München / Passau / Herzogenaurach / Schweinfurt. Industrie-Unternehmen sind sich grundsätzlich einig: Hohe Arbeitskosten, teure Energie, zu wenig Flexibilität und starre Bürokratie – das alles schwächt den Standort Bayern. Stimmungsbilder, die die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) bei Hunderten Firmen erhebt, belegten das jüngst wieder.
Dazu kommt: Trotz der augenblicklich guten Lage sehen die Betriebe neue Risiken fürs künftige Geschäft. Da sind etwa der Brexit und weitere Spannungen in Europa, da sind Unsicherheiten über neue Handelsschranken, wie sie US-Präsident Donald Trump erwägt: Sie könnten gerade die stark exportorientierte bayerische Metall- und Elektroindustrie empfindlich treffen. Zusätzlich macht daheim der Fachkräftemangeläimmer größere Sorgen: Viele Unternehmen könnten mit mehr guten Leuten noch mehr schaffen.

Standorte weltweit haben klares Profil
Für Bayerns Betriebe wird es alles in allem schwerer, sich im weltweiten Wettbewerb zu behaupten – und so auch die Jobs in der Heimat zu sichern. Das zeigt sich ganz konkret beim Blick in namhafte Unternehmen.

So hat etwa der Nutzfahrzeughersteller MAN Truck & Bus in München (35.000 Mitarbeiter) gerade zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit die Bus- wie auch die Lastwagen-Produktion komplett neu aufgestellt.
Das Unternehmen verfolgt damit die Strategie, immer an dem Standort zu produzieren, wo es gerade am besten passt. So hat es den Verbund der eigenen Werke deutlich flexibler und schlanker gemacht. Dabei verpasste man jedem Standort ein klares Profil – so werden auch kostspielige Doppelarbeiten vermieden.
München etwa ist nun Zentrum für die schwere Lkw-Reihe. Ein weiteres Montagewerk im polnischen Krakau hilft, flexibler auf die typischerweise stark schwankende Auslastung in der Nutzfahrzeug-Industrie zu reagieren.
In Steyr (Oberösterreich) werden mittlere und leichte Fahrzeuge produziert, aus Starachowice (Polen) kommen Stadtbusse. Der Bau von Überland- und Reisebus-Chassis wurde nach Ankara (Türkei) verlagert. Und Salzgitter, wo man früher ebenfalls schwere Lkws gebaut hat? Der Standort ist nun ein reines Komponentenwerk, liefert den anderen Werken zu.
Unterm Strich kostete das alles erst mal viel Geld: Mehrere Hundert Millionen Euro flossen in den Umbau des länderübergreifenden MAN-Fertigungsverbunds. Doch am Ende spart die Maßnahme Kosten.
Das verschafft dem Unternehmen Luft für wichtige Investitionen, wie sein Sprecher Manuel Hiermeyer erklärt. Etwa in Zukunftsfelder wie Elektromobilitätä Digitalisierung und automatisiertes Fahren, wo neue Chancen liegen.
Auch für das Lkw-Werk in München sprang beim Umbau übrigens etwas heraus: eine moderne Lackiererei, in der schon bald Fahrerkabinen für Lastwagen bearbeitet werden.
Klar, dass für viele Unternehmen aus dem Freistaat die Nähe zu den Kunden sowie die Erschließung neuer Märkte entscheidend dafür ist, einen Standort im Ausland zu eröffnen. Aber ein zunehmendes Gewicht spielen eben auch die günstigeren Arbeits- und Energiekosten, die Betriebe in der Ferne vielfach vorfinden.

Dazu kommen weitere Faktoren, etwa geringe bürokratische Hürden oder die Verfügbarkeit geeigneter Fachkräfteä So hat etwa die ZF Friedrichshafen AG (137.000 Mitarbeiter weltweit) ihr erstes Technologie-Zentrum im Schwellenland Indien errichtet. Und das in rekordverdächtigen sechs Monaten: Im September 2016 kündigte der Konzern den Bau an, im März 2017 feierte das Technologie-Zentrum in Hyderabad bereits seine Eröffnung. Ein beeindruckendes Tempo. Hierzulande hätte das wohl deutlich länger gedauert, angesichts der Bürokratie gerade bei Baugenehmigungen.
2.500 Ingenieure arbeiten an digitalen Lösungen
Das „India Technology Center“ ist ein wesentlicher Baustein der Digitalisierungsstrategie von ZF. Das Unternehmen antwortet damit auf den einschneidenden Umbruch, den die Automobil-Industrie derzeit erlebt: weg von einer Hardware-getriebenen Welt hin zu intelligenten, vernetzten Innovationen auf Software-Basis.
1.000 Ingenieure arbeiten schon in Hyderabad an digitalen Lösungen, die Mannschaft soll bis zum Jahr 2020 auf mindestens 2.500 Ingenieure anwachsen. Der Vorteil: Besonders in diesem Fachgebiet finden sich in Indien hochqualifizierte Experten.
Deutschland ist jedoch weiterhin die Technologie-Keimzelle. An den hiesigen Hauptentwicklungsstandorten, darunter der Konzernsitz in Friedrichshafen am Bodensee, Passau in Niederbayern und das unterfränkische Schweinfurt, arbeiten ZF-Ingenieure an den Mobilitätskonzepten von morgen.
Insgesamt ist der Konzern sehr global aufgestellt: Rund 230 Standorte in 40 Ländern hat die ZF AG. Der Weg ins Ausland gehört seit langen Jahren zur Firmenstrategie. 1959 eröffnete das erste Werk außerhalb von Europa. Damals schaute man noch nicht nach Asien: Brasilien war der erste Standort auf einem anderen Kontinent. Mehr als drei Viertel des Umsatzes erwirtschaftet der Technologiekonzern heute außerhalb von Deutschland. Daher steigt die Wertschöpfungstiefe in den wichtigen Märkten. Immer mehr Komponenten werden vor Ort gefertigt, um Zeit und Transportkosten einzusparen und regionale Lohn- und Kostenvorteile zu nutzen. Davon profitieren rund um den Globus auch die Kunden von ZF.
Schneller bleiben als die Konkurrenz
Optimale Auslastung in der Produktion erreicht der Konzern außerdem durch Produktionsverbünde. So arbeitet etwa der Standort Passau grenzüberschreitend mit Werken in Steyr (Österreich) und Stankov (Tschechien) zusammen.
Das garantiert auch eine höhere Flexibilität. Denn hierzulande sind etwa die Regelungen zur Arbeitszeit besonders strikt. Dabei ist mehr Flexibilität in einer globalisierten Welt wichtig, damit kein Auftrag stockt und genau dann produziert werden kann, wenn die Kunden dies fordern.
Für global aufgestellte Unternehmen bringt zusätzliche Flexibilität außerdem den Vorteil, dass bessere Koordination und Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern in den Werken mit unterschiedlichen Zeitzonen möglich ist.
Nicht nur in der Automobil-Industrie stehen Hersteller und Zulieferer im knallharten Wettbewerb. Sondern zum Beispiel auch in der Luftfahrt. Hier zeigt sich: Im steten Kampf um Kunden und Aufträge muss man besser und schneller bleiben als die weltweite Konkurrenz – trotz schwieriger Bedingungen an heimischen Standorten.

Zum Beispiel der Triebwerkhersteller MTU Aero Engines (9.000 Beschäftigte), der vom Standort München aus Flugzeugtriebwerke vor allem für die großen Flugzeugbauer wie Airbus oder Boeing entwickelt und fertigt und auf der ganzen Welt Instandhaltungszentren betreibt.
Das Unternehmen setzt besonders auf Automatisierung und Digitalisierung. Und beginnt damit nicht erst in der Fertigung, sondern bereits in der Entwicklung, was zusätzliche Einsparungen bringt und MTU ein gutes Stück flexibler macht.
Zahlreiche Versuche werden nun verstärkt am virtuellen Triebwerk durchgeführt: Computergestützte Simulationen ersparen langwierige Experimente und tragen dazu bei, die Fertigungsverfahren stetig zu verbessern. Das spart Zeit und Kosten.
Und in der Serienfertigung setzt MTU mittlerweile 3-D-Druck-Verfahren ein. Bauteile wie das sogenannte Boroskop-Auge, mit dem Techniker ins Innere des Triebwerks blicken, wurden früher gefräst oder gegossen – jetzt entstehen sie viel effizienter mittels Laserschmelzen.
Die Digitalisierung hilft auch, Abläufe zu verschlanken – etwa in der Produktion von Getriebe-Komponenten am Standort München. Weil hier die Arbeitskosten hoch sind, konzentriert man sich auf hochwertige Bauteile.
Möglichst viele Arbeitsschritte werden von smarten Maschinen ausgeführt. Erklärtes Ziel, so der MTU-Vorstandsvorsitzende Reiner Winkler: Der Output soll in fünf Jahren verdoppelt sein – bei annähernd gleicher Beschäftigtenzahl!
Die aufwendige manuelle Fertigung von Triebwerkskomponenten wie etwa Schaufeln, Laufscheiben und weiteren Bauteilen für Niederdruckturbinen oder Hochdruckverdichter – die findet dagegen seit längerem im polnischen Rzeszów statt. Das dortige Werk wurde im Jahr 2015 für rund 40 Millionen Euro erweitert.

Chancen im Ausland suchen und Kunden zügig vor Ort bedienen, das gehört selbstverständlich auch zum Geschäft des Technologieunternehmens Schaeffler (86.600 Mitarbeiter weltweit). Der Automobil- und Industriezulieferer mit Stammsitz im fränkischen Herzogenaurach wird auch weiterhin seine globale Präsenz ausbauen. „Die USA und China sind Kernmärkte, in denen wir investieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, bestätigt Unternehmenssprecher Thorsten Möllmann. So erweiterte Schaeffler sein Werk im chinesischen Nanjing und baute den Standort zu einer spartenübergreifenden Fertigungsstätte für Produkte aus dem Industrie- und Automotive-Bereich aus.
Auf einer Gesamtfläche von 46.000 Quadratmetern ist zum einen eine neue Produktionshalle entstanden, in der vor allem Motorenelemente gefertigt werden. Zum anderen baute Schaeffler dort auch ein zentrales Logistiklager.
Durch die Erhöhung des Produktionsvolumens rückt Schaeffler noch näher an seine Kunden in chinesischen und weiteren asiatischen Märkten heran und erweitert dabei auch sein Produktportfolio. Der Automobil- und Industriezulieferer investiert aber auch in der Heimat Franken.
Fördermittel für Unterfranken
Ein neues Logistikzentrum in Kitzingen, das seit Oktober 2016 gebaut wird und im Frühjahr 2018 in Betrieb gehen soll, macht Abläufe schneller und flexibler. Das automatisierte Behälterlager liefert dann Produkte innerhalb von 24 bis 48 Stunden nach Auftragseingang aus: Der Kunde bekommt schneller, was er bestellt.
Ein weiterer Aspekt, warum sich Unternehmen für einen bestimmten Standort entscheiden, ist ein investitionsfreundliches Umfeld. Um die Standorte im Hochlohnland Bayern zu stärken, sind niedrige bürokratische Hürden ein wichtiger Faktor. Auch staatliche Förderungen beispielsweise können Einfluss auf die Wahl eines neuen Bauvorhabens im Inland nehmen.

So hat der schwedische Wälzlager-Konzern SKF für den Bau von zwei innovativen Testständen im leistungsfähigsten Großlager-Prüfzentrum der Welt im unterfränkischen Schweinfurt insgesamt 3,5 Millionen Euro Fördermittel vom Freistaat Bayern und dem Bund bekommen. Der deutsche Hauptstandort mit 4 000 Mitarbeitern wächst dadurch zu einer Art „globalem Kompetenzzentrum“ für SKF-Großlager heran. Eine Investition in die Zukunft, die langfristig auf die Effizienz einzahlen soll.
Das Unternehmen prüft in den Testständen Großlager, die unter anderem zur Gewinnung von Windenergie benötigt werden. Mithilfe der Erkenntnisse aus den Tests will SKF dann kommende Großlager-Generationen so gestalten, dass schon deren Herstellung weniger Ressourcen verbraucht.
Martin Johannsmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der SKF GmbH in Schweinfurt, betont zudem: „Die Tests laufen künftig deutlich schneller. Das spart signifikant Energie, zumal die Prüfstände mit Wärme-Rückgewinnungsanlagen ausgestattet sind.“
Mit dem attraktiven neuen Testzentrum sowie einem ganzheitlichen Denken bei der Entwicklung innovativer Technologien möchte SKF übrigens auch dringend benötigte Fachkräfte anziehen. Das Problem treibt viele Betriebe um angesichts des Mangels an guten Leuten gerade in technischen Berufen. „Der Staat muss das Thema weiterverfolgen“, sagt Johannsmann.
Das Unternehmen selbst tut da schon viel: SKF kooperiert zum Beispiel mit Fachhochschulen und bildet den Nachwuchs selbst im Umgang mit modernstem technischen Gerät aus, also beispielsweise auch an Industrierobotern.
Die Schlaglichter aus weltweit aktiven Konzernen zeigen: Die Betriebe strengen sich an, um auch am Standort Bayern stark zu bleiben. Doch am Ende zählen immer auch der Preis und die Flexibilität. Nur wer günstig und flexibel produzieren kann, hält im Wettbewerb mit.
Robuste Industrie, gut bezahlte Arbeitsplätze: Bayern geht es gut. Aber Achtung: Die Schwellenländer holen auf, bei Bildung und Infrastruktur. Wie die bayerischen Betriebe darauf reagieren, lesen Sie in diesem Themen-Special. Hier geht’s zur Einführung.
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