Seit 70 Jahren schon bietet das Forschungskuratorium Textil (kurz FKT) vielen Unternehmen aus der Branche den Zugang zur industriellen Gemeinschaftsforschung. aktiv sprach mit FKT-Geschäftsführer Johannes Diebel über Erfolge, Herausforderungen und die Zukunft der textilen Forschung in Deutschland.
Herr Diebel, hat sich heute schon jemand mit einer zündenden Idee bei Ihnen gemeldet?
Das nicht. Aber mich rufen durchaus Unternehmen an, die an textiler Forschung in Deutschland teilhaben wollen. Denen kann ich dann sagen: „Da sind Sie bei uns genau richtig.“
Was tut das Kuratorium denn eigentlich für die Unternehmen?
Wir sind der Zugang zur industriellen Gemeinschaftsforschung, die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert wird. Kurz gesagt: Über uns profitieren auch kleine oder mittlere Unternehmen von Forschungsergebnissen und einem Netzwerk in der textilen Forschung.
Wie erfolgreich sind Sie mit Ihrer Arbeit?
Unser Engagement kann sich sehen lassen. Im Topf des Ministeriums liegen jährlich 180 Millionen Euro für die gesamte deutsche Industrie. Als eine von 100 Forschungsvereinigungen organisieren wir daraus jährlich Textilforschung im Umfang von 16 Millionen Euro. Damit füllen wir kontinuierlich die Innovations-Pipeline der Textil-Industrie.
Dann geht es bei Ihrer Arbeit also ums Geld?
Es geht um mehr. Wir geben auch Hilfestellung bei Förderanträgen oder übernehmen die gesamte Koordination und Administration. Uns ist auch wichtig, dass die Unternehmen Zugang zu den Forschungsergebnissen haben. Gerade kleine und mittlere Unternehmen sollen von der textilen Spitzenforschung profitieren. Deshalb veröffentlichen wir die Forschungsergebnisse aus den Projekten in einem Jahresbericht und sind auch auf Messen präsent.
Und wie kommt Ihre Arbeit bei den Firmen an?
Wie groß das Interesse ist, zeigt eine aktuelle Zahl: Zurzeit arbeiten 2.500 Unternehmensvertreter in unseren projektbegleitenden Ausschüssen mit. Das beginnt oft mit einem Anruf, weil ein Unternehmen Interesse an einem von uns betreuten und veröffentlichten Forschungsthema hat. Es gibt Projekte, in denen arbeiten zehn bis zwölf Unternehmen zusammen. Was die Forschung angeht, sitzen sie dann an der Quelle und können die Ergebnisse später direkt nutzen.
Wer forscht dann eigentlich in den geförderten Projekten?
Dafür haben wir in Deutschland 16 Textilforschungsinstitute, die alle Mitglieder im Forschungskuratorium sind. Im Grunde genommen forschen Unternehmen und Institute gemeinsam. So kommen Wirtschaft und Wissenschaft zusammen. Zurzeit gibt es 140 laufende Projekte zu ganz unterschiedlichen Schwerpunkten. Das Kuratorium organisiert auf diese Weise 20 bis 30 Prozent der Textilforschung in Deutschland. Jährlich kommen bis zu 60 neue Projekte hinzu. Dabei geht es oft auch um eine ganz konkrete Zusammenarbeit, wenn zum Beispiel Forscher Produktionsanlagen der beteiligten Unternehmen nutzen, um Praxistests durchzuführen.
Wo sehen Sie Forschungsschwerpunkte?
Da gibt es eine ganze Reihe von Themen. In den letzten Jahren ging es viel um textiles Bauen, Medizintextilien oder Textilien für eine umweltfreundliche Mobilität. Dazu gehörten etwa der Textilbeton, textile Herzklappen oder Bandscheiben, aber auch Membrantextilien für die Wasserstoffherstellung. Die Beispiele zeigen, dass wichtige Wirtschaftsbereiche wie die Gesundheits- oder Automobilbranche von textilen Innovationen profitieren.
Und was ist das heißeste Forschungsthema aktuell?
Der Schwerpunkt liegt ganz klar auf Nachhaltigkeit, textiler Kreislaufwirtschaft und Recycling von Fasern und Stoffen. Und das nicht erst, seit sich die EU den Green Deal auf die Fahnen geschrieben hat. Außerdem suchen viele Unternehmen verstärkt nach Möglichkeiten, Herstellungsprozesse zu optimieren, um die immens gestiegenen Energiekosten auszugleichen. Es geht also bei Weitem nicht nur um Produkt-, sondern auch um Verfahrens- und Prozessinnovationen.
Das klingt nach einer Menge Forschungsarbeit …
… die sehr herausfordernd ist. Textile Forschung ist nicht nur Selbstzweck. Sie hat auch konkrete Ziele. Dazu gehört es, heimische Textilunternehmen wettbewerbsfähig zu halten, damit sie der weltweiten Konkurrenz begegnen können.
Was meinen Sie konkret?
Es geht darum, Innovationen zu schaffen, die Standortnachteile wie hohe Umweltstandards – die ohne Frage wichtig sind – oder hohe Arbeits- und Energiekosten ein Stück weit ausgleichen. So werden dann heimische Standorte und Arbeitsplätze gesichert. Zudem wird an den Forschungsinstituten der Nachwuchs ausgebildet, den wir für die Zukunft brauchen. Daran sieht man: Forschungsarbeit, wie sie durch das Kuratorium unterstützt wird, ist auch Fachkräfteförderung. All das könnte der textile Mittelstand allein nicht schultern. Das Kuratorium ist da durchaus ein schlagkräftiges Instrument, um die Position der deutschen Textilbranche auf dem Weltmarkt zu stärken – und auch in Zukunft kontinuierlich zu verbessern.
Lassen Sie uns in die Zukunft blicken: Wo sehen Sie das Forschungskuratorium in 10 bis 15 Jahren?
Ich sehe uns als wesentlichen Treiber eines Green Deal, der auch die Wettbewerbsfähigkeit der mittelständischen Industrie in den Fokus nimmt. Wichtig wird etwa das Thema recyclingfähige, biobasierte Textilmaterialien. Wir brauchen dafür neue Prozesse, die die hohen Umweltstandards erfüllen. Außerdem müssen wir die wärmegeführten Fertigungsprozesse auf neue Energieträger umstellen, etwa von Gas auf Wasserstoff. Das ist noch eine große Blackbox. Hinzu kommen Digitalisierung und künstliche Intelligenz. Besonders Letztere birgt ein enormes Potenzial für Prozessverbesserungen. Es gibt noch vieles zu erforschen und dafür genauso wichtige politische Weichen zu stellen.
Hybridgarn macht Bauteile fester

- Faserkunststoffverbund-Bauteile haben eine Schale-Rippenstruktur, die sie verstärkt und versteift. Das Herstellverfahren ist aufwendig.
- Am ITMin Dresden wurde ein Hybridgarn entwickelt, das in Lagen kreuz und quer zu einer Struktur gestapelt wird. Vorteil: kürzerer Herstellprozess, höhere Festigkeit und Steifigkeit.
- Unternehmen können damit die Wertschöpfung bei der Fertigung textiler Halbzeuge steigern.
Kettfadensteuerung vermeidet Verschnitt

- Carbonfasertextilien kommen oft von der Rolle. Werden sie in Bauteilformen eingelegt, entsteht Verschnitt, wertvolle Rohstoffe geht verloren.
- Am ITM in Dresden hat man eine Methode entwickelt, mit der die Kettfädenzahl beim Weben an die Maße des Bauteils angepasst werden.
- Betriebe können so Kosten sparen, weil sie textile Gelege kosteneffizienter fertigen können und weniger Material benötigen.
Faser sorgt für besseren Schutz

- Polizisten brauchen gute Schutzkleidung: Molotowcocktails etwa entwickeln Hitze bis 1.700 Grad und verringern dabei den Isolierschutz.
- Forscher des Instituts für Textiltechnik in Aachen entwickelten eine robustere Faserzusammensetzung und Garnkonstruktion sowie eine Ausrüstungsrezeptur, die Brennflüssigkeiten schneller abtropfen lässt.
- Von der Innovation profitieren Spinnereien, Webereien und Veredler technischer Textilien.

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.
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