Hagen. Eigentlich sieht die kantige Stahlstange bereits schön gerade aus. Aber „eigentlich“ ist Andreas Hantmann nicht genug. Er lässt die lange Stange auf der Richtanlage noch einmal zurückfahren. 250 Tonnen Presskraft stecken in der Maschine, die das harte Material verformt – so, als würde man eine Büroklammer hin- und herknicken. Am Schluss ist die Stange absolut gerade und der Verfahrensmechaniker zufrieden: „Ich weiß nicht, ob andere die Knicke sehen. Ich jedenfalls sehe sie.“
Das gute Auge für Präzision kann sein Chef nur bestätigen: „Er erkennt Ungenauigkeiten, die man normalerweise nicht sieht“, sagt Carsten Bleck, einer der beiden Geschäftsführer von Andernach & Bleck.
Seit 21 Jahren arbeitet Andreas Hantmann in der Hagener Firma und gehört damit zu den vielen langjährigen Mitarbeitern, auf deren Erfahrungen die Präzisionszieherei ihren Erfolg baut. Es gehört viel Fachkenntnis und Augenmaß dazu, aus dem rauen Rohmaterial den glänzenden, glatten, maßgenauen Blankstahl zu machen.
Die 170 Mitarbeiter in Hagen verarbeiten im Jahr bis zu 90.000 Tonnen Stahl. Der warmgewalzte Stahl muss für die Weiterverarbeitung entzundert werden. „Umweltfreundlich“, betont Carsten Blecks Vater Armin. „Die Walzhaut wird auf mechanischem Weg weggestrahlt – das heißt, wir brauchen keine ätzende Schwefelsäure.“
Dann geht es dem blanken Stahl an die Länge: Mit enormer Kraft werden die Stangen durch die engeren Werkzeuge gezogen. Aus 5,40 Meter werden so beispielsweise dünnere 7 Meter.
Azubi Dennis-René Guthe sammelt an der entsprechenden Anlage Erfahrungen: „Die Stange muss ganz gerade in die Matritze laufen, sonst kann sie ausschlagen und das Werkzeug beschädigen.“ Auf der anderen Seite heraus kommt ein dichter, fester Blankstahl, der noch gerichtet und bei Bedarf wärmebehandelt wird. So kann er von den Kunden zu den unterschiedlichsten Produkten weiterverarbeitet werden: zum Flanschring in der Windkraftanlage, zum Teil eines Neun-Gang-Getriebes oder für das Bremssystem eines deutschen Oberklasse-Autos. Er ist zu finden im Türschloss, als Spike an Rodler-Handschuhen oder als Gestaltungselement im Stuttgarter Mercedes-Museum.
Auf Standardprodukte müssen die Kunden nicht lange warten: „Bei den Schnelldrehern haben wir eine 24-Stunden-Regel: Nach Anruf wird innerhalb eines Tages geliefert“, erklärt der Senior-Chef Armin Bleck, Geschäftsführer in vierter Generation.
Sonderprofile sind die große Stärke des Unternehmens. Mehr als 9.000 Abmessungen von scharf bis rund in allen Varianten sind möglich. Damit haben sich die Hagener ganz nach vorn gearbeitet. „Wir sind die Einzigen in Deutschland, die das Flachprogramm in dieser Breite bieten“, sagt Carsten Bleck. Europaweit gehört die Firma zu den Top Fünf, geliefert wird weltweit: 25 bis 30 Prozent gehen in den Export, ein wachsender Markt ist derzeit Südamerika.
„Ich bin schon als Kind mitgefahren, um Material zu holen. Es macht Spaß, wenn ich die Tür aufmache und es klappert und riecht nach Öl“, sagt Armin Bleck. Sohn Carsten schlägt in die gleiche Kerbe: „Glühender Stahl ist faszinierend, ein genialer Werkstoff.“
Die sechste Generation sieht es wohl ähnlich, der neunjährige Nachwuchs kennt sich im Betrieb schon aus. Und trifft dort auch bei den Mitarbeitern auf Familien-Traditionen. So sind die Hantmanns mit gleich drei Brüdern vertreten, und bei Azubi Dennis-René Guthe ist der Vater mit an Bord.