Hörstel. Feiner Staub rieselt durch die Finger von Hartmut Steffen. Zurück bleibt ein Gewirr von braunen Fasern: Hanf. „Naturfasern zu verarbeiten, ist eine Kunst – ihre Qualität variiert ja von Ernte zur Ernte“, erklärt Steffen.
Er ist stellvertretender Betriebsleiter von Polyvlies. Was diesen Betrieb in Hörstel bei Osnabrück besonders macht: Hier werden Chemie- und Naturfasern zu Vliesstoffen verarbeitet. Dazu gehören Hanf, Flachs, Kenaf und Baumwolle.
Anlagen sind bis zum Anschlag ausgelastet
Der 400-Mann-Betrieb hat Standorte in Sachsen, der Slowakei und Frankreich. Er erwirtschaftet einen Jahresumsatz von mehr als 70 Millionen Euro. Einer der Hauptabnehmer ist die Auto-Industrie. Sie nutzt die Hightech-Vliese in Tür- und Kofferraumverkleidungen oder als Beschichtungsträger, Dämmmaterial und als sogenanntes Hinterspritzvlies. Hinzu kommen Kunden im Garten- und Landschaftsbau, wo Geo- und Filtervliese benötigt werden. Die neun Vliesstraßen sind voll ausgelastet: „Bis Oberkante Unterlippe“, so Steffen. „Selbst Anlagen, die wir ersetzen wollten, laufen im Vollbetrieb.“ Im Halbstundentakt transportieren Lkws die Ware in Rollenform ab.
Allein in der Halle für Naturfasern werden etwa 5.000 Tonnen jährlich verarbeitet. Das beginnt mit dem Mischen der angelieferten Ballen: Farbe und Güte können stark variieren, so wird eine konstante Qualität des jeweiligen Rohstoffs erreicht. Von dort geht es zum Faserkämmen („Kadieren“).
Dann verfestigen Tausende Nadeln den entstandenen Flor. Mehrere Lagen aufeinandergepresst ergeben die fertige Rollenware – wenn nichts dazwischenkommt, wie etwa abgebrochene Filznadeln. Bleiben die im Vlies stecken, gibt die Anlage Alarm: „Dann stoppt sie automatisch, und ich muss die Nadelreste entfernen“, so Produktionshelfer Marvin Molitor.
Eine Straße für Chemiefasern schafft 20 Tonnen täglich, eine Naturfaser-Anlage 14 Tonnen. Denn Hanf, Flachs & Co. beanspruchen die Technik stärker: Bei der Ernte gelangen auch Erde oder Stroh in die Ballen; der Anteil an Fremdstoffen liegt zwischen 10 und 15 Prozent. Um damit zurechtzukommen, läuft die Maschine langsamer.
Am Ende ist aus dem unscheinbaren braunen Wirrwarr ein festes, ebenes Vlies geworden – allein dadurch, dass sich die Fasern so massenhaft verhaken: „Zerreißen können Sie dieses Material nicht mehr“, sagt Ingenieur Steffen.
Flachs im neuen Elektromobil BMW i3
In manchen Vliesen stecken zudem künstliche Schmelzfasern. Sie sorgen dafür, dass die Kunden ihre textilen Halbzeuge formen können. Etwa den „Klima-Layer“ des Stromflitzers BMW i3: Der Vliesstoff für die Verkleidung zwischen Lenkrad und Frontscheibe ist aus einem Flachs-Polypropylen-Gemisch aus Hörstel. Diese Mischung ist leichter und elastischer als der herkömmliche Chemiefaser-Mix.
Das Know-how der Westfalen ist international gefragt. Ab 2015 werden sie in einem eigenen Werk in den USA für einen deutschen Autobauer Vliesstoffe fertigen. „Der Kunde setzt auf unsere Qualität“, sagt Steffen, „und die findet er dort bisher nicht.“
Vliesstoffe stecken in allen möglichen Produkten – und Deutschland ist Europas größter Produzent

Von der Babywindel bis zum Luftfilter
Krefeld. Sie stecken als „Flüssigkeiten aufsaugender Kern“ in Windeln, als Nadelfilz in Luftfiltern und verstärken Trennschichten im Straßenbau. „Das zeigt, wie vielfältig Vliesstoffe sind“, sagt Hendrik van Delden von der Unternehmensberatung Gherzi van Delden in Krefeld.
Der Experte prophezeit dem Material eine glänzende Zukunft, weil es sich immer neue Anwendungsgebiete erobert. Deutschland war 2013 mit über 500.000 Tonnen Europas größter Produzent. Insgesamt wurden auf dem alten Kontinent 2 Millionen Tonnen hergestellt.
Ein Drittel aller Vliesstoffe wird zu Hygieneartikeln verarbeitet. Hinzu kommen Vliese etwa für medizinische Produkte, für Filter – und die Landwirtschaft. So reifen unter Vliesbahnen Spargel oder Erdbeeren schneller, und Unkraut lässt sich pestizidfrei verhindern. Auch die Auto-Industrie setzt auf das Material: Etwa 25 Prozent der hiesigen Produktion werden in Fahrzeugen verbaut. „Dort verdrängen feinstfasrige Vliesstoffe zunehmend Gewebe und Gestricke aus dem Innenraum“, erklärt Experte van Delden.
Ein erfreulicher Trend für die deutschen Produzenten, die nach Angabe des Fachverbands IVGT zuletzt auf einen Jahresumsatz von 1,4 Milliarden Euro kamen.
Dennoch müssen sie wachsam bleiben. „Die Herstellungstechnik an sich ist alt. Deshalb machen die Unternehmen nur mit stetigen Neuerungen Gewinn“, betont van Delden.