Berlin. In den sozialen Medien wird viel Unsinn gepostet. User David G. etwa behauptet in einem Kommentar auf unserem Facebook-Auftritt: „Noch nie in der Geschichte konnten so viele Menschen, die arbeiten, nicht von ihrem Geld leben.“ Aber auch RTL meldet mal eben, ohne das dann zu belegen: „Immer mehr Menschen müssen trotz Arbeit aufstocken.“ Kann das stimmen?!
„Eindeutig nein! Das Gegenteil ist der Fall. Die Zahl der Hartz-IV-Aufstocker sinkt laufend – und zwar absolut wie auch in Relation zu allen Beschäftigten.“ Das erklärt Holger Schäfer, Arbeitsmarktforscher am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Grund für diese gute Entwicklung ist natürlich die stabile wirtschaftliche Lage nebst „Jobwunder“: Mehr als 45 Millionen Menschen haben Arbeit – das sind so viele wie noch nie seit der Wiedervereinigung!
Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt, dass es im Jahresdurchschnitt 2017 rund 1,15 Millionen Aufstocker gab. Inzwischen sind es nur noch 1,1 Millionen – und damit knapp 250.000 weniger als im Jahr 2011.
Grundsätzlich muss man wissen: Aufstocker – das sind zum einen Personen, die trotz eines sozialversicherungspflichtigen Jobs in Voll- oder Teilzeit auf staatliche Hilfe angewiesen sind. Zum anderen sind es Menschen, die von Grundsicherung leben und sich ein wenig dazuverdienen, meistens als Minijobber.

„Vollzeitbeschäftigte, die so wenig verdienen, dass sie zusätzlich staatliche Hilfe für ihren Lebensunterhalt brauchen, kommen nur sehr selten vor“, betont der Experte. „Bundesweit betrifft das weniger als 200.000 Menschen – ein gutes Viertel davon sind übrigens Auszubildende.“
Gemessen an allen Vollzeitbeschäftigten liegt der Anteil der Aufstocker unter 1 Prozent. „Die meisten Aufstocker sind geringfügig oder in Teilzeit beschäftigt“, weiß der Ökonom. Und viele Menschen können das auch gar nicht ändern – oft aus privaten Gründen, etwa weil sie alleinerziehend sind und keinen passenden Betreuungsplatz finden.
Zahl der Aufstocker geht runter, obwohl immer wieder neue dazukommen
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die Zahl der Aufstocker seit Jahren kontinuierlich runtergeht – obwohl ja auch stets neue Aufstocker hinzukommen. Und das sei erfreulich, betont Schäfer: „Es gibt mehr Personen, die den Übergang aus der Arbeitslosigkeit in eine Beschäftigung schaffen. Sie können zwar anfangs nur einen Teil ihres Bedarfs selbst erwirtschaften – aber immerhin.“
Und wie hängt das alles mit dem Mindestlohn zusammen? „Es gab mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns 2015 keinen besonders starken Rückgang der Aufstocker“, sagt Schäfer. „Der Grund dafür, dass Erwerbstätige trotz Job Hilfe vom Staat erhalten, ist meistens nicht, dass der Stundenlohn zu niedrig ist, sondern dass sie zu wenig arbeiten, in einem Minijob oder in Teilzeit.“ Also wird da auch die Erhöhung des Mindestlohns auf 9,19 Euro 2019 nicht helfen.
Hinzuverdienen zahlt sich oft nicht aus
Was muss passieren, damit sich die positive Entwicklung fortsetzt? „Genug Arbeit ist schon mal da. Aber Aufstocken zahlt sich oftmals gar nicht aus“, so Schäfer. Denn die Arbeitsagentur kürzt Leistungsempfängern die Stütze, sobald sie zu viel dazuverdienen. Durch den Wechsel von einem Minijob in einen Teilzeitjob zum Beispiel hat ein Aufstocker zwar ein höheres Einkommen. Aber weil er dann weniger Hartz-IV-Geld bekommt, bleibt ihm unter dem Strich kaum mehr. „Hier wären stärkere Anreize nötig“, fordert der Experte.