Berlin. Es ist ein Durchbruch für Europas Bahnen: In der Schweiz wurde jetzt der neue Gotthard-Tunnel eröffnet – ein Superbau mit zwei 57 Kilometer langen Röhren. Bald werden durch den längsten Eisenbahntunnel der Welt Güterzüge mit bis zu 160 Sachen rasen. Die Trasse unter dem Gestein der Alpen soll den internationalen Bahnverkehr auf der wichtigen Achse zwischen Rotterdam in den Niederlanden und Genua in Italien beschleunigen.

Es droht ein weiterer Engpass im Netz

Nördlich der Schweiz aber, in Deutschland, werden die Züge – samt ihrer Fracht wie Maschinen oder Autos – ausgebremst: Denn erst in 15 Jahren dürfte der Streckenausbau zwischen Basel und Karlsruhe abgeschlossen sein.

„Weil der Verkehr durch den Tunnel zunimmt, droht bei uns ein weiterer Engpass im Netz“, kritisiert Professor Uwe Höft, Bahnexperte an der Technischen Hochschule Brandenburg. Während die Schweizer mächtig Dampf machen, kommt die Deutsche Bahn (DB) kaum von der Stelle.

Ein Grund: „Sie ist chronisch unterfinanziert“, sagt Höft. „Seit Jahrzehnten wurde zu wenig in die Modernisierung gesteckt.“ Das räche sich nun. Doch man könne nicht alle Probleme auf die Politik schieben, „viele sind hausgemacht“.

Kritisch sieht er das neueste Strategiepapier des Konzerns, wonach 215 Güterbahnhöfe nicht mehr angefahren werden sollen – jede vierte Verladestation bundesweit. Damit setze die Bahn eine Abwärtsspirale in Gang: Immer weniger Güterbahnhöfe hätten immer weniger Verkehr zur Folge. „Wer die Bäche zum großen Fluss austrocknet, darf sich nicht wundern, dass irgendwann auch der Fluss kein Wasser mehr hat“, so Höft.



Dabei hat die Bahn ihre Gründe für den Rückzug: Die Güterverkehrssparte hat letztes Jahr 183 Millionen Euro Verlust eingefahren. Was die Ursachen angeht, gibt sich der Konzern durchaus selbstkritisch. So wären beispielsweise nur 67 Prozent der Komplettzüge pünktlich, und bei der Zulieferung von Fahrzeugteilen läge die Quote bei gerade mal 60 Prozent.

Zudem profitiere man beim Containertransport wenig vom Wachstum dieses Geschäfts, anders als konkurrierende Bahnen und Lkw-Speditionen. Doch anstatt neuen Schwung ins Geschäft zu bringen, trennt sich das Unternehmen, wenn Verladestationen schließen, von Kunden. Höft: „Das ist die falsche Weichenstellung.“

Das Ergebnis einer solchen Politik zeigt sich in der amtlichen Statistik: Die Bahn hat in Deutschland beim Güterverkehr nur noch einen Marktanteil von 17 Prozent. Sie musste 2015 das zweite Mal in Folge einen Rückgang hinnehmen, was letztes Jahr freilich zum großen Teil am Streik der Eisenbahnergewerkschaft GDL lag.

Auch die Zukunft sieht nicht rosig aus. Digitalisierung im Güterverkehr? Fehlanzeige! „Die Waggons sind immer noch ein dummes Stück Stahl“, sagt Höft. An ihnen gibt’s weder eine GPS-Ortung noch eine Elektronik, die im Führerstand etwa ein heiß laufendes Lager meldet. Und die Kupplungen der Waggons? Technik wie vor 150 Jahren, sie sei „Museum pur“. Die europäischen Bahnen müssten sich endlich über die Einführung der automatischen Kupplung einigen.

Der Lokführer muss alle Waggons abschreiten

Doch auch, wenn die DB nicht alles alleine umsetzen könne, gäbe es durchaus Chancen für bahnbrechende Innovationen.

Ein Beispiel ist die Havelländische Eisenbahn mit Sitz in Berlin, die mit eigenen Waggons Schotter und andere Baustoffe bundesweit transportiert. Das Unternehmen hat neue Waggons beschafft, die eine höhere Zuladung ermöglichen und so die Produktivität eines Transports um 25 Prozent erhöhen. Zudem will es als erster Bahnbetreiber die automatische Bremsprobe einführen. Dabei zeigt die Elektronik im Führerstand an, ob alles okay ist.

Bislang muss der Lokführer alle Waggons abschreiten und kontrollieren. Höft: „Das kann eine Stunde dauern.“