Marktheidenfeld. Alles geregelt, alles geordnet: Für diese Tugenden ist Deutschland in der ganzen Welt berühmt. Und manche Nation blickt neidisch auf die fleißigen, strukturierten Deutschen.
Doch wie bei allem gilt auch hier: Bitte nicht zu viel des Guten. Denn knapp die Hälfte (49 Prozent) aller kleinen und mittleren Unternehmen in Bayern stöhnt über die Regulierungswut des Gesetzgebers. Sie fühlen sich stark behindert durch Vorschriften, Gesetze und Bürokratie, wie eine Umfrage im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft ergab.
Ganz besonders hakt es bei Regeln im Steuerrecht (siehe Grafik). 76 Prozent der bayerischen Unternehmen macht die Flut der wiederkehrenden Berichtspflichten zu schaffen. „Wir müssen zu viele Papiere ausfüllen“, nennt die Mehrheit als Grund für die Unzufriedenheit. Und oft sei nicht klar, wofür die Informationen nötig sind.
Auch der direkte Kontakt mit den Behörden sorgt für Verwirrung unter den Befragten: „Es gibt zu viele verschiedene Ansprechpartner.“ Doch gerade hier wünschen sich die Unternehmen mehr Entgegenkommen – 70 Prozent halten es für sehr entscheidend, dass die Verwaltung flexibel agiert.
Dokumentation fällt neben der regulären Arbeit an
Beispielsweise absolvieren manche Firmen, die sich derzeit für die Integration von Flüchtlingen einsetzen, einen wahren Behördenmarathon. Wollen sie einem jugendlichen Zuwanderer einen Ausbildungsplatz anbieten, reden zahlreiche Ämter mit: Jugend- und Sozialamt, Ausländerbehörde, Agentur für Arbeit. Das kostet Zeit – und letztlich Geld.
Denn die Unternehmen müssen extra einen Mitarbeiter abstellen, der sich um die Angelegenheit kümmert. Genauso, wie sie Personal vorhalten müssen, das sämtliche Daten sammelt, aufbereitet und an die Ämter schickt.
Wie viel allein die Informationspflichten kosten, wollte die Bundesregierung schon vor zehn Jahren genau wissen. Sie etablierte dazu ein Messverfahren, das „Standardkostenmodell“. Ergebnis: 49 Milliarden Euro an Kosten bleiben jährlich bei den Unternehmen hängen. Und das nur für alle Angaben, die auf Bundesebene fällig werden. Die Daten für das Land oder die Europäische Union kommen obendrauf.
„Das ist zu viel“, entschied die Regierung. Sie verabschiedete daher ein Programm zum Bürokratieabbau. Ziel: Die Kosten bis 2011 um ein Viertel kürzen. Das gelang fast, und der damalige gute Status bildete die Basis für einen neuen Bürokratiekostenindex. Doch in den Folgejahren stiegen die Kosten wieder um 12 Milliarden Euro an – genau die eingesparte Summe. Abhilfe schaffen soll das „Bürokratie-Entlastungsgesetz“. Es gilt seit Januar, und erstmals zeigt der Index eine minimale Senkung: Nur noch 99 statt 100 Punkte auf der Skala. Der positive Effekt ist bei den Betrieben jedoch bislang nicht angekommen. Laut Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) unter bayerischen Unternehmen im März 2016 hat sich für 95 Prozent die Belastung in den vergangenen fünf Jahren erhöht.
Obwohl die Bürokratie den Unternehmen bereits heute zu schaffen macht, kommen immer wieder neue Belastungen für die Betriebe hinzu. Das gravierendste Beispiel aus jüngster Zeit ist das 2014 eingeführte Mindestlohngesetz. Der Normenkontrollrat, ein Beratungsgremium der Bundesregierung, schätzt den Erfüllungsaufwand für die bürokratischen Vorschriften auf 9,7 Milliarden Euro jährlich. Grund dafür sind unter anderem die umfangreichen Dokumentations- und Kontrollpflichten.
Das zurzeit geplante Lohngerechtigkeitsgesetz erhöht den Aufwand weiter
Auch Warema Renkhoff SE, ein Hersteller von Sonnenschutzsystemen im fränkischen Marktheidenfeld, ist damit konfrontiert. Die Firma mit 3.400 Mitarbeitern muss dabei nicht nur selbst die Vorgaben des Min- destlohngesetzes einhalten, sondern auch dafür sorgen, dass alle Vertragspartner, etwa Zulieferer oder Firmen aus Logistik und Versand, dies tun. „Um das sicherzustellen, führen wir regelmäßige Stichproben durch“, erklärt Angelique Renkhoff- Mücke, Vorstandsvorsitzende von Warema.
Ebenfalls betroffen wäre das Unternehmen vom geplanten Lohngerechtigkeitsgesetz, an dem die Bundesregierung gerade arbeitet. Dabei geht es um Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern. Geplant ist ein Auskunftsrecht für Mitarbeiter. Sie sollen von ihrem Arbeitgeber Informationen über den Lohn einer vergleichbaren Gruppe von Kollegen einfordern dürfen. Zudem ist vorgesehen, dass größere Betriebe umfangreiche Berichte über Entgeltstatistiken und Fortschritte in Sachen Entgeltgleichheit verfassen müssen.
„Auf die Betriebe käme durch das Gesetz nicht nur ein enormer bürokratischer Mehraufwand zu“, warnt Renkhoff-Mücke. „Es würde in der jetzigen Form auch viel Unfrieden in die Belegschaften hineintragen.“
Das Fazit der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft: „Weg vom Wahn, alles bis ins Detail regeln zu wollen.“ Auch wenn das nun mal eine urdeutsche Tugend ist.
So urteilen Firmen
- Fast 40 Prozent aller Kontakte mit Ämtern verlaufen unbefriedigend.
- Unternehmen kontaktieren Behörden vor allem, wenn sie Mitarbeiter einstellen (83 Prozent).
- Weitere Anlässe sind Betriebsprüfungen, der Import oder Export von Waren sowie Firmengründungen.
- Mehr als 20 Prozent üben starke Kritik an den Behörden.
- Zwei von drei Firmen wünschen effizientes Handeln bei Gründung, Übergabe und Bau eines Betriebs.
- Pluspunkt: Deutsche Ämter gelten als unbestechlich.