Köln/Allensbach. Postfaktisch, Fake-News oder alternative Fakten – gefühlte Wahrheiten haben Konjunktur. In Zeiten von Trump, Brexit und populistischen Parteien scheint es oft, als hätten ökonomische oder wissenschaftliche Tatsachen keine Chance gegen feste Überzeugungen, Gefühle oder Interessen.
Wie groß die Vertrauenskrise in tatsachenbasierte Debatten ist, verdeutlicht eine aktuelle Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach. Aus der geht hervor: Dass es „bei vielen Themen und in vielen Situationen klare Fakten gibt, die beweisbar sind und einfach stimmen“ – davon sind nur 47 Prozent überzeugt!
10 Prozent sagen „weiß nicht“. Und 43 Prozent halten dagegen: „Was stimmt und was nicht, ist in vielen Fällen Ansichtssache. Es gibt oft kein ,Wahr‘ und ,Falsch‘.“ Nach dem Motto: Dann suche ich mir meine Wahrheit eben aus.
Das ist eine schwierige Ausgangslage für die Politik, auch mit Blick auf die Bundestagswahl am 24. September. Gerade wenn es um soziale und wirtschaftliche Zusammenhänge geht, sind viele verunsichert. Laut Allensbach wissen 44 Prozent „bei vielen politischen Informationen gar nicht, welchen ich glauben kann“. 45 Prozent sind sogar misstrauisch, dass ihnen die wirklich wichtigen Fakten vorenthalten werden.
Man fühlt sich ahnungslos. Und das trotz des mutierenden Informationsangebots im Internet. Alles soll für alle verständlich sein: Erklärvideos auf Youtube, Lexikon-Artikel bei Wikipedia, Statistiken und Statements to go. In den sozialen Netzwerken verbreiten sie sich rasant. Und jeder hört, was er hören will.
Eine Folge ist, dass viel gemeckert wird. Obwohl es uns eigentlich ganz gut geht. Das belegen Fakten. AKTIV ist einigen gängigen Meinungen über wichtige Themen nachgegangen:
Wahrnehmung zum Thema Erwerbstätigkeit: „Das Jobwunder ist eine Mogelpackung“
Durchschnittlich 43,6 Millionen Menschen hatten im vergangenen Jahr Arbeit in Deutschland – Rekord und 2,6 Millionen mehr als noch 2010. Die Jobs werden nicht einfach bloß auf mehr Köpfe verteilt. Das Forschungsinstitut IAB der Arbeitsagenturen rechnet vor: Es gibt wirklich mehr zu tun. Falsch ist auch die Vermutung, der Anstieg resultiere aus „atypischer Beschäftigung“. Dazu zählt das Statistische Bundesamt befristete Jobs, Teilzeit unter 20 Wochenstunden, Minijobs und Zeitarbeit. Die Zahl dieser Stellen ist von 2010 bis 2015 um insgesamt 410.000 gesunken.
Wahrnehmung zum Thema Umwelt: „Die Natur wird zunehmend geschädigt“
Die Luftbelastung mit Schadstoffen wie Feinstaub, Stickstoffdioxid oder auch Schwefeldioxid ist nach Erhebungen des Umweltbundesamts klar rückläufig. Auch der Ausstoß von Klimagasen wie Kohlendioxid hat sich verringert. Unbefriedigend entwickelt sich, vor allem wegen der Landwirtschaft, die Wasserqualität in der Natur. So waren 2010 nur 2 Prozent, 2015 aber 11 Prozent der Seen in „schlechtem“ Zustand.
Wahrnehmung zum Thema Kriminalität: „Das Leben ist gefährlicher als früher“
Die Zahl der Opfer von Mord und Totschlag ist binnen zehn Jahren um ein Viertel gesunken. Sorgen machte zuletzt die steigende Zahl der Wohnungseinbrüche – sie stieg 2015 um ein Zehntel auf 167.000. Immerhin zeichnet sich nach den ersten Meldungen von Bundesländern für 2016 ein Rückgang ab. Und das Bundesinnenministerium teilt mit: Straftaten von Zuwanderern waren 2016 „in fast allen Deliktsbereichen rückläufig“.
Wahrnehmung zum Thema Kaufkraft: „Mein Geld wird immer weniger wert“
Ein Blick in die amtliche Statistik zeigt: Die Entgelte sind, über alle Branchen und Betriebe gerechnet, deutlich stärker gestiegen als die Verbraucherpreise. Allein für die letzten drei Jahre beträgt das Reallohn-Plus insgesamt mehr als 6 Prozent. Weniger wert wird das Geld derzeit auf dem Sparkonto: Der Minizins gleicht die Teuerung nicht aus. Solche Phasen gab es auch in den vergangenen Jahrzehnten – stets vorübergehend.
Wahrnehmung zum Thema Rente: „Im Alter geht’s mir schlecht“
Laut jüngstem Rentenversicherungsbericht der Regierung soll das „Sicherungsniveau“ 2030 von aktuell 48,2 auf 44,5 Prozent sinken. Die Rente sinkt nur relativ zu den Löhnen, nicht absolut (das verbietet das Gesetz). Auch preisbereinigt „dürfte sich die Kaufkraft der Renten in Zukunft weiter erhöhen“ – so die Einschätzung der „Fünf Weisen“ im Sachverständigenrat. Vor diesem Hintergrund sind Befürchtungen, ein großer Teil der Rentner rutsche künftig unter die Armutsgrenze, übertrieben. Aktuell ist das nur gut jeder Vierzigste.
Wahrnehmung zum Thema Bundeshaushalt: „Wegen der Flüchtlingskrise ist kein Geld für andere Dinge da“
Es ist ein Kraftakt: 20,9 Milliarden Euro wird im laufenden Jahr allein der Bund für Flüchtlinge bereitstellen, auch im Jahr 2021 werden es laut Finanzplanung noch 15,1 Milliarden sein. Doch zugleich werden die Einnahmen des Bundes um über 40 Milliarden Euro steigen, so die amtliche Steuerschätzung. Es gibt also mehr Mittel für andere Verwendungen. Übrigens: Die Summe aller Sozialausgaben in Deutschland betrug 2015 rund 888 Milliarden Euro. Das waren inflationsbereinigt 17 Prozent mehr als 2000.
Wahrnehmung zum Thema Gerechtigkeit: „Die Mittelschicht schrumpft“
Keine Frage: Die Spitzenverdienste sind in den letzten 20 Jahren stärker gestiegen als im Durchschnitt. Doch die Armen wurden keineswegs ärmer, dabei half auch der Sozialstaat. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium stellt fest: „Die Nettoeinkommen am unteren Ende der Verteilung haben mit der allgemeinen Entwicklung der Einkommen Schritt gehalten.“ Und die Mittelschicht bleibt stabil. Das belegt das Sozio-oekonomische Panel, eine jährliche Wiederholungsbefragung unter 12.000 Haushalten. Der Anteil derer, die laut gängiger Definition zur „Mitte im engeren Sinne“ gehören, hat sich kaum verändert.