreich, wo Durchschnittsrentner 800 Euro mehr im Monat erhält als in Deutschland“, textete die Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Doch diese Behauptung ist arg verkürzt – nicht nur stilistisch.

Der Faktencheck bei der Deutschen Rentenversicherung Bund in Berlin lässt den angeblichen 800-Euro-Vorteil für Österreichs Ruheständler zunächst auf 527 Euro schmelzen. Im Durchschnitt 909 Euro brutto pro Monat flossen im Jahr 2015 als gesetzliche Altersrente in Deutschland – und 1.436 Euro in Österreich. Bei diesem Vergleich sind die 14 Auszahlungen im Alpenland (dort gibt es für die Senioren quasi ein Urlaubs- und ein Weihnachtsgeld) schon auf die in Deutschland üblichen 12 Auszahlungen umgerechnet.

Und Reinhold Thiede, Leiter des Geschäftsbereichs „Forschung und Entwicklung“ bei der Deutschen Rentenversicherung, gibt zu bedenken: Bei genauerer Betrachtung liegen die Renten deutlich weniger auseinander. Die Österreicher müssen 15 Jahre Beiträge einzahlen, um Rente zu erhalten, die Deutschen dagegen lediglich 5 Jahre – dadurch gibt es bei uns mehr Mini-Renten, was natürlich den statistischen Durchschnitt nach unten zieht.

Thiede: „Berücksichtigt man nur Renten, denen mindestens 15 Versicherungsjahre zugrunde liegen, fällt die durchschnittliche Bruttomonatsrente in Deutschland um circa 100 Euro höher aus.“ Damit schrumpft der Abstand weiter auf 427 Euro.

Der Experte verweist auf weitere Nachteile in Österreich. So müssen die Renten dort voll, in Deutschland derzeit nur zu 74 Prozent versteuert werden – was netto, trotz der bestehenden Freibeträge, den Unterschied oft weiter nivelliert. Vorzeitig in Rente zu gehen, ist teurer (pro Jahr 4,2 Prozent Abschlag statt 3,6 Prozent bei uns), über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten bringt weniger (4,2 Prozent Aufschlag statt 6 Prozent bei uns). Und bei Hilfsbedürftigkeit ist die deutsche Pflegeversicherung in Deutschland in vielen Fällen besser als das steuerfinanzierte Pflegegeld in Österreich.

Das Geld fehlt für Zukunftsprojekte

Hinzu kommt: Die Finanzierung des österreichischen Rentensystems steht nach Einschätzung zahlreicher Experten auf vergleichsweise wackligen Beinen: Anders als das deutsche hat Österreichs Rentensystem keinen Nachhaltigkeitsmechanismus, mit dem es sich schrittweise an die schrumpfende Zahl junger Beitragszahler anpasst. Die EU-Kommission sieht darin ein „Tragfähigkeitsrisiko“.

Aktuell liegt der Rentenbeitrag in Österreich mit stolzen 22,8 Prozent um 4,1 Prozentpunkte höher als bei uns. Und das Rentensystem wird im Alpenland mit jährlich 10 Milliarden Euro Steuermitteln bezuschusst. Diese Finanzspritze ist deutlich höher als in Deutschland, wenn man die unterschiedliche Größe der beiden Länder berücksichtigt. Insgesamt gibt Österreich, relativ zu Deutschland, 4 Prozent seiner Wirtschaftsleistung zusätzlich für die Renten aus. Geld, das man auch in Bildung, Forschung und Digitalisierung stecken – aber eben nur einmal ausgeben kann