Um gute Mitarbeiter zu halten oder zu gewinnen, lassen sich die Betriebe in Hessens Metall- und Elektro-Industrie viel einfallen. Fünf Arbeitnehmer erzählen, wie sie von flexiblen Arbeitszeiten profitieren.
Battenberg/Frankenberg. Mehr als die Hälfte der Metall- und Elektro-Betriebe sehen inzwischen im Fachkräftemangel nach einer Befragung des Arbeitgeberverbands Hessenmetall das größte Geschäftsrisiko. Knapp ein Viertel klagt über Produktionsbehinderungen, weil die Leute schlicht fehlen.
Deshalb sind die Unternehmen – wie die Beispiele zeigen – oft sehr kreativ, um gute Mitarbeiter zu halten oder auch hinzuzugewinnen. AKTIV besuchte zwei Unternehmen im nordhessischen Kreis Waldeck-Frankenberg. Die Arbeitslosenquote liegt hier bei rund 3 Prozent. Beim Automobilzulieferer Eisenwerk Hasenclever in Battenberg, dem Technologie- und Qualitätsführer für Abgaskomponenten, sind rund 750 Mitarbeiter beschäftigt. „Wir bemühen uns sehr, auf ihre Arbeitszeitwünsche, wo möglich, einzugehen, auch wenn das nicht immer einfach ist“, so Geschäftsführer Christoph Hentzen.
Bei Neuschäfer Elektronik in Frankenberg bietet das Modell Flex@Work dem Betrieb und den 100 Mitarbeitern mehr Flexibilität. Vertriebschefin Filomena Rios: „Wir geben viele Freiheiten, die beiden Seiten entgegenkommen, und haben so keine Probleme, Schichten mal auszuweiten.“
Springerin nutzt Teilzeit

Giovanna Andres (39) arbeitet seit 21 Jahren beim Automobilzulieferer Eisenwerk Hasenclever in Battenberg. Hier hat sie technische Modellbauerin gelernt und war bis zur Geburt ihrer Zwillinge 2011 in Wechselschicht.
Nach drei Jahren Erziehungsurlaub kam sie zurück, obwohl sechs Jahre Auszeit möglich gewesen wären. „Ich wollte wieder selbstständiger sein und eigenes Geld verdienen.“
Seitdem arbeitet sie montags, mittwochs und freitags je 6,5 Stunden in der Frühschicht von 8 Uhr bis 14.30 Uhr als Springerin, da sie dank ihrer Qualifizierung alle Maschinen in der Kernmacherei kennt. Ihre Arbeitszeit orientiert sich an ihren persönlichen Wünschen und Möglichkeiten. „Und wenn ich wieder mehr arbeiten will, kann ich jederzeit aufstocken.“
Flexibles System als Glücksfall

Lesly Schweiger (50) kam 2011 mit ihrem kleinen Sohn von Berlin nach Frankenberg. Gute Freunde unterstützten sie bei ihrem Neuanfang, und in Neuschäfer Elektronik fand sie als ausgebildete Anlagenführerin den, wie sie sagt, „idealen Arbeitgeber“.
Bei dem Spezialisten für Leiterplatten bedient sie 40 Stunden pro Woche die Maschinen in der Galvanik. „Ich will so viel arbeiten, denn ich will gutes Geld verdienen, um mein Haus, schöne Urlaube und alles andere bezahlen zu können.“
Dank eines sehr flexiblen Arbeitszeitsystems bei Neuschäfer hat sie ihren Arbeitsbeginn in Absprache mit den Kollegen um eine Stunde vorverlegt, weil ihr das privat so besser passt. Lesly Schweiger: „Ich habe alles gewagt und einen Glückstreffer gelandet.“
Ein Büro im Werk und eins zu Hause

Sabine Staatz (37) hat als Bilanzbuchhalterin bei Eisenwerk Hasenclever in Battenberg gleich zwei Büros: eines im Werk und eines bei sich zu Hause. Denn von den 40 vereinbarten Stunden pro Woche leistet die Mutter von zwei Kindern 10 im Homeoffice. „Sonst könnte ich die Arbeit gar nicht mit meiner Familie vereinbaren.“
Nach der Geburt des ersten Kindes nahm sie ein Jahr Erziehungsurlaub und kam dann zunächst für einen Tag in der Woche, später sogar in die 35-Stunden-Woche zurück. 2014 nahm sie nach der Geburt des zweiten Kindes 20 Monate Elternzeit. Zurück im Job (30-Stunden-Woche) wechselte sie zunächst in den Vertrieb und bekam dann ihre alte Stelle als Bilanzbuchhalterin, als diese wieder frei wurde. „Natürlich fordert mich die Stelle mehr, aber das brauche ich für mich, und dank Homeoffice klappt alles gut.“
Nachtmensch nutzt Freiräume

Vor zehn Uhr morgens trifft man Alexandra Sclano selten an ihrem Arbeitsplatz bei Neuschäfer Elektronik in Frankenberg. „Ich bin ein Nachtmensch, stehe ungern früh auf, deshalb habe ich hier meinen idealen Job gefunden, bei dem es nicht auf Pünktlichkeit ankommt“, sagt die 57-Jährige.
Nach über 20 Jahren als Bürokraft in Frankfurt zog sie 2011 mit ihrem Mann zu ihrer hilfsbedürftigen Mutter nach Frankenberg – und fand schnell eine neue Stelle. Als Assistentin der Vertriebschefin Filomena Rios kümmert sie sich um alles, was anfällt, auch um Veranstaltungen, die auch schon mal am Wochenende sind. „Ich liebe die Arbeit hier, weil ich viele Freiräume habe, besonders bei der Arbeitszeit.“
Flüchtlingsfamilie fand Perspektive

40 Stunden arbeitet Iman Issa (36) aktuell bei Neuschäfer Elektronik in Frankenberg. Dort prüft sie in der Qualitätskontrolle Leiterplatten. Gemeinsam mit ihrer Schwester und ihren Eltern floh die gelernte Dolmetscherin aus ihrer Heimat Syrien und kam vor gut zwei Jahren in Deutschland an. In einer Flüchtlingsunterkunft traf sie Anfang 2017 auf ihre heutige Chefin Filomena Rios. Iman Issas Ziel, in fünf Jahren Job, Haus und Führerschein zu haben, beeindruckten die Unternehmerin so, dass sie den beiden Schwestern eine Stelle anbot. Jetzt besucht sie sechs Monate einen Integrations-Kurs und reduziert von 40 auf 20 Wochenstunden.
Dank des Einkommens der beiden Töchter hat die Familie inzwischen ein kleines Haus gemietet und Iman macht ihren Führerschein. „Nur mit einem Kurs und ohne Job bin ich nicht integriert“, so Iman Issa.