Biasca.Die Fahrt in den Bauch des Berges beginnt mit einem Quietschen. „Alles Hightech, aber kein Ölkännchen da“, witzelt Lokführer Reto Huber, als sich sein Zug ebenso langsam wie laut in Bewegung setzt. Keiner der gut 15 Männer des Test-Teams an Bord antwortet. Die Gesichter sind angespannt, alle sind sie ausgerüstet mit orangenen Overalls und Funkgeräten, dazu Atemmasken und Peilsender, für den Notfall.

Der Zug nimmt Fahrt auf, das dunkle Maul rückt näher, bis Nachtschwärze die heißen Strahlen der Tessiner Sommersonne verschluckt. Und dann ist man drin, drin in einem Jahrhundertbauwerk: im neuen Gotthard-Basistunnel. Drin im längsten Tunnel der Welt – 57 Kilometer mitten durch die Schweizer Alpen. Eine Röhre, hineingebohrt durch Zweitausender und Dreitausender. Es ist der spektakulärste menschengemachte Weg, um die Alpen zu queren.

Noch wird hier gebaut, Technik und Gleisanlagen weren installiert. Ende 2016 soll alles fertig sein. Pünktlich! Statt sich wie bislang auf 1.000 Meter Höhe quälen zu müssen, werden dann Personen- und vor allem Güterzüge fast ohne Steigung das Gotthard-Massiv durchqueren können, von Erstfeld im Norden bis Bodio im Tessin.

Ein gigantisches Infrastruktur-Projekt. Seit 1996 wurden an fünf Abschnitten gleichzeitig die Stollen vorangetrieben. Geschätzte Baukosten: umgerechnet über 10 Milliarden Euro. Viel Holz. Aber eben nicht mehr als ursprünglich geplant – hallo, Flughafen Berlin.

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    Nach ein paar Kilometern stoppt Lokführer Reto Huber den Zug, die Männer packen Werkzeuge und Alu-Leitern, drängen zu den Zugtüren. Aus den Funkgeräten quäkt die Stimme von Testleiter Daniele della Salla in der oberirdischen Leitzentrale: „Okay, Jungs, jeder kennt seine Aufgabe. Viel Glück.“ Dann springen die Männer aus den Waggons.

    Es sind Ingenieure, Techniker, Eisenbahner, Telematik-Experten. Fast alle begegnen sich an diesem Vormittag zum ersten Mal, man duzt sich trotzdem sofort, für Etiketten-Klimbim ist keine Zeit im Berg. Ihre Aufgabe heute: Die bereits verbaute Tunneltechnik auf Herz und Nieren prüfen, testen, was das Zeug hält. „Das ist extrem wichtig, alles hier unten bewegt sich an der Grenze des technisch Machbaren“, sagt Albert Schmid. Der 43-jährige Bauingenieur mit George-Clooney-Frisur hastet an der Tunnelwand entlang, mit zwei Kollegen installiert er Kameras, Equipment für eine große Evakuierungsübung am nächsten Morgen.

    Die Männer reden nicht viel, alles geht in Windeseile. Seit 2001 schon ist Schmid am Gotthard mit dabei, er hat sie miterlebt, die großen Momente im ewigen Fels wie den gefeierten Durchschlag im Jahr 2010, als sich die Bohrteams in der Mitte trafen und der Tunnel zur Tatsache wurde.

    „Für mich ist das hier unten jeden Tag eine Ehre“, sagt er. Vielleicht aber sieht er das leicht verklärt: Sogar seine Frau hat Schmid auf der Baustelle kennengelernt ...

    Schmids Leben hat der Tunnel also schon verändert. Dabei wird es nicht bleiben: Wenn die Mega-Röhre fertig ist, wird sie den Güterverkehr in der Schweiz, vielleicht sogar in ganz Europa verändern.

    Noch mehr Güter von der Straße holen

    2012 wurden laut Schweizer Statistikamt 37 Millionen Tonnen Güter über die Alpen bugsiert, mehr als doppelt so viel wie Anfang der 80er-Jahre. 63 Prozent davon rollten bereits über die Schiene. Das ist schon gut – reicht aber nicht für die weiter steigenden Transportmengen.

    Mit dem neuen Eisenbahntunnel aber wird die Kapazität des jährlichen Schienengüterverkehrs von 20 Millionen auf 50 Millionen Tonnen steigen. Statt wie heute täglich maximal 180 Züge über die Bergstrecke werden dann bis zu 260 Züge mit Highspeed durch die Röhre donnern. „Für unseren Güterverkehr ist das ein Quantensprung“, urteilt der Verkehrsforscher Professor Christian Laesser von der Uni Sankt Gallen.

    Im Tunnel: Nach Stunden harter Arbeit sitzen alle Mitglieder des Teams erschöpft im Testzug. Wasserflaschen kreisen, Albert Schmid wischt sich den Schweiß von der Stirn. Nicht alles hat heute geklappt, „das macht aber nichts, Schwachstellen zu finden, ist doch der Sinn von Tests“. Zwei Jahre habe man ja noch. Dann, sagt er, würden hier die Züge rollen: „So exakt wie ein Schweizer Uhrwerk!“

    Fakten

    Das Tunnelbauprojekt

    1. Der neue Gotthard-Basistunnel verfügt über zwei Röhren von jeweils 57 Kilometern Länge.
    2. Keine Wutbürger: In einem Volksentscheid stimmten fast zwei Drittel der Eidgenossen dem Jahrhundertprojekt zu.
    3. Finanziert wird der Bau insbesondere durch Einnahmen aus einer Schwerverkehrsabgabe und der Mineralölsteuer.
    4. 28 Millionen Tonnen Gestein brachen die Arbeiter mit vier gigantischen Tunnelbohrmaschinen in 14 Jahren aus den Bergen. Genug für den Bau von fünf Cheops-Pyramiden.