Wiesbaden. In der laufenden Chemie-Tarifrunde fordert die Gewerkschaft IG BCE beim Entgelt einen saftigen Zuschlag von 5 Prozent. Das aber würde viele Betriebe aus dem Gleichgewicht bringen: Sie stehen im globalen Wettbewerb unter großem Druck. Zudem tragen sie bereits schwer an den Lohnkosten, die in letzter Zeit deutlich gestiegen sind. Längst gehören die Mitarbeiter der Branche zu den Spitzenverdienern.
„Die Chemiebeschäftigten sind immer fair am wirtschaftlichen Erfolg der Branche beteiligt worden“, sagt Klaus-Peter Stiller, Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbands Chemie in Wiesbaden. Aktuell seien die Zeiten schwierig: „Der schwache Euro, der niedrige Ölpreis, günstige Kredite, all das hat der Industrie keinen Schub gebracht.“
Im Schnitt verdienen Chemie-Mitarbeiter 4.070 Euro pro Monat, so das Internetportal gehaltsvergleich.com. Für diese Zahlen ziehen die Vergütungsexperten mehr als zwei Millionen Datensätze heran. Nur Mitarbeiter von Banken liegen mit 4.134 Euro noch etwas darüber. Der Anlagenbau belegt mit 3.754 Euro Platz drei.
Noch höhere Löhne ermittelt das Portal marktundmittelstand.de, hinter dem das gleichnamige Wirtschaftsmagazin des F.A.Z-Fachverlags steht. Auch hier finden sich die Top-Verdiener bei den Banken und Finanzdienstleistern mit einem durchschnittlichen Bruttojahresgehalt zwischen 63.720 und 64.100 Euro – dicht gefolgt von der Pharma-Industrie (61.662 Euro) und der Chemie- und Erdöl verarbeitenden Industrie (60.989 Euro). Zum Vergleich: Im Handwerk müssen die Fachkräfte im Schnitt mit der Hälfte (34.367 Euro Jahresgehalt) auskommen.
Stiller: „In der deutschen Chemie kostet eine Arbeitsstunde fast 52 Euro, nur Belgien ist teurer.“ Das aber gehe zulasten der Wettbewerbsfähigkeit. Ihm ist es wichtig, genau hier in der Tarifverhandlung die Balance zu halten. 5 Prozent mehr, wie jetzt von der Chemie-Gewerkschaft gefordert, seien nicht drin. Vorwürfe, es ginge nur ums Sparen, ärgern Stiller: „Es geht darum, um wie viel wir den Gürtel weiter schnallen können!“
Dass die Mitarbeiter ihr Einkommen zu schätzen wissen, sieht man zum Beispiel an Kommentaren auf dem Unternehmensbewertungsportal Kununu.com. Hier bewerten sie Gehalt und Sozialleistungen in Chemie- und Pharmafirmen überdurchschnittlich gut: „Respektvollen Umgang, gute Unterstützung und gutes Salär“, lobt etwa ein Mitarbeiter den Reifenhersteller Michelin in Karlsruhe und vergibt gleich die maximale Punktzahl (fünf Sterne) für sein Gehalt. Ähnliches liest man über Continental in Hannover, Henkel in Garching, Tesa in Norderstedt, Freudenberg in Weinheim, Lanxess in Leverkusen oder Alzchem im bayerischen Trostberg. Kurz: Die Unternehmen sind den Mitarbeitern gegenüber „sehr wertschätzend“, bringt es ein Mitarbeiter bei Uzin Utz in Ulm auf den Punkt.
Von dem Geld bleibt zudem viel im Portemonnaie. Denn die Tariflöhne legen viel stärker zu als die Inflation – also die Preisentwicklung von Waren und Dienstleistungen, die von privaten Haushalten nachgefragt werden. Stiller: „Seit 2010 sind die Tariflöhne um 15 Prozent gestiegen, die Verbraucherpreise dagegen nur um 7 Prozent. Das bedeutet ein deutliches tarifliches Reallohnplus.“
Schaut man sich alleine die Berechnungen des Statistischen Bundesamts für 2015 an, lagen die Verdienste inklusive Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld um 2,1 Prozent über dem Vorjahr. Die Verbraucherpreise stiegen im gleichen Zeitraum nur um rund 0,3 Prozent, ebenso im Durchschnitt der ersten drei Monate 2016. „Die Inflation ist historisch niedrig“, lautet das Fazit von Stiller. „Selbst moderate Lohnerhöhungen führen zu einem spürbaren Anstieg der verfügbaren Einkommen.“