Albstadt-Ebingen. Nur wenige Schritte sind es für Rebecca Merz (31) von ihrem Arbeitsplatz zur Kindertagesstätte. Sie hat gerade ihren Vortrag beendet, packt ihre Tasche und geht ins Gebäude nebenan, um ihre kleine Tochter abzuholen. „Das ist ideal“, sagt die junge Mutter. Sie weiß das zu schätzen, muss sich nicht durch den Stadtverkehr quälen, um pünktlich bei ihr zu sein.

Das ist ein großes Glück für die Mitarbeiter des Unternehmens Groz-Beckert. Vor vier Jahren hat der Hersteller von industriellen Maschinennadeln an seinem Stammsitz in Albstadt-Ebingen ein „Gesundheits- und Bildungszentrum“ eröffnet. Es umfasst die „Kita Malesfelsen“ und im gleichen Gebäude die private „Grundschule Malesfelsen“ – in beiden Einrichtungen können Kinder bis 18 Uhr betreut werden. Außerdem gehören ein Fitnesszentrum, eine Physiopraxis, der werksärztliche Dienst und die Betriebskrankenkasse dazu.

Für Merz war die Kita eine super Chance, schnell wieder in ihren geliebten Job einzusteigen. In Baden-Württemberg ist es noch längst nicht selbstverständlich, dass man für sein Kleinkind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz bekommt: Die Quote liegt laut Bertelsmann-Stiftung bei 28 Prozent – doch über 40 Prozent der Eltern wünschen sich diese Möglichkeit, hat das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) ermittelt. Die kleine Klara kam mit 14 Monaten in die Kita. „Es war für uns einfach, es ging ganz ohne Tränen“, sagt Merz und lacht dabei erleichtert. Auf dem Arm hat sie jetzt ihre Tochter, die eben noch fröhlich mit der Erzieherin gespielt hat. Damit die Kinder möglichst wenig unter Trennungsschmerz leiden, werden sie in der Kita sanft eingewöhnt: Am Anfang sind Vater oder Mutter dabei und verlassen nur minuten- und stundenweise den Raum.

In der Kita Malesfelsen gibt es 90 Plätze, darunter 40 für Kinder unter drei Jahren. Und den Kindern in Kita und Grundschule wird einiges geboten: Technikateliers, Musik- und Bewegungsräume, und in der eigenen Küche wird frisch gekocht. Das Unternehmen Groz-Beckert will damit junge Eltern unterstützen, wieder an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Frauen wie Merz sind qualifiziert und für den Betrieb wertvoll.

2.010 Mitarbeiter sind am Stammsitz beschäftigt

Rebecca Merz hat hier ihre Ausbildung gemacht und sich einen interessanten Job in der Personalentwicklung erarbeitet: Sie organisiert und bereitet Schulungen vor – etwa zu den Produkten von Groz-Beckert.

Für ihren Vorgesetzten Nicolai Wiedmann, Leiter der Aus- und Weiterbildung und Geschäftsführer von Kita und Grundschule, ist klar: „Wir sind mit der Kinderbetreuung als Arbeitgeber attraktiv.“ Der Betrieb ist ein weltweit führender Hersteller von industriellen Maschinennadeln, Präzisionsteilen und Feinwerkzeugen rund um die Produktion von Textilien – unter anderem Stricken, Weben und Nähen. Für Produktion und Entwicklung braucht Groz-Beckert Fachkräfte.

Die Firma engagiert sich stark in der Ausbildung. 7.700 Mitarbeiter beschäftigt der Mittelständler weltweit. In Albstadt sind es insgesamt 2.010, mitgerechnet sind dabei 170 Azubis und dual Studierende. Bei der Suche nach erfahrenen Fachkräften tut sich das auf der Schwäbischen Alb verwurzelte Unternehmen jedoch häufig schwer. Auch deshalb entstand damals die Idee, neben der Kita gleich noch eine Grundschule zu gründen.

Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusätzlich zu unterstützen, bietet Groz-Beckert jede Menge Möglichkeiten, die Arbeitszeit flexibel zu gestalten. So stieg Rebecca Merz zunächst wieder mit einer ganzen Stelle ein, wollte dann jedoch mehr Zeit mit ihrem Kind verbringen und reduzierte auf 80 Prozent. Jetzt arbeitet sie an vier Tagen in der Woche bis 14 Uhr und einmal ganztags. „Wenn es notwendig ist, sind es auch mal zwei oder drei lange Tage in der Woche“, sagt die junge Mutter. Sie ist überzeugt: „Flexibilität muss gegenseitig sein.“

Mit einer großzügigen Kernarbeitszeit zwischen halb zehn am Vormittag und drei Uhr am Nachmittag sowie mit Kurzzeit- und Langzeitkonten ermöglicht es das Unternehmen, die Arbeitszeit an Lebensphasen anzupassen. „Immer in Abstimmung mit dem Betrieb“, betont Kommunikationschefin Birte Kleefisch. Im Schichtbetrieb seien individuelle Arbeitszeitmodelle natürlich schwieriger umzusetzen.

Arbeitszeitkonten machen flexibler

Doch auch Mitarbeitern in der Produktion stehen Angebote wie eine längere Auszeit (Sabbatical) offen. Und bei der Schichtplanung können Mitarbeiter ihre Wünsche einbringen. „Das ist ein Geben und Nehmen“, betont Kleefisch: „Wenn viel Arbeit da ist, werden Zeitkonten aufgefüllt.“

Groz-Beckert hat in das Gesundheits- und Bildungszentrum rund 17,5 Millionen Euro investiert. Der laufende Betrieb von Kita und Schule ist finanziell gesehen ein Zuschussprojekt und kostet die Firma rund 1,5 Millionen Euro im Jahr. Doch es lohnt sich, meint Wiedmann: „Wir stellen fest, dass Mütter überhaupt wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkommen. Und dass sie früher wieder einsteigen.“ Davon abgesehen sei das Angebot ein Zeichen sozialer Verantwortung für die Mitarbeiter und die Region – es steht auch externen Familien offen.

Nicht jeder Betrieb kann sich das leisten. Doch Flexibilität wird nicht nur bei Groz-Beckert offensiv gelebt. Laut der Studie „Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit“, mit der die Wirtschaftsforscher des IW im Auftrag des zuständigen Bundesministeriums Maßnahmen in der Wirtschaft untersuchen, bieten mehr als drei Viertel der befragten Unternehmen ihren Mitarbeitern individuelle Arbeitszeiten an.

Kein Wunder also: In der M+E-Industrie sind fast zwei Drittel der Mitarbeiter davon überzeugt, dass betriebliche Lösungen gesetzlichen Vorschriften vorzuziehen seien. Das ergab eine Umfrage des Allensbach-Instituts. Nur 15 Prozent gaben an, die Vereinbarkeit funktioniere „nicht so gut“.

Und Ausbildungsleiter Wiedmann weiß: Vereinbarkeit ist kein reines Frauenthema mehr. Rebecca Merz war neun Monate in Elternzeit, weitere sechs Monate übernahm ihr Mann. „Das klassische Rollenmodell wäre für uns nicht das Richtige“, sagt sie. Dass alles super lief, hat sie ermutigt: Das zweite Kind ist unterwegs.

Extras für viele persönliche Lebenslagen

Die bestehenden gesetzlichen und tariflichen Regeln machen es möglich, kürzerzutreten

Berlin/München. Beruf und Familie vereinbaren, Job und Privates ausbalancieren – das ist im 21. Jahrhundert einfacher als je zuvor. Gesetzliche und tarifliche Extras gelten inzwischen für viele persönliche Situationen – und das Verständnis in den Personalabteilungen, etwa für Mitarbeiter mit pflegebedürftigen Eltern oder für Väter in Babypause, ist gestiegen.

Manche Regeln hängen auch von Unternehmensgröße oder Dauer der Betriebszugehörigkeit ab. Im Großen und Ganzen gelten folgende Punkte.

  • Teilzeit: Man darf die Arbeitszeit ohne Angabe von Gründen verringern, diesen Wunsch muss man drei Monate zuvor ankündigen. Die Firma kann aus betrieblichen Gründen ablehnen. Beide Seiten sollen aber möglichst einvernehmlich eine Lösung finden, etwa bezüglich der Verteilung der Stunden auf die Wochentage.
  • Elternzeit: Für jedes neu geborene Kind kann jeder Elternteil maximal 36 Monate Auszeit nehmen. Anfangs hilft der Staat mit Elterngeld. Eine Elternzeit kann auf bis zu drei Abschnitte verteilt werden, bis zu 24 Monate dürfen zwischen dem dritten und achten Geburtstag des Kindes liegen. Während der Elternzeit darf man bis zu 30 Wochenstunden arbeiten.
  • Pflegezeit: Wird plötzlich die Pflege eines nahen Angehörigen nötig, kann man sofort bis zu zehn Arbeitstage pausieren. Für diese Tage gibt es keinen Lohn, aber das staatliche Pflegeunterstützungsgeld. Für planbare Pflege kann man bis zu sechs Monate ganz oder teilweise aus dem Beruf aussteigen. Außerdem darf man die Arbeitszeit für bis zu 24 Monate auf bis zu 15 Wochenstunden senken, um nahe Angehörige in häuslicher Umgebung zu pflegen. Und wer einen Sterbenden etwa im Hospiz begleiten will, kann dafür bis zu drei Monate ganz oder teilweise aussteigen.
  • Altersteilzeit: Ab 55 kann man in einvernehmlicher Absprache mit der Firma die Arbeitszeit halbieren. Meist erfolgt dies im „Blockmodell“: Erst arbeitet man wie gehabt weiter, um dann früher Adieu zu sagen. Der Betrieb muss beim Entgelt und den Rentenversicherungsbeiträgen etwas drauflegen. In der Metall- und Elektro-Industrie ist das sogar noch großzügiger geregelt, im Tarifvertrag „FlexÜ“. Allerdings greift der frühestens ab dem 57. Geburtstag.
  • Bildungsteilzeit: Der Tarifvertrag macht zum Beispiel ein Bachelor-Studium möglich: Mitarbeiter und Firma können sich auf bis zu sieben Jahre Teilzeit bei halbiertem Entgelt einigen. Zuerst wird voll gearbeitet, dann folgt die Freistellung.