Da liegen sie, die Hoffnungsträger: Hunderte grau-grüne Taschen, jede etwa so groß wie eine Butterbrotdose. „Es hat ewig gedauert, bis sie aus England durch den Zoll gekommen sind“, berichtet Jens Wenzel, Englischlehrer am Gymnasium Schaurtestraße in Köln. Vor den nächsten Sommerferien wollen er und seine Kollegen die Taschen in den Klassen verteilen. Ab dem nächsten Schuljahr sollen dann alle Schüler morgens ihre Handys darin verstauen – und die Etuis anschließend mit einem Magnet verschließen. „Öffnen können sie die Handytaschen dann nur mithilfe eines anderen Magneten“, erklärt Wenzel. „Und der ist erst nach der letzten Stunde zugänglich.“

Digitalgeräte wegschließen in der Schule? Was klingt wie die Kapitulationserklärung der digitalen Bildung, liegt gerade im Trend – und zwar weltweit. In Finnland etwa dürfen private Smartphones demnächst nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung durch Lehrkräfte genutzt werden. Dänemark hat gerade beschlossen, private Handys aus allen Schulen zu verbannen. Auch Österreich plant ein Verbot. In Neuseeland und den Niederlanden gilt das längst – ebenso in Frankreich, Italien und einigen Regionen Spaniens.

Digitale Bildung ja – aber keine permanente Ablenkung

Auch in Deutschland wird gerade viel über Handyverbote an Schulen diskutiert. Hessen will ab dem nächsten Schuljahr in allen Schulen „Smartphone-Schutzzonen“ einführen, „damit sich Kinder und Jugendliche besser im Unterricht konzentrieren können und ihre Leistungsfähigkeit, ihr seelisches Wohlbefinden und das soziale Miteinander gestärkt werden“, wie das hessische Kultusministerium mitteilt. Auch Baden-Württemberg will sein Schulgesetz verschärfen. Bayern hat private Smartphones an Grundschulen bereits verboten, weiterführende Schulen können selbst entscheiden, wie sie mit dem Thema umgehen. Und NRW hat vor Kurzem alle Schulen aufgerufen, bis zum Herbst eigene Regeln für die Handynutzung in die Schulordnung aufzunehmen.

Am Kölner Gymnasium Schaurtestraße kümmern sich Jens Wenzel und sein Kollege Andy Schöller um das Thema digitale Bildung. Gerade haben sie gemeinsam mit der Stadt Köln ein Projekt aufgesetzt, mit dem alle Schüler ab der neunten Klasse ein eigenes iPad für den Unterricht bekommen. „Digitale Devices im Unterricht sind zentral für die Bildung im 21. Jahrhundert“, sagt Wenzel. Schüler profitierten stark von multimedialen Schulbüchern. „Auch Projektarbeit mit verschiedenen Medien wird dadurch möglich.“ Gerade behandle er mit einer Klasse im Erdkundeunterricht das Thema China, sagt Wenzel: „Die Schüler erstellen zu einer Forschungsfrage auf ihrem iPad ein multimediales Projekt – zum Beispiel darüber, welche Auswirkungen der Handelskrieg zwischen den USA und China hat.“ Bilder, Videos, Grafiken, Audio-Schnipsel: All das lasse sich digital in den Projektarbeiten verbinden.

Das Prinzip Einkassieren funktioniert auf dem Schulhof nur bedingt

Aber wenn digitale Bildung so wichtig ist – wie passt da ein Handyverbot? Diese Frage bewegte auch die Eltern, als Wenzel und Schöller ihnen auf einer Schulversammlung im Herbst erstmals von den Handytaschen erzählten. „Wir wollen nicht zurück in die Kreidezeit“, beschwichtigt Mathelehrer Schöller. Aber es gebe eben Unterschiede zwischen Schul-iPads und privaten Smartphones. „Zum Beispiel lassen sich unsere iPads so steuern, dass Schüler auf ihnen nur zugelassene Programme nutzen können.“ Im Übrigen seien die negativen Folgen privater Handynutzung an Schulen inzwischen gut belegt: „Cyber-Mobbing, gefährliche Schönheitsideale durch Social Media und eine abnehmende Konzentrationsfähigkeit sind die Stichworte.“

Tatsächlich konnten Forscher am Lehrstuhl für Schulpädagogik der Universität Augsburg kürzlich zeigen, dass ein Handyverbot an der Schule die Lernleistungen und das soziale Miteinander verbessern kann. Sie trugen dafür in einer Meta-Studie Ergebnisse internationaler Untersuchungen zusammen. „Unser Ergebnis bestätigt die Erfahrungen vieler Lehrkräfte vor Ort: Das Smartphone in der Tasche oder auf dem Tisch kann Lern- und Bildungsprozesse verhindern“, sagt Studienautor Tobias Böttger. Den Grund dafür sieht Andy Schöller vor allem im Suchtfaktor der Apps: „Ist ein Handy in Griffweite, verspürt man immer den Impuls, kurz etwas nachzuschauen.“ Dem zu widerstehen, falle schon Erwachsenen schwer: „Wie sollen Kinder das ohne Hilfe schaffen?“

Dass das ständige Ping aus der Hosentasche vom Wesentlichen ablenken kann, merken auch viele Betriebe. Der Hydraulik-Komponenten-Hersteller HAWE in Aschheim bei München etwa vermittelt neuen Azubis deshalb direkt beim Einstieg klare Regeln: „Mit Ausbildungsstart muss klar sein: Handy weg, Ohrstöpsel raus“, erklärt Ausbildungsleiterin Marion Huber. „Das eigene Smartphone gehört nicht zu den Werkzeugen im Betrieb. Auch am Büroarbeitsplatz kommen private Geräte nur in der Pause auf den Tisch.“

Wer im Betrieb Regeln missachtet, riskiert eine Abmahnung. In Schulen ist die Lage komplexer: Hier geht es um Kinder – und um Lehrkräfte, die von der permanenten Kontrolle oft überfordert sind. „Unsere Erfahrung ist: Handys einfach nur verbieten, das klappt nicht“, sagt Wenzel. Das Prinzip Einkassieren funktioniere nämlich nur bedingt: „Wie viele Handys willst du in der Pause einsammeln? Damit könnten wir uns als Lehrkräfte den ganzen Tag beschäftigen.“ Und was passiere, wenn eines der teuren Geräte beim Einsammeln kaputt- oder sogar verloren geht? Solche Haftungsrisiken sprechen für Wenzel auch gegen Lösungen wie Handy-Hotels oder -Tresore.

Smartphone-Pause? Das geht nur mit den Schülern

Über eine Recherche in Kanada und einen Hinweis ihrer Schulleiterin stießen Wenzel und Schöller letzten Sommer auf das Start-up Yondr. Die US-Firma produzierte ihre magnetisch verschließbaren Handytaschen ursprünglich für Bands, die es leid waren, auf Konzerten nur noch in Smartphones statt in Gesichter zu gucken: Stars wie Alicia Keys händigen sie vor ihren Auftritten Besuchern aus, damit die ihre Handys wegschließen. „Dasselbe Konzept nutzen weltweit inzwischen auch Schulen“, sagt Wenzel. „Wir haben uns gedacht, warum probieren wir das nicht aus?“

In Deutschland sind die Kölner nun die erste staatliche Schule, die ab Sommer Yondr-Taschen einführt. „Schaurte-Smartphone-Pause“ nennt das Gymnasium das Projekt – schließlich gehe es nicht um ein Handyverbot, sondern nur um eine „vier- bis fünfstündige Pause“ am Vormittag. Ein Vorteil der 15 Euro teuren Taschen sei, dass sie immer bei den Schülern bleiben, nur eben gut verschlossen, sagt Wenzel. Er gibt zu, dass man das System natürlich auch überlisten kann – zum Beispiel durch ein Zweit-Handy. „Aber es wird schwieriger. Deshalb gehen wir davon aus, dass sich 80 Prozent der Schüler daran halten – und wir den Rest besser kontrollieren können.“

Doch was passiert, wenn plötzlich die große Leere entsteht? Wenn Schüler kein „Clash Royale“ und „Block Blast“ mehr in der Pause spielen können, kein schneller Snapchat- oder Whatsapp-Check mehr möglich ist. „Das Problem ist uns bewusst“, sagt Schöller. Deshalb will die Schule ihre „Smartphone-Pause“ auch mit verschiedenen Aktionen begleiten: mit Spielgeräten für den Schulhof etwa und Projekttagen zu digitaler Bildung.

Seit Medien über das Projekt berichten, hätten schon einige Schulen angefragt, berichtet Schöller. Dass allerdings alle Klassen in Deutschland auf Smartphones im Unterricht verzichten können, ist unwahrscheinlich: In einer Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung gaben bundesweit nur 14 Prozent der Schulleiter an, dass ihre Schule genug Tablets für den digitalen Unterricht zur Verfügung hat. An allen anderen Schulen werden private Geräte wohl noch gebraucht.

Zahlen zum digitalen Unterricht:

  • 77 Prozent der Schulen in Deutschland verfügten 2024 über schnelles Internet (Quelle: Bundesnetzagentur).
  • 14 Prozent der Schulleitungen gaben 2024 an, dass in ihrer Schule Tablet-PCs für alle Schüler vorhanden sind (Quelle: Verband Bildung und Erziehung).
  • 69 Prozent der Lehrkräfte nutzten 2023 digitale Medien, um Schülern Lerninhalte zu vermitteln (Quelle: Robert-Bosch-Stiftung).

Handynutzung am Arbeitsplatz: Was ist erlaubt?

Das Arbeitsrecht setzt der privaten Handynutzung am Arbeitsplatz Grenzen. Wer während der Arbeit privat surft oder Musik hört, riskiert eine Abmahnung. 
Im Extremfall ist sogar eine Kündigung denkbar. Jurist Moritz Mößner von der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) gibt hier einen Überblick.

Michael Aust
aktiv-Redakteur

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Klavier in einer Band. 

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