Minden. „Wie kannst du denn so viel schneller sein als ich, obwohl ich ein Mann bin?“, wird Anja Schiemann manchmal von Kollegen gefragt. Die angehende Werkzeugmechanikerin, blond und zierlich, kann es mit jedem Kerl aufnehmen. „Nur die erste Woche hatte ich Muskelkater vom Feilen.“

Schiemann ist Auszubildende bei Wago in Minden, einem führenden Hersteller von elektrischer Verbindungs- und Automatisierungstechnik für Wohn- und Bürogebäude, Produktionsanlagen und Bahn. Nach ihrem Abschluss in drei Jahren wird sie die Spritzguss-Werkzeuge fertigen oder reparieren, mit denen die Plastikgehäuse der Federkraftklemmen oder Steckverbinder hergestellt werden.

Die Frauen kommen! Im letzten Jahr erlernten 16.211 weibliche Azubis einen Metall- oder Elektro-Beruf – über 60 Prozent mehr als 2005, so Zahlen des ArbeitgeberDachverbands Gesamtmetall. Das ist wichtig für eine Branche, die es zunehmend schwer hat, geeigneten Nachwuchs zu finden.

„Etwas in den Händen halten, etwas Gutes hinkriegen“, das ist ein Job nach Schiemanns Geschmack. Im Büro wollte sie nie sitzen, sondern Metall bearbeiten: Schließlich hat sie schon immer gern an ihrem Motorrad geschraubt.

Wer in der Freizeit Modellflieger baut, ist hier genau richtig

Zurzeit lernen bei Wago 13 junge Frauen technische Berufe. „Da ist noch Luft nach oben“, räumt Thomas Heimann ein, der die 270 Azubis und dualen Studenten der Firma betreut. „Aber es werden mit jedem Jahr mehr.“ Wago arbeitet mit den Schulen der Umgebung zusammen und öffnet einmal im Jahr Interessenten und Eltern die Werktore. Azubis erklären den Besuchern ihren Arbeitsplatz.

Das Unternehmen, das in Minden rund 2.000 Mitarbeiter beschäftigt, wurde wegen der hohen Qualität seiner Ausbildung in diesem Jahr sogar als „Best Place to Learn“ („Bester Platz zum Lernen“) bundesweit ausgezeichnet. Bewerbungen gibt es immer noch zuhauf, sagt Ausbildungsleiter Heimann: „Aber es wird aufwendiger, die auszusuchen, die zu uns passen. Und das sind die, die für die Technik brennen. Im Idealfall auch privat.“

Solche wie Noreen Juras, die schon mit neun Jahren wusste, dass sie Ingenieurin werden will. Ihr Hobby: Modellflugzeuge basteln und fliegen lassen. Nun ist sie duale Studentin in Maschinenbau und wechselt zwischen dem Werk und dem Campus Minden der FH Bielefeld hin und her. In ihrem Studiengang gibt es nur noch eine weitere Kommilitonin. „Na und? Als cooler Typ ist man unter den vielen Männern gut aufgehoben!“

Damit mehr Frauen diesem Beispiel folgen, veranstaltet Wago jedes Jahr einen Girls’ Engineering Day für Schülerinnen – und die Ingenieurinnen sowie andere Mitarbeiter der Firma lassen sich Aufgaben für sie einfallen. Was muss bei einem Gebäudeplan in Sachen Elektrotechnik beachtet werden? Wo braucht man etwa Steckdosen, wie werden Lampen und Jalousien gesteuert?

„Drei Viertel der Teilnehmerinnen können sich danach eine technische Ausbildung vorstellen“, sagt Heimann. Dafür lässt er sich sogar unter Strom setzen. Und zwar buchstäblich: „Wenn man dann auf mein Ohr drückt, gibt es ein Signal.“ Immer ein Highlight beim Girls’ Engineering Day.

Manche junge Frau holt ihre Ausbildung nach. Wie Melanie Hülshorst, die sich erst nach der Geburt ihres zweiten Kindes dafür entschied. Bei Wago macht sie nun eine Ausbildung als Elektronikerin und schafft das dank viel Unterstützung durch Familie und Arbeitgeber in Vollzeit.

Die Firma zahlt einen Zuschuss zu den Betreuungskosten und organisiert Nachhilfe, wenn es Probleme mit dem Stoff gibt. Sie bietet sogar einen Wasch- und Bügelservice. Und, ganz wichtig für die junge Mutter: Ein ruhiges Plätzchen zum Lernen findet sich immer.