Fast wäre die erste Arbeitswoche von David Kühne bei ITW Automotive auch gleich seine letzte gewesen. Damals, 2003, sollte er als junger Azubi in Hodenhagen ein Wasserheizgerät abschrauben. „Mein Ausbilder erinnerte mich daran, vorher unbedingt den Wasserhahn zuzudrehen“, erinnert sich Kühne. „Das habe ich auch gemacht – nur leider vor dem Absperrhahn, nicht dahinter. Das Ergebnis war, dass ich die halbe Firma geflutet habe.“

Die Industrie schreibt beeindruckende Geschichten: zum Beispiel die des ungeschickten Azubis, der irgendwann Werkleiter wird. Kühne hat so eine Geschichte erlebt: Mit 38 Jahren leitet er heute ein Werk mit 150 Mitarbeitern bei ITW Automotive. Wie hat er das geschafft? Und was treibt jemanden wie ihn an?

Der 16-Jährige schrieb 200 Bewerbungen – ohne Erfolg

In die Wiege gelegt war Kühne so eine Karriere nicht. Aufgewachsen im sachsen-anhaltinischen Quedlinburg, war ihm klar, dass er nach der Schule die Heimat verlassen muss, um überhaupt einen Industriejob zu finden. „Ich habe damals bestimmt an die 200 Bewerbungen geschrieben und viele Vorstellungsgespräche geführt“, erinnert er sich. Alle scheiterten immer an einem Punkt: „Die Verantwortlichen befürchteten, dass ich Heimweh bekommen und die Ausbildung abbrechen würde.“

Doch dann hatte er Glück: Der Ausbildungsleiter von ITW Automotive in Hodenhagen hatte diese Bedenken nicht. Er führte ihn direkt nach dem Gespräch durchs Werk, das unter anderem Einzelteile für Gurtschlösser und Gurtaufroller produziert. Er stellte ihn sogar direkt als neuen Azubi vor. „Das war schon etwas surreal“, sagt Kühne. Am gleichen Tag unterschrieb er den Vertrag und fand eine Wohnung. „Ich habe mich riesig gefreut – und gleichzeitig davor gefürchtet, was jetzt auf mich zukommt.“

Nebenberuflich bildete sich Kühne ständig weiter

Was Kühne bei ITW erwartete, war eine Ausbildung zum Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik. Der junge Mann wurde trotz Wirtschaftskrise übernommen und arbeitete sich schnell zum stellvertretenden Leiter einer Produktionslinie hoch. Nebenberuflich bildete er sich währenddessen weiter: zunächst zum Industriemeister, später schob er noch den technischen Betriebswirt hinterher.

Bei so viel Engagement war ihm die Position des Produktionsleiters sicher. Ebenso wie die Aufmerksamkeit der Führungsetage. Weil der damalige Werkleiter ausfiel, wurde Kühne zum Operations Manager befördert. Von da an war es nur noch ein kleiner Schritt: Am 1. Januar 2022 übernahm der ehemalige Azubi schließlich die Leitung „seines“ Werks.

„Ich sehe es als Erfolg, wenn der Laden auch ohne mich läuft“

David Kühne, Werkleiter

Vielleicht gründet Kühnes beruflicher Erfolg darin, dass er sich schon früh beweisen musste. Eine wichtige Rolle spielt sicher auch seine Einstellung: Aus seiner Sicht kann nur derjenige langfristig erfolgreich sein, der sich aktiv einbringt und bereit ist, die Extrameile zu gehen. „Ich versuche immer, meine Aufgaben nicht nur zu erfüllen, sondern auch meine Kreativität einzubringen“, sagt er. „Ich will die Dinge nicht nur machen – ich will sie besser machen.“

Lösungen suchen statt nur kritisieren

Am Anfang musste er damit erst einmal bei sich selbst anfangen. „Ich bin ohne Vater aufgewachsen und hatte zwei linke Hände“, sagt er. „Eigentlich war es verrückt, ausgerechnet in einem handwerklichen Beruf anzufangen.“ Nach den ersten kleinen Niederlagen – Stichwort Werkflutung – gab er nicht auf. Er wurde fingerfertiger. Und machte sich außerdem Gedanken über das, was er tat. „Immer, wenn ich eine neue Aufgabe bekam, habe ich mich gefragt, was man daran noch optimieren könnte.“

Seinen Vorgesetzten fiel er beispielsweise bereits im ersten Jahr auf, weil er Probleme in den Prozessen nicht nur ansprach, sondern auch Lösungen suchte. Auf eigene Faust entwickelte er etwa Ideen, wie seine Linie effizienter werden könnte. Und das Engagement wurde belohnt: Kaum war er ein Jahr im Job, bot man ihm an, die Bemusterungsabteilung aufzubauen.

Als Werkleiter lässt Kühne gern seine Leute selbst entscheiden

Machen lohnt sich: Dieses Mindset will Werkleiter Kühne auch bei seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern etablieren. Dazu habe er den Kollegen von Anfang an mehr Entscheidungskompetenzen übertragen, sagt er. Er beobachte, dass Führungskräfte solche Schritte oft vermieden – aus Angst, sich überflüssig zu machen. „Ich dagegen sehe es als Erfolg, wenn ich in den Urlaub gehen kann und weiß: Der Laden läuft auch ohne mich.“

Umgekehrt habe er erkannt, dass es nicht jedem leichtfalle, Entscheidungen zu treffen. „Das verstehe ich“, sagt der Werkleiter. „Aber ich will, dass die Leute sich Gedanken machen.“ Die Voraussetzung dafür sei eine offene Kommunikation: „Ich freue mich, wenn die Leute sich trauen zu meckern. Denn das bedeutet, dass sie meistens eine Idee haben, wie es besser geht, und wir so Lösungen finden.“