München. Die Ergebnisse der aktuellen Konjunkturumfrage unter den bayerischen Metall- und Elektrounternehmen (M+E) sind so deutlich wie alarmierend: Die bayerische M+E-Industrie befindet sich in einer tiefen Rezession. Was das konkret bedeutet, wie die Betriebe die Lage einschätzen und wie die M+E-Industrie aus diesem Tal wieder herauskommen muss, erklärt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der bayerischen M+E-Arbeitgeberverbände bayme vbm.
Die Verbände befragen seit 20 Jahren regelmäßig ihre Mitglieder zur Konjunktur. Warum ist die Reaktion in diesem Sommer besonders?
Die Betriebe haben die Geschäftslage noch nie so schlecht bewertet wie dieses Mal. Selbst während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 waren sie noch ein bisschen optimistischer als jetzt. Zwar setzen wir auf eine Bodenbildung im zweiten Halbjahr – von einem sehr niedrigen Niveau aus. Aber insgesamt ist das Jahr 2020 für die M+E-Industrie in Bayern ein verlorenes Jahr.
Woran macht sich das konkret bemerkbar?
Wir müssen uns immer vergegenwärtigen, dass diese Krise wirklich außergewöhnlich ist. Denn die Corona-Pandemie wirkt sich weltweit aus. Die Nachfrage nach Produkten ist praktisch überall zusammengebrochen. Das hat natürlich starken Einfluss auf die exportorientierte bayerische Wirtschaft. Die Ausfuhren lagen im Mai um 43 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Fast 86 Prozent der M+E-Unternehmen bewerten das Auslandsgeschäft negativ. Nur 3 Prozent sagen, die Exporte sind gut! Auch hier im Inland sieht es nicht besser aus. Knapp 81 Prozent der Betriebe bezeichnen das aktuelle Inlandsgeschäft als schlecht. Lediglich ein Unternehmen von zehn kommt hier zu einem positiven Ergebnis.
Welche Auswirkungen hat dieser massive Nachfragerückgang?
Die Unternehmen produzieren entsprechend weniger, auch wegen gestörter Lieferketten. Seit Beginn der Corona-Krise bei uns im März fiel die Produktion innerhalb von zwei Monaten um insgesamt 26 Prozent. Die Produktionskapazitäten in den Betrieben können nicht voll ausgeschöpft werden. Im Mai lag die Auslastung im Durchschnitt bei 67 Prozent, im Juni und Juli sogar nur bei knapp 64 Prozent. Entsprechend kämpfen fast zwei Drittel der Firmen in diesem Jahr mit einer sehr kritischen Ertragslage, 43 Prozent rechnen mit Verlusten.

Wie kommt es, dass die Betriebe angesichts dieser schwierigen Lage bisher ihre Beschäftigten noch weitgehend halten können?
Bislang hat der massive Einsatz von Kurzarbeit verhindert, dass der Beschäftigungsrückgang stärker ausfällt. Auch unternehmenseigene Maßnahmen sowie andere staatliche Unterstützungsprogramme haben dazu beigetragen. Wir gehen davon aus, dass derzeit jeder zweite M+E-Beschäftigte im Freistaat in Kurzarbeit ist, das sind knapp 430.000. Natürlich sehen wir aber einen Beschäftigungsrückgang. Dieser Prozess hatte bereits im zweiten Halbjahr 2019 begonnen. Denn schon da befand sich die bayerische M+E-Industrie in der Rezession. Durch die Corona-Krise setzt sich dieser Rückgang beschleunigt fort. Insgesamt hat die Branche jetzt etwa 1,5 Prozent weniger Mitarbeiter als im Vorjahr.
Wird das so bleiben?
Die Umfrageergebnisse zeigen, dass jedes sechste Unternehmen befürchtet, langfristig im Inland Stellen abbauen zu müssen. Die Beschäftigungspläne sind ebenfalls auf dem tiefsten Stand seit 20 Jahren. Das gilt auch für die ausländischen Standorte unserer Unternehmen. Nur im IT-Sektor und in der Elektronik-Industrie gibt es derzeit Pläne, die Anzahl der Stellen aufzustocken. Wir gehen auch nicht davon aus, dass der Beschäftigungsrückgang im kommenden Jahr zu Ende sein wird.
Wie lange dauert die Krise noch?
Wir müssen uns auf einen langwierigen Erholungsprozess einstellen. Aktuell sehen wir Anzeichen einer ersten Bodenbildung. Es sind vor allem die großen Unternehmen, die zuversichtlich sind, die Talsohle bereits in der zweiten Jahreshälfte zu verlassen. Bei kleinen und mittelgroßen Betrieben ist die Skepsis größer. Die Geschäftserwartungen für das zweite Halbjahr sind in den einzelnen Branchen, bis auf den sonstigen Fahrzeugbau, aufwärtsgerichtet. Man muss aber im Blick haben, dass wir von einem sehr tiefen Niveau kommen. So schlecht, wie die aktuelle Situation ist, kann es nur besser werden.


Wann wird die Produktion das Vorkrisenniveau wieder erreichen?
Momentan liegen wir hier 40 Prozent unter dem Vorjahresniveau von 2019. Das Niveau vor der Corona-Krise werden wir jedoch bestenfalls im Laufe des Jahres 2022 wieder erreichen.
Was hilft, damit dieser Aufholprozess gestützt wird?
Die Staats- und Bundesregierung haben in einem ersten Schritt die Unternehmen schnell, pragmatisch und zielgerichtet unterstützt. Das war ein Musterbeispiel für effiziente Politik. Auch das Konjunkturpaket war ein mutiger Schritt, der zu einem spürbaren Nachfrageimpuls führen kann. Doch für die mittel- und langfristige Krisenbewältigung sind weitere umfassende Hilfsmaßnahmen zwingend notwendig.
Welche Maßnahmen sind das?
Bisher stand bei den Hilfsprogrammen die Liquiditätssicherung im Vordergrund. Nun geht es darum, die Unternehmen dauerhaft finanziell zu stabilisieren. Wir begrüßen zum Beispiel den Vorstoß der CSU im Bundestag, die aktuellen Kurzarbeiterregeln über das Jahresende hinaus zu verlängern. Notwendig sind aber auch langfristig finanzierbare Kredite oder Angebote von Eigenkapitalbeteiligungen. Dauerhafte Krisenbewältigung heißt aber auch, die Wettbewerbsfähigkeit unseres Industriestandorts wieder zu stärken.
Welche Stellschrauben gibt es da?
Deutschland muss endlich beim Bürokratieabbau vorankommen. So brauchen wir mehr Flexibilisierung im Arbeitsrecht sowie im Arbeitszeitrecht. Alle Vorschriften, welche die Unternehmen beim Wiederaufbau behindern, müssen weg. Der Vorteil beim Bürokratieabbau ist: Man kann mit solchen Maßnahmen einen großen Effekt erzielen, ohne die Staatskasse weiter über Gebühr oder überhaupt zu belasten. Dann brauchen wir auch einen Schub bei Investitionen. Was geplant ist, muss zügig umgesetzt werden können. Dazu gehören auch die Programme, die etwa für Technologie und Digitalisierung aufgesetzt wurden.
Inwiefern helfen Technologie und Digitalisierung, wettbewerbsfähig zu bleiben?
Innovation ist und bleibt die beste Medizin gegen Rezession. Schließlich hat der technologische Fortschritt maßgeblich dazu beigetragen, auch während des Lockdowns das Arbeitsleben am Laufen zu halten, etwa durch mobiles Arbeiten oder Videokonferenzen. Der Freistaat ist hierbei übrigens einmal mehr Vorreiter bei der Förderung dieser Zukunftsbereiche, indem er bereits vor knapp einem Jahr die Hightech-Agenda auf den Weg gebracht hat.
Können die Betriebe derzeit überhaupt in Digitalisierung investieren?
Unsere Umfrage zeigt, dass die Unternehmen bei Innovationen nicht nachlassen, obwohl viele ihre Investitionspläne insgesamt krisenbedingt zurückfahren. Ein Viertel der Investitionsausgaben fließt aber in Innovationen. Das ist ein wichtiges Signal! Denn langfristig sichert es den Industriestandort Bayern und damit auch Jobs der Arbeitnehmer, wenn wir auf Zukunftstechnologien setzen.
Stichwort Arbeitnehmer: Welche Rolle kommt den Tarifpartnern zu?
Die Tarifpartner, also der Arbeitgeberverband und die IG Metall, haben einen wichtigen Beitrag zur Sicherung von Unternehmen und Beschäftigten geleistet, indem sie zu Beginn der Krise im Frühjahr den Solidartarifvertrag geschlossen haben. Diesen verantwortungsvollen Weg müssen wir jetzt fortsetzen. Wir brauchen eine Tarifpolitik, die auch in konjunkturell schweren Phasen tragfähig ist und den Betrieben langfristige Planungssicherheit gibt. Hier müssen geeignete Kompromisse gefunden werden. Die Unternehmen haben sich ihren Beschäftigten gegenüber solidarisch gezeigt. Wir wünschen uns von der IG Metall die Erkenntnis, dass wir keine Verteilungsspielräume haben.