Frankfurt. Am 17. Dezember beginnen die Verhandlungen für die nun schon zweite Tarifrunde in diesem Jahr auch für die hessische Metall- und Elektro-Industrie (M+E-Industrie). Angesichts der Ausnahmesituation durch Corona hatten sich die Tarifpartner im März 2020 auf einen schnellen, situationsgerechten Krisentarifabschluss geeinigt. Dieser beinhaltete einige Instrumente zur Begleitung der Corona-Krise, sah aber keine Erhöhungen der Entgelte und Ausbildungsvergütungen vor und hat eine Laufzeit bis zum 31. Dezember 2020.

Krisen-Mix aus Strukturwandel und Corona-Pandemie

Doch wie schon zu Beginn des Jahres wird auch die Tarifrunde 2021 durch den Krisen-Mix aus Strukturwandel und sich beschleunigender Corona-Pandemie geprägt. Trotz massiver Einbrüche bei Produktion und Aufträgen müssen die Betriebe Investitionen für die Zukunft stemmen. Das zeigen Umfragen und Gespräche, die der Arbeitgeberverband Hessenmetall unter seinen Mitgliedsunternehmen im Vorfeld der Verhandlungen durchführte.

Zwar gibt es laut Verband einige wenige Lichtblicke, aber die weit überwiegende Mehrheit der Mitgliedsunternehmen von Hessenmetall rechnet damit, dass sie das Vorkrisenniveau erst Ende 2021 oder später wieder erreichen werden – einige sogar erst Mitte des Jahrzehnts. Wie unsicher die Lage aktuell ist, zeige sich auch darin, dass viele überhaupt keine Prognose abgeben können.

Oliver Barta, Personalleiter von Bosch Thermotechnik in Wetzlar und Verhandlungsführer von Hessenmetall: „Die wirtschaftliche Lage ist schlecht, ihre Erholung wird dauern. Beschäftigungssicherung hat für uns hohe Priorität, aber nur der wirtschaftliche Erfolg sichert Arbeitsplätze auf Dauer.“ Daher müsse man im Strukturwandel künftige Wettbewerbsfähigkeit auf- und ausbauen und nicht noch einschränken.

Schaut man allein auf die Arbeitskosten, ist Deutschland nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) bereits ein weltweiter Spitzenreiter. 45 Euro kostet hier eine Stunde Arbeit. Diese 45 Euro sind nicht der durchschnittliche Stundenlohn: In die Vergleichsrechnung fließen außer dem Entgelt die Bezahlung arbeitsfreier Zeiten wie Urlaub, Beiträge des Betriebs zur Sozialversicherung sowie zum Beispiel auch das Weihnachtsgeld ein.

Unternehmen das Überleben ermöglichen

Barta: „Klassischerweise orientieren wir uns in den Tarifverhandlungen zu Entgelterhöhungen an der Produktivität und der Inflation. In den letzten zehn Jahren sind die Entgelte um 30 Prozent gestiegen, die Produktivität aber nur um 3 Prozent.“ Von Januar bis August 2020 sei die Produktivität in der M+E-Industrie sogar um 8,1 Prozent gesunken, und die Inflationsrate habe zuletzt minus 0,2 Prozent betragen. Der Verhandlungsführer: „Daraus ergibt sich doch, dass jetzt ein Beitrag der Beschäftigten angezeigt ist – wir jedenfalls keinen Verteilungsspielraum für Lohnsteigerungen haben.“

Aus den Chefetagen von Mitgliedsunternehmen des Verbands kommt Zustimmung. „Die Vorstellungen der IG Metall zu einer Vier-Tage-Woche mit teilweisem Lohnausgleich passen in keinster Weise zur wirtschaftlichen Lage, die noch nie in meiner beruflichen Laufbahn so schlecht war“, so Nico Schmäling, Geschäftsführer John Crane, Fulda, und Vorsitzender der Hessenmetall-Bezirksgruppe Offenbach und Osthessen.

„Es muss jetzt in erster Linie darum gehen, den Unternehmen das Überleben zu ermöglichen. Das bedeutet vor allem, die Ausgaben zu senken und die ohnehin schon herausragend teuren Arbeitsstunden hier vor Ort nicht noch teurer zu machen. Der kommende Tarifabschluss muss das berücksichtigen.“ Wie Claus Lau, Standortleiter von Bosch Rexroth in Erbach und Vorsitzender der Bezirksgruppe Darmstadt und Südhessen betonte, seien viele Firmen von Auftragseinbrüchen, sinkenden Umsätzen und Produktionsrückgängen betroffen. Zeitgleich habe die Pandemie die digitale Transformation in den Unternehmen beschleunigt und einen regelrechten Digitalisierungsschub ausgelöst. Lau: „Nur mit Investitionen in neue Technologien und Innovationsfreude kann die M+E-Industrie die Corona-Krise und den laufenden Strukturwandel bewältigen. Dazu brauchen die Betriebe aber den notwendigen finanziellen Spielraum.“

Aktuell ist in der Branche immer noch fast jeder vierte Beschäftigte in Kurzarbeit. „Die große Frage wird daher sein: Wie können wir Beschäftigung sichern und wie bekommen wir zugleich die für den Strukturwandel nötige Qualifizierung der Beschäftigten in den Griff?“, sagte Rainer Welzel, Personalchef von Siemens in Rhein-Main und Vorstandsvorsitzender der Bezirksgruppe Rhein-Main-Taunus. Schon jetzt gäben die Unternehmen pro Jahr und pro Mitarbeiter rund 1.000 Euro für Weiterbildung aus. Welzel: „Und der Erhalt und Ausbau von Qualifikationen liegt auch in der Verantwortung der Beschäftigten.“

Auch Carsten Rahier, Geschäftsführer der sera Gruppe in Immenhausen und Vorsitzender der Bezirksgruppe Nordhessen, hat eine klare Position: „Die zukünftigen Tarifverträge müssen mehr Differenzierungsspielräume mit Entscheidungsgewalt auf der betrieblichen Ebene ermöglichen. Starre und zu enge Tarif-Korsetts schnüren den Unternehmen mit ihren individuellen Rahmenbedingungen die Luft zum Atmen ab. Zukunftstarifverträge müssen einfach und betrieblich variabel sein.“

Appell: Das sagen Vertreter hessischer M+E-Unternehmen im Vorfeld der anstehenden Tarifrunde

Claus Lau, Standortleiter von Bosch Rexroth in Erbach: „Mehr als je brauchen wir mehr Spielraum für Investitionen in die Digitalisierung.“Rainer Welzel, Personalchef von Siemens in Rhein-Main: „Immer noch ist fast jeder vierte Beschäftigte in M+E in Kurzarbeit.“Nico Schmäling, Geschäftsführer von John Crane in Fulda: „Es geht darum, den Unternehmen das Überleben zu ermöglichen.“Carsten Rahier, Geschäftsführer der sera Gruppe in Immenhausen: „Starre und zu enge Tarif-Korsetts schnüren die Luft zum Atmen ab.“