Oberderdingen. Es klingt zunächst utopisch: Ein Industrieunternehmen bietet eine Zahnarztpraxis für die Mitarbeiter. Direkt auf dem Werkgelände natürlich! Damit die Wege nicht so weit sind und man den wichtigen Zahn-Check nicht immer wieder aufschiebt …
Aber für die rund 1.900 Beschäftigten der E.G.O. am Standort Oberderdingen (Kreis Karlsruhe) ist das längst Normalität.
Während in den Produktionshallen verschiedenste Teile für Haushaltsgeräte entstehen, zum Beispiel Bedieneinheiten für Spülmaschinen oder Thermostate für Waschmaschinen, sitzt Mitarbeiterin Agnes Reitzig im Behandlungsstuhl. In einem kleinen Gebäude neben einer Pforte, nicht weit von ihrem Arbeitsplatz entfernt. Und nach ein paar Minuten kann sie schon wieder gehen – viel zu tun hat Zahnarzt Thomas Urban bei ihr dieses Mal nicht. „Die Praxis hier ist einfach ein tolles Angebot“, findet die Assistentin des Konzernbetriebsrats, „vor allem, weil man keine extra Fahrtwege hat.“
Yoga, Krebsvorsorge und Grippe-Impfung
Dieses Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie zieht in Sachen Gesundheitsförderung auch sonst so ziemlich alle Register. Es gibt zum Beispiel Bewegungsangebote in den Pausen, Yoga und andere Sportmöglichkeiten, Massagen. Dazu Raucherentwöhnungskurse, Krebsvorsorge, Grippe-Impfung – und nicht zuletzt ein vertrauliches „Lebenslagen-Coaching“ für Mitarbeiter, die in einer Krise stecken.
Solche Gesundheitsförderung ist für die Wirtschaft insgesamt ein Riesenthema. Von 400 Mittelständlern, die dazu jüngst von der Spezial-Zeitschrift „Personalwirtschaft“ befragt wurden, hat beispielsweise mehr als die Hälfte für die Mitarbeiter Bewegungsangebote, fast ein Viertel Maßnahmen zur Suchtprävention.
Wobei sich natürlich nicht jeder Kleinbetrieb so tolle Extras leisten kann. Markus Blümle, Personaldirektor bei E.G.O., betont denn auch: „Jedes Unternehmen muss für sich selbst entscheiden können, ob und welche Maßnahmen es in Sachen Gesundheitsförderung anbietet.“ Die praktische Kooperation mit Zahnärzten aus der Region habe sich durch Kontakte ergeben, berichtet Blümle weiter. Die Ärztegemeinschaft betrieb bereits zwei Praxen in anderen Orten und hatte Interesse, bei E.G.O. eine kleine Filiale einzurichten. „Wir haben an zwei Tagen pro Woche geöffnet“, sagt Zahnarzt Urban, „und sind stets ausgelastet.“
Dass sich betriebliche Gesundheitsförderung letztlich für das Unternehmen rechnet, steht für Blümle außer Frage: „Der finanzielle Nutzen ist zwar nur schwer messbar, aber wir sind überzeugt, dass sich solche Investitionen bei uns wieder auszahlen.“
Zwei Forscherinnen des Universitätsklinikums Essen wollten das genauer wissen. Claudia Pieper und Sarah Schröer haben viele Daten zum Thema ausgewertet. Ergebnis: Entsprechende Maßnahmen reduzieren zum Beispiel die Fehlzeiten der Mitarbeiter im Schnitt um 27 Prozent!
Bei E.G.O. sind heute an einem durchschnittlichen Tag 96 von 100 Beschäftigten gesund. „Diese Quote war früher niedriger“, sagt Personalchef Blümle zufrieden, „und volle Leistung können nur gesunde Mitarbeiter bringen.“
Dass die Lebensarbeitszeit im Zuge der demografischen Entwicklung steigen wird, dass der Wettbewerb härter und die Arbeitswelt damit noch anspruchsvoller wird – diese Trends machen ein ausgeklügeltes Gesundheitsmanagement erst recht sinnvoll. Davon ist Blümle überzeugt.
Angebote werden gut angenommen
Das Angebot in Oberderdingen wird daher laufend angepasst und erweitert. Neu ist etwa eine Sprechstunde zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz, die allen Mitarbeitern offensteht.
Angenommen werden die Angebote generell gut; bei vielen Kursen ist die Nachfrage so groß, dass dann gleich mehrere Schulungen parallel laufen. Und für die Mitarbeiter gibt es hier sogar einen finanziellen Anreiz, fit zu bleiben: Wer kaum Fehltage hat, bekommt seit 2015 eine zusätzliche Prämie ausgezahlt. So können auf das Arbeitsentgelt noch mal bis zu 2.200 Euro im Jahr obendrauf kommen.