Kempten. Offene Flammen, mitten in einer Papier verarbeitenden Produktion? Kaum zu glauben – für die Mitarbeiter von VG Nicolaus aber ganz normaler Arbeitsalltag!
Sie produzieren in Kempten (Allgäu) Faltschachteln, fünf Tage die Woche, rund um die Uhr. Das Besondere daran: Die Schachteln werden an den Nähten nicht wie üblich verklebt, sondern kleine blaue Flammen verschweißen sie bei mehreren Hundert Grad.
Solche Verpackungen umschließen dann etwa Getränke oder Lebensmittel wie Tiefkühlspinat und Fischstäbchen. Innen ist der Karton deshalb mit Kunststoff oder Aluminium beschichtet.
AKTIV durfte sich ansehen, wie der beschichtete Karton mit sehr hoher Geschwindigkeit an der Flammenleiste vorbeisaust. „Am Rand schmilzt dann die Beschichtung durch die Hitze, verschließt die Schachteln beim Abkühlen besonders gut – und das spart zudem noch Klebstoff“, erläutert Andreas Knur, Werkleiter von VG Nicolaus.
Antibakteriell und wasserdicht
Das „VG“ steht für die belgische Van-Genechten-Gruppe. Mit rund 1.400 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mehr als 275 Millionen Euro ist sie Europas größter konzernunabhängiger Faltschachtelhersteller im Familienbesitz. Zur Gruppe gehören zehn Fabriken in sieben Ländern. Gleich zwei davon stehen in Kempten auf einem Werkgelände: VG Nicolaus und VG Extrusion, die zusammen rund 250 Menschen Arbeit geben. Die Extrusion beschichtet Kartonbahnen mit Spezial-Kunststoffen oder kaschiert sie mit Papieren und hochwertigen Folien. Bedruckt und weiterverarbeitet wird dann im Schwesterwerk.
„Dank langjähriger Erfahrung, Forschung und Entwicklung sind wir international führend im Bereich der Kartonveredelung“, betont Geschäftsführer Volker Artmann. Die Spezialisten im Betrieb kennen für jede Anwendung die richtige Beschichtung – die je nach Anforderung wasserundurchlässig, fettdicht, antibakteriell oder auch pilzabweisend sein muss.
Das funktioniert natürlich in beide Richtungen: So wird Waschpulver von außen vor Feuchtigkeit geschützt, damit es nicht klumpt. Der Duft der Seife wiederum bleibt in der Schachtel. Pizza hinterlässt keine unschönen Fettflecken auf dem Karton und Tiefkühlkost durchweicht selbst beim Auftauen nicht die Verpackung.
Neue Barriere gegen Mineralöl-Rückstände
Eine patentierte Besonderheit: „WLC Food Safe“. Dieser Barriere-verbund besteht aus einer mehrlagigen, dünnen Beschichtung, die auf den Karton aufgebracht wird. Sie verhindert, dass winzigste Mineralölteilchen, die noch im Recyclingkarton enthalten sein könnten, in Lebensmittel eindringen – damit ist die VG-Neuerung eine Lösung für ein Problem, das die Branche seit längerem umtreibt.
Auch der mehrlagige Kunststofffilm ist so dünn, dass die leere Verpackung problemlos im Altpapier entsorgt werden kann. „Die hohe Kunst der Beschichtung besteht ja gerade darin, dass ein Laie sie gar nicht bemerkt“, sagt Artmann.
In Kempten werden jährlich mehr als 80 Millionen Druckbogen zu Faltschachteln verarbeitet. Dank steter Investitionen in den Maschinenpark – allein in den letzten drei Jahren waren es mehr als 10 Millionen Euro – wird auf modernsten Anlagen produziert.
An einer davon arbeitet Dietmar Traut. Die neue Druckmaschine mit sechs Farben und einem Lackwerk ging vor zwei Jahren in Betrieb. Und mit ihr schaffen der Drucker und seine Kollegen deutlich größere Mengen als früher. Das ist nur ein Beispiel von vielen Produktivitätsfortschritten am Standort. Denn die Kosten müssen runter, will man im internationalen Wettbewerb dauerhaft bestehen.
Werkleiter Andreas Knur bringt es so auf den Punkt: „Den Kunden interessiert es nicht, wie unsere Tariflöhne aussehen oder ob der Strom hier immer teurer wird – der Preis muss stimmen.“
Übrigens

Viele treue Mitarbeiter
- In den beiden Kemptener VG-Werken arbeiten etliche altgediente Kräfte; die Fluktuation ist sehr gering.
- Für Familie Fazlic ist der Betrieb sogar eine Art zweite Heimat geworden: Vater Amgijad (rechts) kam 1989 aus dem damaligen Jugoslawien und fand bald bei VG Extrusion eine Stelle. Junior Mirza machte dann eine zukunftssichere Lehre zum Verpackungsmittelmechaniker (inzwischen heißt der Ausbildungsberuf Packmitteltechnologe): „Genau der richtige Beruf für mich!“ Und seit zwei Jahren arbeitet auch Mirzas Mutter Senada in der Produktion mit.