Köln. Dann war er da, der letzte Tag, und draußen regnete es. Die Kunden kamen, noch zahlreicher als sonst, und sie gingen mit schweren Tüten, voll mit Weißwürsten und Blutwurst und Spezialitäten vom Schwäbisch-Hällischen Landschwein. Am Ende schloss Thomas Fischer die gläserne Ladentür seiner Metzgerei in der Kölner Innenstadt ab: „So, das war’s.“
Die Fleischtheke war leer, Thomas Fischer selbst irgendwie auch. Ein bitterer Moment: das Aus für die Metzgerei, nach 53 Jahren im Familienbesitz. Bitter, aber unausweichlich. Fischer, Metzger aus Leidenschaft, kann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr. „Die Suche nach einem Nachfolger war aussichtslos“, sagt er. Eine Fleischerei übernehmen, das wolle heute keiner mehr. Seine sechs Mitarbeiter suchen nun neue Jobs. Alles hat ein Ende. Manchmal auch die Wurst.
Neue Chefs für 2,4 Millionen Beschäftigte gesucht
Wenn Mitarbeiter in Rente gehen, werden sie gemeinhin ersetzt. Aber wenn der Chef aufhört – was passiert dann mit dessen Firma? Laut dem Bonner Institut für Mittelstandsforschung (IfM) stehen derzeit bundesweit rund 150.000 Unternehmen vor genau dieser Frage. Sie brauchen bis spätestens 2022 einen Nachfolger auf dem Chefsessel. Betroffen sind Firmen quer durch alle Branchen und Regionen. Nach IfM-Schätzung beschäftigen diese meist mittelständischen Firmen 2,4 Millionen Menschen. Sind diese Jobs jetzt etwa in Gefahr? Hat der Mittelstand, diese Säule unserer Wirtschaft, ein akutes Nachfolgeproblem?
„Momentan noch nicht“, sagt Michael Schwartz, Mittelstandsexperte bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Frankfurt. „Dass Unternehmer in den Ruhestand gehen, hat es schon immer gegeben, auch in ähnlichem Ausmaß.“ Die demografische Entwicklung dürfte das Nachfolgeproblem laut Schwartz allerdings verschärfen. Das Gros der zur Übergabe anstehenden inhabergeführten Unternehmen finde jedoch in aller Regel einen Nachfolger. „Je größer die Firma, desto sicherer wird ein neuer Chef gefunden.“ Geschlossen würden zumeist nur Einpersonenunternehmen.
„Handwerk hat ein Imageproblem“
Auch Nadine Schlömer-Laufen, Expertin beim IfM, hält wenig von Alarmismus: „Wir sehen derzeit kein generelles Nachfolgeproblem in der deutschen Wirtschaft.“ Zwar werde die Demografie in den nächsten Jahren aller Voraussicht nach dafür sorgen, dass sogar noch mehr Unternehmen einen neuen Boss suchten als derzeit. „Aber von einer bedrohlichen Nachfolgelücke gehen wir auch dann nicht aus.“ Aber: „Je nach Branche und Region kann es Firmen trotz guter Substanz schwerfallen, einen Interessenten zu finden.“ Gerade das Handwerk habe an dieser Stelle ein Imageproblem. „Obwohl die Betriebe gut laufen, finden sie manchmal keinen Nachfolger.“
Das Risiko der Selbstständigkeit wird zunehmend gescheut
Experten machen dafür auch den zuletzt so stabilen Arbeitsmarkt verantwortlich. „Eine Selbstständigkeit ist naturgemäß mit einem Risiko verbunden“, sagt KfW-Forscher Schwartz. „Wenn man relativ leicht einen guten Job als Angestellter finden kann, dann entscheidet man sich oft dafür.“ Ein Blick in die Statistik gibt ihm recht. Wagten 2001 noch rund 1,5 Millionen den Sprung in die Eigenständigkeit, waren es 2017 nur noch knapp 560.000.
Umso wichtiger sei es daher, sich frühzeitig mit der Nachfolge auf dem Chefsessel zu beschäftigen. Häufig passiere das aber noch immer zu spät. „Für viele Chefs ist es auch ein emotionales Problem, das Lebenswerk in andere Hände zu geben“, so Schwartz.
Der Kölner Metzger Thomas Fischer hätte das gern getan. Nur fand sich eben niemand. „Meine Leute werden schon gute neue Jobs finden“, ist er sicher. Einschneidender sei das Ende eher für die Kunden. In seinem Laden lag zuletzt ein Gästebuch aus. Eine Kundin kündigte dort gar Drastisches an: „Sie hören ja nun auf. Jetzt muss ich leider Vegetarierin werden.“